Ausgangspunkt für diesen Roman sei die Beschäftigung mit der eigenen kindlichen Wahrnehmung gewesen, sagte der Autor und Schauspieler Matthias Brandt im „Büchermarkt“, und nicht so sehr die eigene Biografie. Besonders das Alter zwischen sieben und zwölf sei ein emotionaler Fundus, der auch für ihn als Schauspieler sehr wichtig sei.
In Ihrem Debüt-Geschichtenband „Raumpatrouille“, der gerade bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienen ist, gibt es eine Vorrede, einen kleinen Satz, mehrere Sätze sogar, dort steht: „Alles, was ich erzähle, ist erfunden, einiges davon habe ich erlebt, manches von dem, was ich erlebt habe, hat stattgefunden.“ Das erinnert mich an „Mein Name sei Gantenbein“ von Max Frisch. Dort steht der Satz „Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, nun sucht er die Geschichte zu seiner Erfahrung.“ Wie werden bei Ihnen Erfahrungen zu Geschichte? Ich habe dieses kleine Motto, wenn man so will, der Sache vorausgestellt, weil ich natürlich kenntlich machen wollte, dass man das nicht als rein autobiografisch zu verstehen hat, was dort steht. Das ist Punkt eins. Hat auch einen Nebenaspekt, dass ich ja immer gewissermaßen herkunftsbedingt darauf achten muss, dass da nicht Dinge, die ich mir ausdenke, zeitgeschichtlich eingeordnet werden womöglich. Und dann ist das so, dass ich grundsätzlich nicht unbedingt so an objektiv belegbare Erinnerung glaube. Ich glaube, dass – mein wunderbarer Kollege Joachim Meyerhoff hat das, glaube ich, in einem seiner Bücher mal so formuliert, „Erfinden heißt erinnern“. Und das beschreibt, glaube ich, relativ gut den Prozess, durch den ich da auch gegangen bin. Also eher so rum, erfinden heißt erinnern, nicht erinnern heißt erfinden.
Erfunden haben Sie folgende Erinnerungen. Erinnerungen an Ihre Kindheit, Erinnerungen an Begebenheiten, die vollkommen kindlich sind, die auch keineswegs überhöht dargestellt werden. Es geht beispielsweise um den Moment, in dem der Zauberkasten ausgepackt wird. Es geht um Halsschmerzen, die gerade anfangen. Es sind kleine Momente, die eigentlich jede Kindheit vor allen Dingen prägen. Das heißt „Raumpatrouille“, rekurriert damit auch auf einen bestimmten Teil, auf einen Wunsch, den viele Kinder haben, nämlich: Sie wollen sich als etwas Größeres träumen. Wie würden Sie den Inhalt dieses Buchs, die Geschichten, die Sie erzählen, mit eigenen Worten beschreiben? Ausgangspunkt für das Schreiben überhaupt war für mich – also neben der Tatsache, dass es sich um ein gemeinsames Projekt mit dem Musiker Jens Thomas handelt – die Beschäftigung mit kindlicher Wahrnehmung. Gar nicht so sehr nur mit meiner eigenen Kindheit, sondern im Nachdenken darüber, was mich erzählerisch dort interessieren würde, stand eigentlich die kindliche Wahrnehmung im Vordergrund und nicht das Autobiografische. Weil ich doch sehr stark das Gefühl habe, dass das etwas ist, was bis zum heutigen Tag in meinem Schauspielerberuf auch eine enorme Rolle spielt. In dieser Zeit, die dort beschrieben ist, es ist, grob gesagt geht es um einen Zeitraum zwischen dem siebten und dem zwölften Lebensjahr. In diesem Zeitraum liegt eigentlich der emotionale Fundus von allem. Und da der emotionale Fundus für mich als Schauspieler ja etwas extrem Wichtiges ist, habe ich dazu auch immer eine sehr lebendige Erinnerung oder Verbindung gepflegt.
Weil man im Schauspielunterricht zum Beispiel auch gesagt bekommt, das man, wenn man weinen soll vor der Kamera, sich erinnern soll, beispielsweise, wie der Hund gestorben ist, der eigene Hund, was ja auch Thema ist im Buch. Hat es damit zu tun? Na ja, sagen wir mal, partiell. Weil im Schauspielunterricht wird einem viel erzählt, und wie jeden Handwerksberuf lernt man aber auch den Schauspielberuf eben dadurch, dass man ihn ausübt. Und ich habe da nie so sehr an Methodik geglaubt. Aber, was natürlich stimmt, es gibt so sehr prägende Erlebnisse in dieser Zeit, und Sie benennen jetzt den – also der Tod des Hundes als erster großer Verlust, den man erlebt, und man findet so ganz fundamentale oder existenzielle Empfindungen in so einer Reinform in dieser Zeit, und das fand ich interessant. Ich fand es interessant, mich noch mal in diese Perspektive zu begeben und trotzdem von heute aus diese Perspektive zu untersuchen.
Direkt am Anfang beschreiben Sie, dass seit einiger Zeit Wachleute auf dem Grundstück patrouillieren, und man hatte Ihnen sogar hinten beim Gemüsegarten, wo es in den Wald ging, eine Baracke gebaut, in der Sie wohnten: „Ich hatte mich über die Stockbetten in den Stuben gewundert, als ich einmal hineingegangen war.“ Das hat Sie an das Schullandheim erinnert. Diese Menschen waren da, um für Schutz zu sorgen, wirkten aber in dieser Geschichte wie eine Bedrohung. Wobei es da Unterschiede gab. Es gab die Uniformierten, die patrouillierten auf unserem Grundstück, die waren mir eher unheimlich. Und dann gab es andere, die ich sofort auch instrumentalisiert habe als Vertraute und als Spielkameraden. Und ich glaube, so beide Facetten sind in den Geschichten auch drin. Aber das war auch alles, muss man sagen, etwas kleiner dimensioniert natürlich als heute. Wie vieles andere auch war das eher eine diffuse Geschichte mit der Bedrohung und für mich nicht wirklich zu orten, woher die kommen sollte.
Matthias Brandt: „Raumpatrouille“, KiWi, 176 Seiten, 18 Euro