Jetzt wurde also auch Suhrkamp von der Nützlichkeitsdebatte lahmgelegt.
Der Landessportbund demonstriert dieser Tage gegen „elitäre“ Kultursuventionen und für „volksdienende“ Vereinsförderung. Die Piratenpartei diffamiert den Künstler als fahrenden Gaukler, dem kein festes Einkommen zu sichern sei (nur über die Kulturflatrate mit angegliederter Reichskulturkammer, die fortan entscheidet, wessen Kunst honoriert, welche Nicht-Kunst beiseite gelassen wird). Und ein Fernsehzeitschriftenmogul möchte in einem der besten Verlage des Landes aufräumen, auf dass sich auch hier Kultur auf Kasse reimt.
Die intellektuelle Geste gilt als asozial. So wie die Hauptfigur in einer von Hartmut Langes bald erscheinenden Novellen (im Diogenes-Verlag) urplötzlich glaubt, der Schatten einer bedrohlichen Krähe säße in seinem Nacken, so schrecke ich immer öfter beim Bücherlesen hoch, als erwarte ich den Einbruch bewaffneten Personals, das mich von der Lektüre weg-, in einen Steinbruch hineinzerrt, wo ich ab sofort dem Kapitalismus zu dienen habe.
Es war Platon, der bereits in seiner Politeia analysierte, dass ein Staat verschiedene Stände benötigt, das Gemeinwesen aber leide, wenn beispielsweise nur die Kaufleute Einfluss erhielten. Diese Dystopie ist jetzt Realität, weshalb Michael Sandel, David Graeber oder Slavoj Žižek mit Schaudern erhört werden. Sie artikulieren unsere Angst. Der Schatten einer Krähe steckt mir im Nacken, oft ist mir, als säße sie mir längst im Genick und drückte meinen Blick hinab.
Dagegen lohnt sich zu kämpfen, und die Geburt des Intellektuellen als hḗrōs steht bevor. Sollen die Kaufleute doch glücklich sein, dass hochbegabte Suhrkampautoren wie Rainald Goetz, Sibylle Lewitscharoff oder A.F.Th. van der Heijden Romane schreiben, anstatt ihre Intelligenz dem Markt zur Verfügung zu stellen. Liebe Banker, ihr wäret alle arbeitslos. Wollen wir unsere Lyriker hinter einem Sparkassenschalter sehen, anstatt daheim bei Blatt und Papier? Nützt der Schauspieler als Fabrikarbeiter mehr dem Allgemeinwesen?
Muss ein Musiker ein Callcenter leiten? – Es war (glaube ich) Gerhard Richter, der sagte, er unterhalte sich lieber mit Bankern über Kunst als mit Künstlern – die Künstler redeten nämlich immer über Geld. Was Herr Barlach macht: Seine Klasse desavouieren. Der liberale Unternehmer, der rheinische Kapitalist ist vermutlich für wesentlich mehr Unternehmer des Landes Vorbild, als ein Fernsehzeitschriftenmacher wahrhaben will.
In dem Popessay „These Glory Days“ beschreibt Owen Hatherley, wie die Streichung von Sozialleistungen die britschen Top Ten verändert hat. Während sich in den 80er Jahren Indiebands wie Pulp in zugigen Sozialwohnungen ausprobieren konnten, müssen wenig begüterte Künstler im leergefegten Post-Thatcherism die Segel streichen. Bezeichnenderweise kommen die meisten britischen Popstars unserer Zeit von einer Privatschule. Genauso klingt die Musik. Die Arbeiterklasse kommt nicht mehr vor. Abwegiges wird nicht thematisiert. Der Sound kommt als neoliberaler Soundtrack daher. – Suhrkamp als Cash Cow: ein Verlust.