„Ich finde schon, dass die Figur an sich einen Teil der Generation sehr gut widerspiegelt, weil dieses Thema Ich-AG, ich muss mich irgendwie selber durchsetzen, in Mittel- und Osteuropa wirklich Thema des Tages ist“, sagt Michal Hvorecky, einer der spannendsten osteuropäischen Schriftsteller unserer Zeit, im Interview. „Man muss irgendwie selbst seine Lösungen finden. Der Staat hilft uns nicht mehr und auch Michal, meine Hauptfigur, träumt von Berühmtheit in gewissem Sinn und hat wirklich keine Moral mehr. Der lebt so außerhalb jeder Ethik, die es gibt, das finde ich schon extrem.“
Michal, der genauso heißt wie sein Autor, aber nichts mit ihm gemeinsam hat, kommt ursprünglich aus Prag und ist alles andere als ein Glückskind. Seine homosexuellen Eltern widmen sich lieber ihren Partnern, anstatt dem hübschen Jungen Geborgenheit zu geben. Der tschechoslowakische Staat sorgt dank ständiger Razzien und Verhöre für einen anständigen Frühschaden des Jungen und zeigt Michal eindrucksvoll, warum Lügen weiterbringt. Nach Stationen in Bratislava und Berlin avanciert Michal zum Erste-Klasse-Schwindler und was er im Sozialismus lernte, wird ihm nach der Wende 1989 auf ganz anderem Feld nützten.
Der ausgebildete Schauspieler bewirbt sich bei der Callboy-Agentur „Eskorta“ und belügt ab sofort reiche Managergattinnen aus dem Westen, die noch einmal im Leben hören wollen, wie schön sie sind, koste es, was es wolle. Und Michal kostet. Schnell avanciert er zum begehrtesten Pferd im Stall. Sein Leben entwickelt sich rasant, wird glamourös, ereignisreich. Turbokapitalismus Galore heißt die Devise. Doch dann fällt Michal langsam vom hohen Ross, sinkt von den Sternen hinab in den Staub, weil er langsam älter, blasser, drogenabhängiger, schlaffer wird. Bis selbst die Liebe nicht mehr hilft. Oder doch? Der Slowake Michal Hvorecky, in Deutschland durch seinen Porno-Metropolenroman „City“ 2007 bekannt geworden, schreibt eine große, phantastische Geschichte aus den Niederungen unserer Zeit, „Bonjour Tristesse“ in Bratislava. Ebenso anziehend wie verwirrend. Tolles Buch.
Michal Hvorecky: Eskorta, übersetzt von Mirko Kraetsch, Tropen, 250 S., 19,90 Euro