Jagoda Marinić schreibt mit „Restaurant Dalmatia“ das kroatische Gegenstück zu Stefanie de Velascos „Tigermilch“ und legt eine schnelle, unterhaltsame Studie über die jugoslawische Community in Berlin vor.
Da rennt ein Mädchen auf der Suche nach dem richtigen Fotomotiv durch die Straßen und weiß, es muss sich lohnen. Ihre Kamera, eine Polaroid, hat sie aus dem Schrank ihrer Eltern genommen und das wird allen möglichen Ärger geben „und vielleicht eine Ohrfeige, oder gar mehr als eine Ohrfeige.“ Jagoda Marinić klärt gleich zu Beginn, wie Kunst aussehen soll. Wer nicht bereit ist, für seine Bilder oder Texte Schmerzen auszuhalten, sollte gar nicht erst anfangen. Irgendwann wird Mia als Erwachsene ihrem Mann entgegenschleudern: „Ich wünschte aber, du würdest mir eine runterhauen! Ich wünscht, du würdest einmal sagen, ich gehe Dich etwas an!“
Das sind raue Sitten in diesem vielschichtigen und mit Zeit- und Perspektivensprüngen durchsetzten Roman, der die jugoslawische Community im Wedding vorstellt. „Älteren als dir selbst, hast du nichts entgegenzusetzen!“ Das gilt für alle. Mia ist während es Bürgerkrieges, also kurz nach Fall der Mauer, aus Jugoslawien nach Berlin gekommen. „Draußen auf der Straße sind ihre Brüder Gold wert. Niemand im Viertel kommt ihr dumm.“ Sie schlägt sich durch und ächzt im Gymnasium auf das sie von den integrationseuphorischen Eltern geschickt wird.
Wie in Werner Köhlers „Cookys“ oder Helmut Dietls „Rossini“ steht ein Restaurant mitsamt seiner Beleg- und Kundschaft im Mittelpunkt, auch wenn es in diesem erstaunlich wenig ums Essen geht, sieht man vom permanenten Veganerbashing der Besitzerin Zora ab. Zora ist Mias Patentante und ein harter Knochen. „So mancher Kunde kommt nur deshalb ins Restaurant, um sich ihre Tiraden über ihre Familie, die Welt oder den Verfall da draußen auf der Straße anzuhören.“- Als Mia einen Freund mitbringt, stellt Zora sofort klar: „Wenn sie vorhaben, dieses Restaurant auch in Zukunft in Begleitung meiner Nichte zu betreten, sollten Sie besser gleich wieder vergessen, dass Sie es je von innen gesehen haben! Ist das klar?“ Derweil führt ihr Vater den Krieg im Wohnzimmer weiter.
„Restaurant Dalmatia“ ist das kroatische Gegenstück zu Stefanie de Velascos „Tigermilch„. Beide stellen eine Einwandererschicht vor, wenn auch aus verschiedenen Jahrzehnten. Doch beide Romane zeigen, mit welcher Sprachmacht Menschen aus anderen Ländern das Deutsche verwenden, was besonders schön gezeigt wird beim Schlagabtausch von Jesus (Spanien) und Ivo (Jugoslawien). Der Schlüssel zum Gefängnis auf Erden liegt auf dem Rücken von Pferden“, reimt Jesus, als er ein letztes Stück Fleisch vom Teller nimmt. „Der Schlüssel zum Arsch-geh-weih liegt heute im Seelen-schreiii-h.“ – „Der Schlüssel zum Seelenschrei liegt besser im Arschgeweih.“
Mia hat Jesus im Viertel kennengelernt, ein heruntergekommener, aber gottbegnadeter Maler, der in einer Dachwohnung voller Bücher lebt. Bei ihm wird sie das Sehen lernen und zur Fotokünstlerin reifen, bis sie in Toronto zum Star wird. „Niemand fragte mehr nach ihrem Brotjob, nur noch nach ihren Projekten. Projekte, die sie nun, da sie keinen Brotjob mehr brauchte, nicht mehr hatte.“ In Toronto ist man überrascht, dass Deutschland zivilisiert ist, was Mia umso deutlicher vor Augen führt, dass sie zwar nach Höherem streben kann, aber bei jedem Schritt ins scheinbar Bessere (von Dalmatien nach Berlin, von Berlin nach Toronto) nur am Ende der Kette steht. Wo sie auch ist: Man glaubt, sie käme aus der Wildnis. Was dagegen hilft? Glaubt man Zora, dann hilft nur eines: Eigenes Fleisch (also ein Kind) und gebratenes Fleisch (auf dem Teller). Ein mutiger Roman.
Jagoda Marinić: „Restaurant Dalmatia“, Hoffmann & Campe, 234 Seiten, 19,99 Euro
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