Turnschuhe aus Sweatshops haben nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Aber weltweit vernetzte Jugendkulturen zeigen schon heute, wie faire Globalisierung funktioniert. – Prominente Autoren berichten in dieser „change“-Kolumne von ihren Erfahrungen mit dem Thema „Gerechte Globalisierung“. – Das Beitragsbild zeigt Wesley Pentz (Diplo) im Jahr 2014.
Zu Hause bedeutete Gerechtigkeit, dass ich den Kuchen teilen und mein jüngerer Bruder eines der beiden Stücke aussuchen durfte. Minutenlang stand ich also mit dem Messer in der Küche und bemühte mich, zwei exakt gleich große Stücke zu schneiden. Mein Bruder und ich waren Grundschüler. Wir schenkten uns nichts. Es war klar: Er würde stets das größere Kuchenstück nehmen.
25 Jahre später stehe ich, trotz eine geisteswissenschaftlichen Studiums, das mich von Aristoteles‘ Tugendlehre über Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ zu Jürgen Habermas‘ Diskurstheorie leitete, weiterhin unter dem ganz simplen Eindruck dieses Kuchenteilens. Gerechtigkeit ist für mich gleichbedeutend mit Symmetrie. Alle müssen sowohl wählen als auch profitieren können.
Wenn deutsche Sportartikelhersteller Turnschuhe in asiatischen Sweatshops produzieren lassen, hat das viel mit Globalisierung, aber nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Es profitiert lediglich eine Partei.
Denkt man aber an die tamilische Rapperin Mathangi Arulpragasam aus London oder an die Erlebnisse des Kölner Elektronik-DJs Hans Nieswandt in Hanoi, an den Oscar-Gewinn des Bollywood-Blockbusters „Slumdog Millionäre“ oder an die Baile Funk-Musik des US-Amerikaners DJ Diplo, dann ahnt man, wie „gerechte Globalisierung“ funktionieren kann – als „Cultural Sampling“. Davon haben wir alle was.
Beim Sampling werden Teile eines Musikstücks in einem neuen Kontext verwendet. 1996 entstand mit DJ Shadows „Endtroducing…..“ ein Album, das aus sage und schreibe 500 verschiedene Samples besteht. Popkulturelle Globalisierung funktioniert ähnlich und die Londoner Rapperin Mathangi Arulpragasam (besser bekannt als M.I.A.) ist ein perfektes Beispiel.
Ihre Eltern kommen aus Sri Lanka. M.I.A.s Vater war Mitglied der paramilitärischen Organisation „Liberation Tigers of Tamil Eelam“. Eine fremde Welt. Wer kennt sich schon mit tamilischer Kultur aus? Doch aus dieser Kultur kommen die sehr speziell klingenden Folk- und Filmmusiksamples, die M.I.A. in ihre Hits einbaut, unterstützt übrigens von DJ Diplo, der eine ordentliche Prise Baile-Funk aus den Favelas von Rio de Janeiro hinzufügte. Auf den Indie-Parties meines Kumpels Christian Vorbau gehen alle Hände in die Höhe, wenn M.I.A. aufgelegt wird.- 2008 dechiffrierten europäische Kinogänger einen zunächst fremd anmutenden Bollywood-Plot über den Quizshowgewinner Jamal Malik: „Slumdog Millionäre“ wurde im Jahr darauf mit acht Oscars ausgezeichnet, unter anderem für M.I.A.s „Paper Planes“ in der Kategorie „Beste Filmmusik“.
Zur gleichen Zeit reiste mein 1LIVE-Kollege Hans Nieswandt mit dem Goethe-Institut nach Asien und legte in Hanois Hongkong-Techno-Hallen auf. Verwundert stellte er fest, dass vietnamesische Fans wie selbstverständlich über Neuerscheinungen deutscher Electro-Acts reden und dass sie sich via Chat, Blogs, MySpace-Seiten täglich über den „Sound of Cologne“ informieren.
Was ich damit sagen will? – Sweatshops werden durch rigidere Kontrollmechanismen irgendwann ins Abseits gedrängt. Ich hoffe auf eine „self-fullfilling prophecy“. Bis dahin zeigen junge Musiker, Filmemacher, Modedesigner aus allen Ecken dieser Welt, wie kultureller Reichtum ohne chauvinistische Tendenzen in den globalisierten Kulturkreislauf integriert werden kann, wie einzelne Stücke, Samples, neue Musik, neue Filme, neue Geschichten hervorbringen können.
Jugendkultur ist für die noch sehr junge Globalisierung das, was für mich das Kuchenstück in meiner Kindheit war – sie zeigt, wie Gerechtigkeit funktioniert. Man muss Zyniker sein, um diesen Vergleich abzulehnen. Denn für mich steckt in ihm die Hoffnung auf eine neue, faire Welt, in der wir alle nicht nur abends tanzen, sondern auch tagsüber leben wollen.