Satte 928 Seiten hat das Debüt „Gegen die Welt“ von Jan Brandt, obwohl es im ostfriesischen Jericho spielt. Vielleicht geht dieser Heimatroman auf, weil Ufos und Thrash-Metallern eine tragende Rolle zukommt?
Wer den Schutzumschlag abnimmt, wird vom Wortgetümmel erschlagen. Auf karminrotem Grund stehen unzählbar viele Begriffe, als eine Art Roman-Appetizer: „Horst Hrubesch, Tigernüsse, Lungenschmacht, Guns N’Roses, Roter Riese, Kräuterblut, Vespa, Joystick, Tinnener Tannen, Jever, Grindcore, Atter-Euter-Rezept.“ Und so weiter. „Gegen die Welt“, eine hauptsächlich in den 80er Jahren spielende Dorfgeschichte über den leicht psychotischen Drogistensohn Daniel ist ein Mashup aus modernen Mythen (von Ufo-Entfühungen bis zum Bibel-Code), aus Popkultur und Politik.
Daniels Eltern besitzen eine Drogerie, die vierteljährlich mit peinlichen Slogans für ihre Waren wirbt :“Hausfrauen aufgepasst: Der Frühling steht vor der Tür! // „Sommer, Strand und Sonnenschein! Reib ihr den Rücken ein! // Herbst – Zeit für Zweisamkeit! Babysachen zum Einstiegspreis! // „Dem Winter einheizen! Mit Vitaminkapseln, Kräutertee und Kondomen!“ Daniel muss diese Blättchen „voller Scham“ im Auftrag seines Vaters austragen. Weshalb man sich nicht wundern muss, wenn er sich in andere Leben träumt – zum Beispiel in das eines Ufo-Entdeckers.
Eines Tages wird Daniel im halbtot im verschneiten Maisfeld aufgefunden – und seitdem behauptet er, ein Ufo sei gelandet, es habe ihn entführen wollen. Über zwanzig Jahre später, am 9. August 1999 wird er sogar Bundeskanzler Gerhard Schröder vor den Außerirdischen in Jericho warnen, vor den Eindringlingen, die echte Körperfresser sind:
„Der Austausch der gesamten Menschheit steht unmittelbar bevor. Aber seien Sie vorsichtig, wenn Sie nach Ostfriesland fahren, um sich einen Überblick zu verschaffen. Schauen Sie den Menschen nicht in die Augen, sehen Sie die Leute nie direkt an, egal, was sie zu Ihnen sagen.“
Der Ostfriese als Außerirdischer – das klingt nach Klamauk, ist aber kein OTTO-Gag, sondern eher ein romantisches Stilmittel, das einen die Welt mit neuen Augen sehen lässt. Und Jan Brandt lässt seinen Helden durch etliche Brillen blicken. Da ist die Heavy-Metal-Band „Kill Mister“ (Motörhead-Fans nicken nun wissend), aber auch der Konfirmandenunterricht, den Daniel mit unschuldigen Bibel-Zweifeln torpediert: „Ich meine, ist doch komisch, dass bei Matthäus Jesus zwei Blinde heilt und bei Markus nur einen.“
Daniel schließt Freundschaft mit einem Satanisten. Er beteiligt sich an Mofa-Rennen und wird verdächtigt, ein Neonazi zu sein. Er will als Lokaljournalist brillieren und sorgt für einen Mettbrötchenskandal, der deftig nach hinten losgeht. Er wird des Plagiats beschuldigt, der Brandstiftung, der Unzucht mit Minderjährigen und dann gelangen auch noch Drogen in seinen Urin. „Gegen die Welt“ muss er sich auflehnen, gegen die Gläubigen und die Ungläubigen, gegen Vater, Mutter, Tod. Dieses Buch ist en norddeutsches Ereignis – eine Art „Wacken“ in Buchstaben. Pflanzenpornos kommen irgendwo auch noch vor. Manchmal hat man den Eindruck: Rückwärtsgespielt stecken mindestens Mordaufrufe und Außerirdischengrüße in diesem Buch.
(Jan Brandt: „Gegen die Welt“, Dumont, 928 Seiten, 22,99 Euro / Taschenbuch: Dumont, 12,99 Euro)
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