Zwei Feinde, der frühere TV-Moderator Gursky und der einsame Großschriftsteller Schweitzer verbrüdern sich auf Kuba, um einen Hai zu töten. Doch eine umheimliche Macht bedroht das Leben der beiden „Jäger“.
Blutüberströmt steht Gursky im Clearasil-blauen Meer: „Komm her“, flüstert er den Zitronenhaien zu. „Komm“, souffliert er dem Bullenhai, auch Zambezi genannt oder Gemeiner Grundhai, „dem Alleskönner, der im Seewasser genauso existieren kann wie im Süßwasser und dessen Testosteronausstoß in der Tierwelt ohne Beispiel ist.“
Während Gurskys hochschwangere Freundin Nathalie in Deutschland wartet, irrt der 30-Jährige zwischen Kuba und den Bahamas, um einen Hai zu töten: „Es sollte, so kann man sagen, die letzte Tat eines alten Lebens werden, der Abschluss; und gleichzeitig die erste Tat einer neuen, ruhigeren Existenz.“ Gursky setzt sein Geld, seine Liebe und sein Leben ein, wird zum wilden Tier – vergeblich. Zum Schluss opfert er sich den Haien.
Gerade eben noch war Gursky Star eines Musiksenders. Seine Karriere beginnt, als er Herbert Grönemeyer anpöbelt. Der „Bochum“-Barde regt im Studio regelmäßige Künstlerdebatte über soziale Probleme, „Rechtsradikalismus sei zum Beispiel so ein Thema“, und Kabelträger Gursky ruft aus dem Off: „Hervorragende Idee, Herr Grönemeyer! Sie könnten zur Eröffnung dann ja jedes Mal Ihr Lied ,Currywurst‘ singen, bevor Sie mit Juden und Palästinensern Friedensverträge aushandeln!“
Gursky stellt Passanten bloß, die für Promotiongeschenke von DJ Bobo dreimal hintereinander den Satz „Ich bin dumm, dumm, dumm“ wiederholen. Er bietet Michael Jackson seinen Knabenpo an. Gurskys Humor kommt bei den Zuschauern an. Alle lieben ihn. – Doch dann sitzt Schweitzer in Gurskys Studio, der elegante, eigensinnige Autor des umfeierten Drogenromans „Villeroy & Boch“. Und Schweitzer ätzt: „Mein Buch richtet sich auch gegen Sendungen wie diese.“
Eben diesen Schweitzer trifft Gursky Jahre später in Havanna, an dem Ort also, wo der Mythos Hemingway längst zur Folklore degeneriert ist, wo männliche Begierden von billig gekleideten Huren gestillt werden, eine Welt, fernab der Haie. Schweitzer bittet Gursky, dass er mitgenommen wird, auf die Jagd, Schweitzer will raus aus dieser Plastikhölle. Und aus Feinden werden Gefährten.
Schweitzer ist gerade von seiner Freundin Nina verlassen worden, einer ätherischen Schönheit, mit der er eine Festung gegen die „Pornoversion der Liebe“ gebaut hatte, jene Form, „die heute so populär ist und die im Wesentlichen daraus besteht, dass es schon reicht, sich nicht zu sehr auf die Nerven zu gehen, um sich Liebende zu nennen. Die Form der Liebe, deren Bild sich zusammensetzt aus der Palmers Werbekampagne, roten Rosen und einem Kuss im Mondlicht. Die Form der Liebe, die sprachlich verroht und nur noch ein Klischee ist, abgenutzt von Millionen ungewaschener Finger und Millionen schlecht gewählter Adjektive. Die Liebe als Massenware, die keine Verpflichtung und keinen Respekt mehr kennt, die Art Liebe also, für die es Geschenkegutscheine von Douglas gibt.“
Aber die Festung stürzt ein.Schweitzer wird angreifbar. Schlechte Voraussetzungen für einen Jäger. „Denn nur ein Hai fängt einen Hai.“ Zwei Zivilisationskinder setzen sich unbedacht der unbarmherzigen Natur aus, denken, sie könnten es mit einem der gefährlichsten Raubtiere aufnehmen. Aber sie scheitern, immer wieder. Sie fangen den Hai nicht. – Als ihnen klar wird, dass sie die Touristenfalle Havanna im Kopf nie verlassen haben, als sie sich losreissen und zu archaischen Kriegern mutieren, wecken Sie in Exuma, unterm Wendekreis des Krebses, die dunklen Mächte der Natur. Werden Sie ihren letzten Kampf überleben? – So sehen große Romane aus. So, und selten anders.
Marc Fischer (1970-2011) freier Journalist und Schriftsteller. Er schrieb unter anderem für Spiegel. Stern, SZ, und das dummy-Magazin. Sein 2001 erschienener Debütroman „Eine Art Idol“ erzählt von einem modernen Samurai. „Jäger“ seziert ein Jahr später den „neuen Mann“, nimmt es dabei mit Ernest Hemingway auf und fragt nach der Liebe in Zeiten des Krieges.
(Marc Fischer: „Jäger“, KiWi, 250 Seiten, 9,90 Euro)
„Woran starb Marc Fischer?“ in der aktuellen Ausgabe von Brand eins
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