„Ich kann mich noch erinnern – als ich jünger war, das war Berlin die Provinz, hatte nichtmal einen richtigen Fußballverein gehabt. Also, wer hingegangen ist, war langhaariger Kriegsdienstverweigerer.“ Das sagt Tex Rubinowitz, der gerade mit „Ramses Müller“ das hippste Berlin-Debüt des Jahres vorgelegt hat. Eine Hommage an die Hauptstadt ist es dennoch nicht geworden. Warum?
Tex Rubinowitz präsentiert seinen größten Laberflash: „Schubal, der heißt wirklich so, seinen Vornamen gab er ja nie preis, fragte ihn ja auch keiner danach, Schubal also, wie der Heizer, der rumänische, auf dem Schiff von Kafkas Amerika, also das Buch jetzt, Kafka war ja kein Reeder“, rhabarberrhabarber, man ist direkt mittendrin, wie Schubal verzweifelt versucht, in Berlin-Mitte auf die Premierenparty von Leander Haußmanns neuem Film zu kommen. „Schubal pocht an die verschlossene Tür, das sieht so kläglich demütigend aus, vor allem, weil er nicht mit der ganzen Faust hämmert, sondern mit dem Zeigefinger klopft“, sehr pedantisch, bis jemand rauskommt und Schubal die Lage erklärt. Keine Chance. Schubal gehört nicht dazu. Der Türsteher sagt, er stünde auf keiner Gästeliste. Doch Schubal lässt sich nicht abwimmeln und behauptet, in dem Film, da gäbe es einen Abspann, dort sei er zu finden, bei den Danksagungen, was ihm erst recht keiner glaubt.
„Der Wächter bleibt stoisch, lächelt mitleidig, denkt sich wohl, dass er immer wieder überrascht sei, wie weit die Skala der grotesken Selbsterniedrigungstaktiken nach unten offen ist.“ Denn, was Schubal nicht weiss: Hier wird mitnichten die Premiere von Leanders neuem Film, sondern von seinem neuen Theaterstück gefeiert, und Theaterstücke haben üblicherweise keine Abspänne, und da hilft auch kein Herausreden: „Abspann von Herrn Lehmann.“ – „So?“ – „Ich hab ihn ja gebeten, drauf zu verzichten, wer bin ich schon, dass er mir zu Dank verpflichtet sei? Und wenn, hab ich gesagt, dann mach nur ein SCH-Punkt.“ Schubal muss weiter durch die Nacht – Berlin meint es schlecht mit ihm.
In bester Begleitung ist er ebenfalls nicht, weil er vor der verschlossenen Tür den unangenehmen Paparazzo Armin aufgegabelt hat, mit dem Schubal nun zum Berliner Indie-Hip-Club „White Trash“ zieht, in dem bereit Ramses Müller und ein peinlich zugedröhnter Benjamin von Stuckrad-Barre mit einer jungen BILD.de-Journalistin darauf wartet, eine letzte Nacht im Zeichen des Pops und der Popliteratur zu verbringen. „Dieses Schlagwort kam plötzlich raus wie Gammelfleisch oder Analogkäse jetzt Da gab’s damals eben Popliteratur. Das war mir immer zu schwammig und das ist jetzt auch keine Abrechnung mit Popliteratur und auch keine Abrechnung mit dem Startum von Stuckrad-Barre, das ist alles nur an der Oberfläche, ein Kruste, die einfach nur so tut, also das Buch tut ja sehr häufig so, als ob es etwas wäre, ein Schlüsselroman oder Popliteratur oder eine Abrechnung mit Popliteratur: Aber es ist ja: nichts.“
Von wegen – „Ramses Müller“ schmeißt ein letztes Mal die große Pop-Party, die ganz zum Schluss erst den Discotod anhand von Madonnas Dancefloor-Filler „Hung up“ ausruft, dann einen seiner Helden „Borderliner“ schimpft, eine klare Reminiszenz an Joachim Lottmanns popjournalistischen Sammelband „Auf der Borderline nachts um halb eins“, schnell Tom Kummer abwatscht, den Borderline-Interviewer, „der bastelte sich Interviews einfach zusammen, erfand Stars, Fragen und deren Antworten“ um später „sein verpfuschtes Leben als Pit-Pat-Trainer in Hollywood, das ist eine Mischung aus Minigolf und Billard“ zu fristen und aus dem Schuh hüpft eine Murmel, Sinnbild der kleinlich-beschränkten Hypewelt, die Tex Rubinowitz 220 Seiten lang so leidenschaftlich beschrieben hat.
„Benjamin von Stuckrad-.Barre oder Leander Haußmann sind ein Synonym für die Leute, die heiß brennen und dann wieder in den Instanzen verschwinden“, sagt Tex Rubinowitz im Interview. „Bei Stuckrad-Barre war es ja so, dass er sehr, sehr heiß geglüht ist, später Schwierigkeiten hatte und auch verschwunden ist. Aber hier geht es um Märchenfiguren.“ Klagen wegen eventueller Persönlichkeitsrechtsverletzungen befürchtet der Debütant nicht: „Ich habe kein Hühnchen zu rupfen, mit Stuckrad-Barre, ich bin ihm einmal begegnet, er ist ein sehr netter Mensch und kam mir sehr geerdet vor, ich habe auch kein Hühnchen zu rupfen mit Haußmann oder Schlingensief. „Ramses Müller“ ist kein Schlüsselroman, es gäbe keinen Grund, zu klagen.“
„Die Murmel ist das Allerletzte, was noch reinpasst, jetzt kann man dichtmachen für immer“, mit dem Pop und der Literatur – dabei ist die Vorstellung zu schön, mit „Ramses Müller“ würde alles wieder anfangen und die Krise, auch die der Popliteratur, sei nur ein böser Traum gewesen, doch statt des großen Erwachens kommen nur ein paar Danksagungen. Und die Party, die ist vorbei. Warum aber, gibt es dieses verrückte Buch? „Das ist eigentlich eine Midlife-Crisis-Aktion“, erklärt Tex Rubinowitz. „So, wie sich andere Leute einen Sportwagen kaufen, schreibe ich plötzlich einen Roman. – Und lerne Posaune gleichzeitig.“
Tex Rubinowitz: „Ramses Müller“, Eichborn, 222 Seiten, 16,95 Euro
[…] Schönheiten und das Gegenteil: Kathrin Passig hat zum Bachmannpreis-Sieg von Tex Rubinowitz (Bild) eine Statistik erstellt, die unterschiedliche Startvorraussetzungen eines/r Lesenden mit […]