Kurz vor neun Uhr abends flackerten die ersten Fackeln auf dem Ölbergfest. Eine rote Sonne zog sich langsam hinter blassen Wolken zurück, die an diesem Tag zum Beruhigung aller keinen Regen fallen gelassen hatten. Der frisch geputzte Backstein etlicher Nordstadthäuser wurde ein letztes Mal vom leuchtenden Himmelsschimmer angestrahlt, bevor es endlich dunkel wurde.
Pünktlich, um 21 Uhr, wurde der Straßenlampenstrom abgeschaltet, die heimeligen Öllämpchen in Fenstern, auf den Bürgersteig, die Biertische gestellt und gemeinsam auf dem Schusterplatz Fensterputzer Rainer Wolfs Ölberglied gesungen, zur Melodie des bekannten „Capri Fischer“-Schlagers. „Wenn der Ölberg dat Licht der Sonne zum Leuchten bringt und die Lämpsken hier hell erleuchtet und alles singt…“ Ein herrlich strahlender, ein wiederholungswürdiger Tag kehrte nun in seine gemütliche Schlussrunde ein.
Was hatte die Nordstadt erlebt, von 15 Uhr an, welch ein Spektakel. Die Marienstraße war Partylindwurm eines Frühlingssamstags, der nach Maibowle und selbstgebackenen Waffeln schmeckte. Hier feierte sich ein Viertel, hier lud ein Viertel ein, mit allen anderen mitzufeiern. Was wahlkampftaktisch nicht unklug dazu geführt hatte, dass Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit samt Bodyguard-Armada eingeflogen wurde. Da stand der SPDler am Otto-Böhne-Platz, schäkernd, das Pärchen vom Viertgeschossfenster gegenüber grüßend, nachdem diese von Bekannten als „Bürgermeister vom Ölberg“ vorgestellt worden waren. „Das ist geradezu Belle Etage“, juxte der Wowereit: „Aber ein bisschen trocken da oben, was?“
Stimmt, wesentlich feucht-fröhlicher ging es unten, auf der Straße zu. Bier gab es überall und Weinladen-Wein ebenfalls. Dazu internationales Grill- und Bratgut, jedoch vor allen Dingen: Kunst, Musik, Spielaktionen. Auf gleich drei Bühnen versammelten sich Menschenscharen vor vielfältigstem Rock-, Showtanz-, ghanesischen Trommeleinlagen. Am einen Ende der Straße gab es ein Bobby-Car-Rennen für die Kleinen, am anderen wiederum Breakbeatmusik vom Rakete- und Homebase-Clubteam für die Großen.
Dazwischen lud Bernd Bähner zum Kindermalen ein, aus einem Klaviergeschäft drang Pianomusik. Schauspieler Olaf Reitz zitierte am frühen Abend die Bergpredigt, auf dem Schusterplatz, vom Klettergerüst aus. Spielende Kinder fand der Mime unter sich kraxelnd, zu sich kommend, wie der biblische Redner jener Zeilen es vor knapp 2000 Jahren gewünscht haben soll. Die Menschen hörten zu. Das war so besonders an diesem Massenfest, das nie wie ein eben solches wirken wollte. Nachbarn trafen sich zum Hausfest vor der Tür und alte Bekannte lagen sich lachend in den Armen, ein ständiges Grüßen und eben auch Zuhören war das.
Die Tore und Türen waren überall weit geöffnet. Alle Herzen dito. Man schlenderte, man lustwandelte geradezu von einem schönen Reiz zum anderen, blieb mal schwatzend vor Knoblauch gesättigtem Hackgrillgut stehen, probierte dort die eingelegten Oliven und naschte woanders vom Kokoskuchen, lauschte Chören und verschiedenen Lesungen, ließ sich treiben, denn wohin man auch trieb – man fand an allen Ecken neue Herrlichkeiten. Ein schöner Tag, ein schöner Tag wie dieser könnte nie vergehen, verging dann aber doch, mit den dringenden Wünschen, 2006 weiterzumachen, unbedingt.