Die Kinoadaption von „Nichts als Gespenster“ gibt Judith Hermanns wundersam verblassenden Bildern die Handlung zurück.
Gefühlvoll! Großartig!! Virtuos!!! Die Kommentare zu Judith Hermanns Bestsellern „Sommerhaus, später“ und „Nichts als Gespenster“ ähneln sich. Leser und Kritiker sind sich einig. Soll aber die genaue Handlung dieser tatsächlich gefühlvollen, großartigen, stellenweise sogar virtuosen Geschichten aus dem Kopf nacherzählt werden, fängt das Stammeln an. – Die inzwischen 37-jährige Autorin hat um die Jahrtausendwende das fadenscheinige Entweder-Oder-Leben, das unentschlossene Fühlen und kopflose Lieben der sentimentalen Um-die-Dreißig-Generation beschrieben. In ihren Geschichten warten verträumte Städter im kubanischen Juli auf Hurrikans, hintergehen kopflose Frauen ihre beste Freundin, reden Pärchen nassgeschwitzt auf staubigen Highways aneinander vorbei. Die Handlung tritt in den Hintergrund.
Martin Gypkens hat nun mit klugen Regieeinfällen fünf Erzählungen Judith Hermanns zum Leinwandleben erweckt – wobei erwecken vielleicht die falsche Vokabel ist. Denn diese Geschichten schlummern weiter; ineinander verzahnt dösen sie ihrem melancholischen Ende entgegen. Da sind Ellen (Maria Simon) und Felix (August Diehl) auf ihrem überhitzten Digicam-Trip durch die amerikanischen Canyons, ein längst entliebtes Pärchen, das plötzlich auf eine Geisterjägerin trifft und das Wort „Magie“ neu entdeckt. Oder Irene (Ina Weisse) und Jonas (Wotan WIlke Möhring), die sich auf Island von ihren gescheiterten Beziehungen erholen wollen, bei Jonina (Sólveig Arnarsdóttir) unterschlüpfen und plötzlich ihre Liebe zueinander finden. Wotan Wilke Möhring treibt diesen lebensdurstigen Blondschopf Jonas virtuos (da ist es wieder, dieses Wort) an seine Peinlichkeitsgrenzen, lässt ihn jauchzend durch eine verschneite, stille Welt tapsen, als sei dieser gestandene Mann ein kleines, verzücktes Kind.
Die bezauberndste Figur aber ist Marion (Fritzi Haberland), die mit ihren tragikkomischen Eltern durchs hochwassergefährdete Venedig irrt, obwohl sie die ferne Stadt lieber allein erkunden will. „Du musst den Stadtplan richtig falten.“ – „Papa!“ – Diese Helden spielen, und manchmal verzocken sie sich. „Sie sehen etwas in den anderen, was relativ wenig mit der Realität zu tun hat“, sagt Regisseur Martin Gypkens im Interview. „Ihnen geht es darum, sich ein Leben vorzustellen, sie sehnen sich nach einer anderen Welt, wo die Dinge und das Zwischenmenschliche einfacher und schöner und glücklicher sind.“ Aber diese andere Welt, hinter den Bergen, ist nur eine unwahrscheinliche Version. Nicht mehr, Mehr nicht.
Natürlich unterscheidet sich der Film „Nichts als Gespenster“ von der Erzählvorlage, schon allein deshalb, weil hier fünf Geschichten kreuz und quer, nicht einzeln hintereinander, montiert werden. Zudem wirkt das Drehbuch pointierter. Oft wirken die Bilder wie lakonische Kommentare; sie füllen etliche Leerzeilen von Judith Hermanns Texten, kolorieren das Setting, sie hauchen realen Personen echtes Leben ein. Martin Gypkens Helden folgt man gern, ihnen haftet etwas Wunderbares an – und doch sind die wesentlich mehr als nur: Gespenster.
Judith Hermann: „Nichts als Gespenster“, Fischer, 320 Seiten, 8,95 Euro