Nicht hoch genug zu loben sei der Ventil-Verlag, der Martin Büsser mit dem schönen Sammelband „Music is my Boyfriend“ ehrt. Versammelt sind hier die besten Texte des 2010 im Alter von gerade einmal 42 Jahren verstorbenen Pop-Autors. Dicke und dünne Bretter werden fachgerecht durchbohrt – ein Blick zurück auf Martin Büsser und auf die Entstehung des „Kassettendeck“-Buchs von 2011. (Das Beitragsbild ist von Wikipedia, der Text selbst von dem inzwischen wieder eingestellten „Kassettendeck“-Blog, der anlässlich der Sachbuchveröffentlichung aufgesetzt ist.)
Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem „White Album“ der Beatles und „Paint it, Black“ von den Rolling Stones und „Back in Black“ von AC/DC? Wieso kann Tocotronic mit Die Prinzen verwechselt werden? Ist die Einbettung von Jazz in „Stereolab“-Songs zu beklatschen oder kombiniert hier jemand lediglich Frühschoppen-Dixie mit Synthiesounds? – Büsser erinnert an „The Moldy Peaches“, die ihr Debütalbum mit dem Song „NYC’s like a Graveyard“ am Morgen des 11. September 2001 veröffentlichten, wenige Stunden bevor zwei Passagierflugzeuge in die Türme des WTC krachten. Oder an die Ursprünge des Emo-Hasses unter dem schönen Titel „Zu zart für diese Welt“, angefangen mit dem sanften Witz: „Wie nennt man Kondome für Emos? – Weingummis!“ Dazu: Ein bisschen Derrida und Timbaland, Bloc Party, Retro-Trends und schwuler Sound. Macht Lust, neue Mixtapes aufzunehmen, und es erzählt auch selbst von Tapes, in einem seiner letzten Texte, überschrieben mit „Wuchernde Nischen – Die Umwälzungen auf dem Tonträgermarkt und das Ende des Konsens“ aus der Jungle World #16/2009.
Der Text fängt, für uns hochinteressant, mit diesen beiden Abschnitten an und war für mich Anlass, endlich wieder diese Zeitung zu kaufen. Wie oft vergesse ich, was gut ist für mich: „Nach einem gelungenen Konzert von Datashock, einer Band, deren Musik im weitesten Sinne als Free Folk oder Neopsychedelic klassifiziert werden kann, drückt mir der Sänger eine Plastiktüte in die Hand. Er ist auch Betreiber des kleinen Labels »Meudiademorte« und hat Rezensionsmaterial für mich zusammengestellt. Es handelt sich um einen Plastikbeutel voller Audiokassetten. Ja, richtig: »Meudiademorte« veröffentlicht fast ausschließlich Kassetten. Und zwar nicht irgendeinen Schrott, sondern hochkarätige Künstler aus den Bereichen Noise, Folk und freie Improvisation. Auch Thurston Moore von Sonic Youth hat dem Mini-Label aus Saarlouis exklusives Material zur Verfügung gestellt. Ein echter Sonic-Youth-Fan sollte sich also von dem Gedanken verabschieden, seinen alten Kassettenrekorder zu verschrotten. Obwohl dies naheliegend wäre, da die Produktion von Kassetten demnächst komplett eingestellt werden soll. Insofern handelt es sich fast schon um einen anarchischen Akt der Verweigerung, als Label die Musik auf einem Speichermedium zu veröffentlichen, für das nur noch die wenigsten Menschen ein Abspielgerät haben. Oder sollte man es besser als bewusste Selbstmarginalisierung bezeichnen, die mit der sperrigen Musik auf diesen Kassetten korrespondiert? Einem Journalisten bringt diese Tüte voller Kassetten allerdings ziemlich wenig: Ich kenne kein Magazin mehr, das noch Tapes bespricht. Und ich kenne fast kein Magazin mehr, das Tonträger von Labels rezensiert, die nicht als potenzielle Anzeigenkunden in Frage kommen.“
Hier gibt es den kompletten Artikel und hier alle Jungle World-Texte von Büsser, quasi als Ergänzung zum großartigen Sammelband aus dem Ventil-Verlag. (…) Wir, Christian Vorbau und ich, hatten aber auch Glück, u.a. mit Gavin Blackburn, der einen wunderbaren Beitrag für DW World geschnitten hat (wir erinnern uns). Und da wir gerade bei ausländischen „Kassettendeck“-Reviews angekommen sind. Ich kann kein Spanisch, hoffe aber, dass hier auch „gelobt“ wird: „Ultimamente mi novia a menudo me dice que soy un nerd. Porque – según ella – cuando trato de música – escuchando, escribiendo, hablando – me metería en un túnel y no veo más otra cosa que tiene que ver con la vida real. Obviamente yo le digo que eso es cualquier cosa. No soy nadie que tiene un solo tema que habla cuando habla solamente sobre música y que sí conoce otra gente a quienes no les gusta la música tanto como a mí.“
Wer uns auf jeden Fall gelobt hat: die WELT am Sonntag mit einer Seite übers „Kassettendeck“: Der Titel lässt zwar Schlimmstes befürchten, weil er den Verdacht nahelegt, es könnte sich um den x-ten Versuch handeln, aus einem weiteren Aufguss der Generation-Golf-Idee noch einen Verkaufsschlager zu machen. Doch das ist zum Glück nicht der Fall. Einige Texte schwelgen zwar durchaus in Nostalgien für jenes Band, von dem viele geglaubt hatten, es sei fürs ganze Leben. Aber Drees und Vorbau bleiben dabei nicht stehen, sondern gehen das Phänomen mit Interviews, literarischen Texten, essayartigen Aufsätzen und journalistischer Faktenrecherche an. Es gibt Beiträge von Prominenten wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Smudo von den Fantastischen Vier oder dem DJ Hans Nieswandt, aber auch von weniger bekannten Nutzern der Musikkassette.“
Die österreichischen Kollegen vom Falter: „Kassettendeck lädt zur Zeitreise in die 70er-, 80er- und 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die Kassette noch weit verbreitet war. Platten wurden aufgenommen und machten im ganzen Freundeskreis die Runde. ‚Home taping is killing music‘, gab sich die Musikindustrie schon damals apokalyptisch. Ein Ex-Bootlegger beschreibt, wie er als Jugendlicher mit dem Verkauf von Konzertmitschnitten auf Kassette mehr verdiente als seine Eltern. Und dann gab es noch die persönlichen Mixtapes, auf denen man Lieblingssongs für Freunde und – noch öfter – Angebetete in ausgeklügelter Reihenfolge zusammenstellte, um zu sagen, was man mit Worten nicht schaffte. Gefruchtet haben diese Minne-Kassetten, in die viel Liebe und Herzblut floss, allerdings eher selten.“ Jetzt aber raus, raus, in die Sonne. Nerds müssen keineswegs blass sein, glauben wir.
Martin Büsser: „Music is my boyfriend“, Ventil, 256 S., 14,90 Euro