Portrait: „Über uns wölbt sich der Warenhimmel“

PeterLicht schreibt diese stilleren Texte, mit vagen Anlehnungen an Peter Sloterdijk, Börsencrash und Ethikkommissionen, Texte, die er selbst bezeichnet als „etwas Geworfenes. Wie die Seher im alten Griechenland, die ihre Knochen werfen, um sie zu lesen. Ich werfe Worte statt Knochen. Ich sehe mich nicht als Seher, aber der Vorgang ist der Gleiche. Die Worte werfen sich selbst.“ Ein Besuch.

Der Klang im Kölner Café Wahlen ist gedämpft und am Anfang des Gesprächs deutet nichts aus Niklas Luhmann hin, der wenig später die Bühne betreten wird. „Im Café Wahlen gibt es einen Sound, der unseren Ohren schmeichelt“, sagt Indie-Popmusiker PeterLicht und fragt, „ob das an den dünnen Stimmen der Serviererinnen liegt? An der Atmosphäre, die suggeriert, dass hinter einem der Kleiderständer Konrad Adenauer hervorschauen könnte?“ Im Oktober feiert die Konditorei 100-Jähriges. Im Schaufenster wird eingeladen zum „Jubiläums-Kaffeeklatsch“ mit Getränken und Gebäck à discrétion. Im plüschigen 50er-Jahre-Gastraum werden „Russische Eier“ serviert, Kännchenkaffee koffeinfrei von Hag, Kekse auf Porzellantellerchen. „Wasser mit Gas“ heisst immer noch „Sprudel“. Heile Welt. Damen im Goldene-Hochzeits-Alter treffen hier auf Kölner Medienschaffende, die kurz das Hipster-Sein abzulegen suchen.

PeterLicht lädt bei allen Neuerscheinungen ins Café Wahlen, zuletzt 2008, als sein Album „Melancholie & Gesellschaft“ erschien. Ebenso 2006 beim Text „Wir werden siegen. Buch vom Ende des Kapitalismus“ und ein Jahr später, nachdem er für „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ beim Ingeborg-Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt mit zwei Preisen ausgezeichnet wurde. Jetzt erscheint Album Nummer fünf. „Ende der Beschwerde“ heisst es und kommt mit einjähriger Verspätung. Zu viel zu tun: PeterLicht veranstaltet Konzerte, Performances, Lesungen. Im vergangenen Jahr bearbeitete er die Molière-Komödie „Der Geizige“ im Auftrag des Berliner Maxim-Gorki-Theater. Manchmal zeichnet er auch. Die erste Singleauskopplung heisst, wie Selbstbeschwörung, „Neue Idee“ und ist mit tanzbaren Beats unterlegtes Gedankenspiel der Art: „Drum führ‘ du mich in die Nacht. Führ‘ mich raus. Gib mir eine neue Idee.“

Campusradios spielen dieses Lied. Ü30-Parties aber auch. In Konzerten von PeterLicht sitzen 60-jährige Großmütter mit ihren zehnjährigen Enkeln. „Ich singe nicht für eine bestimmte Gruppe Leute“, sagt PeterLicht. Nun sitzt er, alterslos blickend, mit Bedacht sprechend, vor pastellfarbener Draperie, schaut durch seine Panorama-Retrobrille, trägt Pullover ohne Labelaufdruck. Das fehlende Signet, wahrscheinlich ist es aber doch American Apparel, es wirkt in seiner aufdringlichen Abwesenheit konsequent, denn PeterLicht (stets zusammengeschrieben) ist ein Pseudonym, sein Gesicht ein Geheimnis, das gehütet werden will. Allein auf Konzerten dürfen ihm Fans in die Augen sehen. „PeterLicht, das bin nicht ich“, sagt er. „Das changiert. Mal sind wir deckungsleich. Mal nicht. Waldorfisch gesprochen: Manchmal tritt PeterLicht aus meiner Aura heraus.“

Sein Management hat, weil Redaktionen um Bilder nachfragen, Promomaterial erstellen lassen, des Künstlers Gesicht verstellt von schwebenden Tassen, Tellern, Banknoten und Zeitungsseiten. Essen, Geld, Klatsch. Das zieht. PeterLichts „Ende der Beschwerde“-Album erzählt, ebenso doppeldeutig wie wehmütig von Sonnen, die „das ganze Geld“ verbrennen, von Meinungsklumpen in Multiversen, von iphones, die an der Biegung des Flusses vergraben werden sollen, „da, wo in der Mitte der Gesellschaft eine Kausalkette entspringt“.

