So klang es früher, bevor ich in den Club gegangen bin, um meine 7“-Platten aufzulegen: „die Leber ist längst auf Familien-Foie-Gras-Größe angewachsen, unsere Ohren fiepen leise nach und am morgigen Mittwoch starten wir deshalb ganz smooth in die letzte Hotel-Yorba-Veranstaltung des Jahres 2006, z.B. mit dem kleinen Nouvelle-Vague-Eisbären oder so. Anyway… Ich habe die Ehre, Euch alle ab 20 Uhr (und bis tief in die Nacht) einzuladen, in den kleinen Club Maxim, Kirchstraße 10, um Indierock und Postpunk-Platten, ein kleines bisschen Electro-Clash und ganz viel Brit Pop, Manchester Rave und Hamburger Schule zu hören. Und weil es momentan auf jedem zweiten Flyer für irgendwelche Bouncin‘-Bälle, Discofever-Feten und Ü30-Veranstaltungen angekündigt wird: bei mir gibt es keine „Walking Acts“, keine „Fire-Performance“ (auch schon als „Fire-Performence“ gelesen), keine Häppchen und Lollipops, kein Früchtebüffet und keine halbnackten Gogos. Dafür anständige Mixe, gute Übergänge, tanzbare Musik, Party, Party, Party und von meiner Seite ein alkoholfreies Schnäpschen aufs Haus („oder Schaumwein im weiteren Sinne“, wie Stromberg sagen würde). Ich freue mich auf Euch, auf morgen. „When there´s nothing left to burn – you`ve got to set yourself on fire!“ – Und diese Musik wurde gespielt (mit einer Ausnahme):
Tagsüber arbeiten Jean Philippe Freu und Patrice Carrié als Psychologen. Nachts bilden die französischen Virtuosen das Elektrorock-Duo „Rinocerose“, sehr erfolgreich, seit Jahren. Ihr neues, komplexes Album vereint die besten Momente zeitgenössischen Brit-Rocks mit wahlweise Depeche Mode oder Goldfrapp grüßenden Passagen, mit Intellektuellen-Industrial, Dancefloor und Gitarrenpop. Diese ambivalente Mischung ist durch Albumtitel „Schizophonic“ treffend beschrieben. Andere Bands brauchen jahrelange Phasen, bis sie einen derartigen Querschnitt anbieten können. Die Shizophonic-Texte sind schlichtweg dekadent, ein bisschen krank und bisweilen psychotisch, wie das deutsch gesungene „Fahr zur Hölle“. Derart wüstes Stammeln vor Synthesizerhintergrund erinnert beinahe an „Nagelbrett“, die deutsche Anarchisten-Band aus Kultfilm „The Big Lebowski“. Ist das gewollt? Rinocerose beweisen jedenfalls Humor, was den bombastischen Stilmix nicht nur auflockert, sondern zur wirklichen Größe hochfahren lässt.
Schläge teilt die wundersame Aimee Mann nicht aus, auf ihrem neuen Album „The Forgotten Arm“. Zwei muskulöse Boxer verdreschen sich auf dem Cover, zwölf Titel erinnern an eben so viele Runden. Selbst der Titel ist dem Ringmileu entnommen und meint den finalen Schlag mit der vom Gegner übersehenen Pranke, mit dem vergessenen Arm. Im Vergleich zu Aimee Manns „Lost in Space“ oder dem bekannt-verspielten „Magnolia“-Soundtrack ist „The Forgotten Arm“ geradezu rau. Wobei rau hier weniger Flüstern in der Stimme meint und Liedanfänge, die sich nicht in den Text tasten, sondern in medias res über das Schöne und das Hässliche, über das Zarte und das Harte räsonieren. „The Forgotten Arm“ ist ein Country angehauchtes Sommerabendalbum, durchaus, für die letzten Stunden, bevor man erhitzt ins Bett fällt. Und es ist ein Übergangsalbum, denn der Schlag mit einem vergessenen Arm, der euphorische Sieg, das Jubeln fehlt dann doch. Es bleibt Abwarten.
Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood hat jüngst mit „Bodysong“ das erste Soloalbum der Band veröffentlicht. „O.K. Computer“ mag man bei den ersten Stücken denken. Aber der Soundtrack zum gleichnamigen Kunstmovie „Bodysong“ entschwindet während der folgenden Tracks ins labyrinthische Reich tiefer Elektronikspielereien. Streicher erinnern an Klezmer, an Prag, entwickeln sich retro-mystisch weiter, Oxygene-Welten streifend, nebenbei mit der Orgel bei Deep-Purple vorbeischauend, kurz im Percussionmoment von Carl Cox verweilend. Freejazz trifft später auf mediterranes Gitarrenzupfen und Blechblasexperimente wechseln mit entspannenden Melodieandeutungen. Klassische Streicher schaffen schlussendlich einen harmonischen, an Soundtracks schwarz-weißer Großstadtfilme der 50er Jahre verweisenden Ausgang. „Bodysong“ wird, wie nur wenige Platten, mit jedem Abspielen besser. Eine Weiterführung, über Radioheads „Kid A“ hinaus und damit den Massengeschmack konsequent ignorierend.
Dieses Album ist ein Manifest. PeterLicht singt „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ und präsentiert poppige Megaphon-Musik mit wohltemperierter Systemkritik. Schon bald wird Berlin Mitte mitsummen, denn PeterLicht bekennt sehr eingängig: „Wo ich mich eigentlich befinde ist in der Rinde dessen, was mich eigentlich umgibt.“ Nie war der scheue Kölner lässiger. Plötzlich gibt es Arme-Hoch-Refrains und A-ha-Gitarrenriffs, Easy-Listening-Momente und dadaistisches Improvisationstheater. PeterLicht singt über Wettentspannen und beerdigt nebenan die „alte Tante Wohlfahrtsstaat“. Er tönt, „es gibt einen geraden Weg“, driftet jedoch gerade bei diesem Song von Die Sterne zu Egoexpress – alle Sterne, weil großartig! Für MLPD-Mädchen, TV-Verweigerer und Wiesenträumer
„Warum bringen Dirk Darmstaedter und Bernd Begemann eine gemeinsame Platte raus?“ Die Pressezettel-Frage von Tapete Records zum Country-Album „This Road doesn´t lead to my House anymore“ kann kaum beantwortet werden. Die Hamburg-Popsänger haben sich mit diesem kurzen, zehn Tracks füllenden Album eine Leidenschaft erfüllt, doch keinen wirklichen Gefallen bereitet. Unverständlich seicht erscheint der Mix aus Coversongs (unter anderem „I got a Name“ von Jim Croce) und Selbstgeschriebenem. Handwerk ist vorhanden, melancholischer Charme kann attestiert werden. „Thank God I’m A Country Boy“ mag man hier jedoch kaum mit „Gottseidank bin ich Begemann-Fan“ kombinieren.