60 Jahre auf der Alm! Das klingt wie eine Höchststrafe, ist in Vea Kaisers Debütroman „Blasmusikpop“ aber ein bizarrer Spass mit sehr viel Fußball, Heuschobersex, Lotto spielenden Mönchen und: dem schönen Mädchen aus der Stadt.
„Blasmusikpop“, gibt es den noch? Das denkt man erstmal, wenn man Vea Kaisers fetten Debütroman in den Händen hält. Außer die Fanfaren in „Safe and Sound“ der Capital Cities aus L.A. fällt einem nichts ein. Jan Delay hat Bläser, ok; aber ist das Pop? War das Thema mit dem Euphonium der Folkfreunde von Beirut nicht längst abgehakt? Bei Vea Kaiser, 1988 geboren, studiert in Wien (unter anderem Altgriechisch), geht es nicht um Hipstersound und Folk, sondern um Almöhis, die AC/DC mit ihren Posaunen schänden (sich dabei aber irrecool vorkommen).
Knapp 500 Seiten bietet Vea Kaiser auf, um ihre drei Generationen umspannende Geschichte aus St. Peter am Anger zu erzählen. GoopleMaps zu bemühen, wird nicht viel bringen, denn es gibt viele St. Peter auf dieser Welt, keines liegt am Anger. Vea Kaiser hat das österreichischen Alpendorf erfunden. Irgendwo im Nirgendwo muss es liegen, bevölkert von Menschen, die sich um neumodisches Zeug wie „die Stadt“ nicht scheren wollen. Doch das geht schief, angefangen mit einem Bandwurm, der einen der St. Peterianer erst befällt, dann fasziniert, zuletzt eben jenen animiert, rauszuziehen in die Welt, um Medizin zu studieren.
Mit Studierten, diesen „Hochg’schissenen“ will man in St. Peter am Anger nichts zu tun haben. Misstrauisch wird der spätere Arzt beäugt, als er nach seiner Uniausbildung zurückkehrt. „Wir Menschen aus St. Peter ham andre Stärken, wir sand olle kane Kopfmenschn“, sagt Opa Rossmann, als der junge Held des Romans durchs Abi rasselt. Aber selbst dieser Rückschlag wird nicht aufhalten, dass die Moderne mit Macht, wie eine Lawine einbricht ins Dorf.
Erzählt wird die Story von Johannes. Er recherchiert die kleinen Begebenheiten, aus den 1950ern seiner Großeltern bis in die Jetztzeit, als er, der Hochbegabte, im Nachbardorf durchs Abi rasselt. Sein übergroßes Vorbild ist Herodot, der griechische Geschichtsschreiber aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Ihm will er nacheifern, um aus größtmöglicher Distanz von den „Bergbarbaren“ erzählen, die nach der Devise leben: „Auf der Alm, da gibt’s ka Sünd“. (Nur wenige Tiere kommen zu Schaden.)
Diese liebevoll portraitierten Bergbarbaren sind trinkfeste Gesellen, die Maibäume aus dem Nachbardorf klauen und am Feierabend, sind sie erstmal besoffen: raufen. Aber es bleibt nicht beim Klischee. Krisen kommen auf. Da geht den Klostermönchen die Finanzkraft aus, und sie versuchen, mit exzessivem Lottospiel den Konkurs abzuwenden. Jahre später taucht eine Städterin auf, kommt daher mit dem Allerneusten: „Lass mich raten, du hast kein StudiVZ, kein Facebook , kein Skype, kein MSN, kein ICQ und du bist auch nicht bei Twitter?“ Bleibt St. Peter standhaft, im Angesicht der Jetzt-Zeit mit ihren Verführungen?
Zum Schluss droht ein Besuch der Fußballmannschaft vom FC St. Pauli, die im Verruf steht, homosexuell, promiskuitiv und asozial zu sein. Die heimische Kapelle studiert dennoch AC/DC ein; man will keinesfalls als rückständig gelten. Sogar das Prostitutionsverbot wird für die Hamburger eiligst aufgehoben. Vea Kaisers Titel „Blasmusikpop“, spielt auf diesen AC/DC-Moment an, und steht beispielhaft für alle Szenen, in denen das katholische St. Peter und die Gegenwart aufeinandertreffen. Stromgitarren, Schwulenehe, Feminismus, Mondlandungen, Internet – wer soll das alles verstehen? Vea Kaiser lässt die Bergbewohner mit Kopfschütteln zurück, mit einem Tusch für dieses pompöse Debüt!
Vea Kaiser: „Blasmusikpop“, KiWi, 496 Seiten, 19,99 Euro