Tocotronic behalten Recht. „Pure Vernunft darf niemals siegen“ heißt eines der beiden tragenden Songs vom neuen, gleichnamigen Album. Samstagabend sangen im ausverkauften Zakk alle den Dada-Refrain „la, la, la, la“ mit, laut, leuchtenden Auges, unvernünftig. So wirkt Tocotronics siebtes Album, das leisere, sorgfältig abgemischte, groß fühlende Rockpop-Werk nämlich: unvernünftig. Denn es ist ein bisschen weniger deutlich, ein bisschen weniger wütend als erste Stücke der Band. Es ist kitschig und kauzig, verschroben und fast melodiensüß. Das ist unvernünftig, weil die Fans Rauheres erwarten, weiterhin. Streicherhymne, Flutlichtblitze und Nebelmaschinennebel eröffnen jetzt konsequent ein Tocotronic-Konzert. Nur im Zugabenblock eine Stunde später wird richtig laut gerockt. Die letzen Minuten klingen verzerrte Saiten, ohne Stimme. Zwischen schönem Liederabend und wütendem Aufschrei, zwischen Pop und Rock bewegen sich diese vier immer noch unglaublich höflichen Jungs.
„Danke, danke, danke“, sagen sie bescheiden immer wieder, „danke, danke, danke.“ Jan Müller, Arne Zank, Sänger Dirk von Lowtzow im Buffy-Serienshirt und Neugitarrenzugang Rick McPhail auf der Bühne beobachten heißt den vergangenen Teil einer Jugendbewegung nachspüren. Wollten wir in den Neunzigern, wie von Tocotronic besungen, unter Gleichaltrigen irgendwie dazugehören, eben „Teil einer Jugendbewegung sein“, ist heute nicht mehr sicher, welche Jugendbewegung gemeint sein könnte. Wenn von Lotzow auf der Bühne „im Blick zurück entstehen die Dinge“ singt, wird jeder ertappt, der melancholisch hochblickt, zu den Gitarren. Ironie ist nicht immer das Gegenteil dessen, was gesungen wird – in diesem Fall aber doch. „Aber hier leben, nein danke“, noch so ein Ironiestück, könnte nach einem Zakk-Konzert entschlüsselt werden. Da ist ein Virginia Jetzt!-Gitarrenanfang und dagegen dieses Buffy-Shirt, ein zur Hälfte erwachsenes Publikum, eine live verkörperte Antipop-Haltung. Nein, im Kettcar-Wir sind Helden-Land wollen, müssen sie niemals leben. Nichts gegen die genannten Bands. Aber mit ihnen kann Tocotronic nur verglichen werden, um Unterschiede festzustellen. Denn sie machen weiterhin einige der besten Lieder, geben einige der besten Konzerte des Landes. Ihr Rock darf wirklich so genannt werden. Das Tafelwasser, von freundlichen Zakk-Helfern in die ersten Reihen gereicht, war Samstag notwenig, wegen der Hitze, in uns, um uns herum.