PeterLicht singt: “Blast meine geheimen Nummern in die Wolken, die vorbeiziehen. Und häuft Euch einen Zuckerberg.“ Alles wie gehabt. Krise in Dichtung. Verführend bleibt, in jeder Mauer eine Firewall, in allen Wolken eine ipad-Cloud, hinter den vielen Gesichtern ein Facebook zu sehen. „Dabei ist allein der Zuckerberg ganz konkret gemeint“, sagt PeterLicht, „jeder sucht doch seinen ganz persönlichen Zuckerberg.“

Noch ist Niklas Luhmann nicht aufgetaucht. PeterLicht bestellt Sprudel, dazu schwarzen Tee. Das Ereignis dieses Albums ist aber nicht Zuckerberg, sondern ist die Diskrepanz zwischen den sehr eigenbrödlerischen Texten und der überaus publikumszugewandten Vertonung. In seiner „Dichterklause“, im eigenen Wohnzimmer, schreibt PeterLicht diese stilleren Texte, mit vagen Anlehnungen an Peter Sloterdijk, Börsencrash und Ethikkommissionen, Texte, die er selbst bezeichnet als „etwas Geworfenes. Wie die Seher im alten Griechenland, die ihre Knochen werfen, um sie zu lesen. Ich werfe Worte statt Knochen. Ich sehe mich nicht als Seher, aber der Vorgang ist der Gleiche. Die Worte werfen sich selbst.“

Aber bei der Musik gibt es etliche Durchläufe, mehr Bauplan, weniger „Geworfenes“. PeterLicht geht dann raus aus dem Wohnzimmer, stattdessen mit Band und Produzent ins Studio. Letzterer heisst Jochen Naaf, bereits verantwortlich für Erfolge deutscher Popmusikhelden wie Jennifer Rostock, Bosse, Polarkreis 18. Naaf arbeitet sehr direkt die musikalischen Zitate des Albums heraus: Joy Divison („Das Ende der Beschwerde“), Die Sterne („Sag mir, wie ich beginnen soll“),  Synthie-Wave („Wort von den Worten an den Wänden“). – Vor Jahren, als Ekimas von „Erdmöbel“ am Mischpult saß, klang PeterLicht nach LoFi, Do-it-yourself-Musik. Jetzt haben seine Songs etwas Hymnisches.

„Mit moderner Studiotechnik kann man zu Zweit die Fischerchöre nachmachen“, sagt er leise und bestätigt, dass seine Platte an vielen Stellen wie „Polarkreis 18“ klingt, diese weiß gekleideten Synthie-Popper aus Dresden, verantwortlich unter anderem für das sehr kitschige Krabat-Lied „Allein, Allein“. Deshalb hört sich der Computer-Fischerchor bei PeterLicht an, wie „Allein, Allein 2.0“, mit ausgetauschten Zeilen: „Ich wüsste niemanden, der sich selbst gehörte.“ Oder er singt mit Kopfstimme, in einem anderen Lied: „Wir kriegen alle, alle was wir wollen. Jeder bekommt das ganze Geld.“ Geld, Geld, Geld.

Es wäre falsch, PeterLicht in „Occupy Wall Street“-Wochen rangeschmisse Kapitalismuskritik zu unterstellen. Dafür ist dieser Mann dann doch zu wenig Protestsänger. „Ich singe das Lied vom Ende des Kapitalismus, bin aber selber Teil des Kapitalismus, wenn ich mein Projekt hier mache“, sagt er im Café Wahlen. Dann kommt langsam Luhmann ins Gespräch: „Das Systemische ist wie ein Dickicht und ich kann nicht unterscheiden, was gut, was böse ist. Wie bei der Lehmann-Pleite. Hier wurschtelt Irgendeiner in der Bank vor sich hin wie eh und je, macht seinen Job und am anderen Ende der Welt wird verhungert deswegen.

Hat da ein konkreter Mensch etwas falsch gemacht? Das fällt mir schwer, das zu beurteilen. Wen trifft dann die Schuld? Den Einzelnen? Das System? Es stellt sich die Frage: Beide? Zu sagen: Schafft den Kapitalismus ab! wäre nicht wahrhaftig. Denn was wäre denn der zweite Satz nach dieser Aufforderung? Was kommt denn danach? Wahrscheinlich entsteht einfach ein schalltoter Raum. Schweigen.“ Er rückt seine Brille zurecht. „Als ich mir vor einiger Zeit eine neue Brille kaufen musste, weil das alte Gestell nicht mehr zu mir passte, die Physiognomie verändert sich ja, da stand ich in diesem Optikerladen und war verwundert, dass dort genau das Gestell vorrätig war, das nun zu mir passt. Ich hatte in dem Augenblick das Gefühl: Der Kapitalismus sorgt für mich.“

Die Probleme des Kapitalismus erklärt PeterLicht teilweise also ganz konservativ. „Niklas Luhmanns Betrachtung der Welt bringt einen sehr weiter, weil sie sich nicht nur Schuldfragen stellt“, sagt er, was jeden Reflexlinken auf die Barrikaden bringen kann. PeterLicht bietet mit „Ende der Beschwerde“ eine Art Ü30-Version des ebenfalls 2011 gehypten „DMD KIU LIDT“ („Die Manifestation des Kapitalismus ist unser Leben ist die Traurigkeit“) von „Ja, Panik“. Die Österreicher bieten Krawall. PeterLicht bietet Zitate und rehabilitiert das Konservative für den deutschen Pop: Sloterdijk, Luhmann! Wie passend, ausgerechnet dann im Café Wahlen zu sitzen, wo Alt und Hip aufeinandertreffen, die Gesellschaft ganz klar in „binären Codes“ betrachtet werden kann. Wie passend, Lieder zu schreiben, die zum Beispiel „Steigen/Fallen“ heissen. Das ist: die Differenz als Einheit. „Du blickst in die Herde“, singt PeterLicht, „und wartest auf das Ende der Beschwerde.“ Niklas Luhmann, in seiner zur Schau gestellten Süffisanz, hätte seine wahre Freude.

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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