Mit ihrem von zahlreichen Manipulationen erzählenden Debüt „The Girls“ gelang der Kalifornierin Emma Cline 2016 ein weltweiter Erfolg. In „Die Einladung“ erzählt sie jetzt auf raffinierte Weise von ungesunder Beeinflussung, toxischer Abhängigkeit – und von einer jungen Frau in der Pool- und Meereslandschaft auf Long Island.
Lebensgefährlich kann der betörende Gesang in Wassernähe sein. Darüber berichtet die Literatur seit Jahrtausenden – von den todbringenden Sirenen in Homers „Odyssee“ über die täuschend liebliche „Loreley“ bis zur sagenhaften Undine, die ihren Liebhaber zu Tode küsst. Vorsicht ist demnach angebracht, wenn schöne Verführerinnen in Wassernähe auftauchen, wie jetzt in Emma Clines Roman „Die Einladung“. Das 22-jährige Callgirl Alex schwimmt und floated durch die Pools und Buchten von Long Island, in angespannter Hoffnung, irgendwer ließe sich einfangen von ihrem stets teuren Liebreiz. Allerdings laufen ihre Geschäfte schlecht.
Alex hat in den vergangenen Monaten mehrere Menschen um Geld betrogen, ein Gerstenkorn verunstaltet ihr linkes Augenlid, die Stammkunden rufen nicht mehr an. Außerdem ist sie nach ausstehenden Mietzahlungen aus ihrer Wohngemeinschaft geflogen. Die professionelle Verführerin ist strenggenommen obdachlos. Da erscheint die sommerliche Bekanntschaft mit dem wesentlich älteren Kunsthändler Simon wie eine Rettung. Simon lädt Alex in seine Villa auf Long Island ein. „Den Rest des Sommers würde sie hier verbringen, mit Simon, und dann im September – hatte Simon seine Wohnung in der Stadt. Es war die Rede davon, dass Alex einziehen könnte. Wann immer Simon auf eine mögliche Zukunft anspielte, senkte Alex den Blick; ihre Verzweiflung wäre sonst zu offensichtlich gewesen.“
Im Jet Set von Long Island
Diese Verzweiflung, sie würde untergehen, treibt Alex durch dreihundert atemraubende Seiten. Sie bietet sich als Spiegel und Gesellin, als Verständnisvolle und Mätresse an – für einen Lebensstandard, den diese junge Frau nicht selbst finanzieren kann. Doch auch die so günstige Liaison mit Simon endet abrupt, nach einem kleinen, von Alex verschuldeten Autounfall und einem weniger kleinen, peinlichen Ereignis während einer hochnoblen Gartenparty. Sie wird zurück auf die Straße – oder vielmehr an den Strand gesetzt, wo Alex fortan übernachten möchte, bis Simons Ärger möglicherweise verraucht und ihre Wiederkehr gesichert ist.
Bis dahin flaniert die Gestrauchelte durch den Jetset Long Islands, erschleicht sich den Einlass in einen exquisiten Strandclub, erhält Zugang zu einer Clique viel zu junger Kids, sie streunt durch weitere Häuser, wo sie spätestens auf der Toilette nach potentiellem Diebesgut Ausschau hält. „Es gab keinen Schrank zum Durchsuchen, keine Pillen zum Abstauben – eine Gästetoilette. Auf einer hohen Kante lag ein Lippenstift – offensichtlich Helens, dort gebunkert zum Nachschminken während der Party. Alex war drauf und dran, ihn mitzunehmen, doch der Lippenstift war ein burgunderroter Stummel. Nicht sehr schmeichelhaft.“
Sympathisch ist diese so berechnend-neoliberal agierende Alex in keinem Augenblick – aber das gilt auch für die Figuren in Bret Easton Ellis’ Romanen, an die Emma Clines „Die Einladung“ erinnert. Inszenierte Oberflächen, lakonische Dialoge, eine stumpfe, emotionale Leere inmitten des materiellen Überflusses kennzeichnen dieses Setting.
Spiegelnde Wasserflächen
Unter dem Titel „The Guest“ wurde die Geschichte im Original veröffentlicht – und ein ewiger, zumeist sich selbst einladender Gast bleibt Alex die gesamte Zeit. Nie gehört sie wirklich dazu, niemand möchte sie tatsächlich integrieren, überall wird sie nach kurzer Zeit hinauskomplimentiert. Kurze Momente der Ruhe findet diese Figur lediglich allein – in Wassernähe.
„Alex saß im Schatten und hielt die Beine in den Whirlpool. Das Sonnenlicht verzerrte die Oberfläche des Pools. Sie las ein Memoir, das sie im Wohnzimmerregal gefunden hatte, ein altes gebundenes Buch, dessen buttergelbe Seiten so spröde waren, dass sie sich mühelos mit dem Fingernagel einritzen ließen. Sie hörte, wie irgendwo auf dem Grundstück ein Laubbläser ging, dann das Geräusch eines Rasenmähers. Hin und wieder lief ein Mann in langen Ärmeln und Baseballkappe mit einer Mülltonne voll Unkraut vorbei. Als sie ihm zunickte und winkte, sah er nur zu Boden.“
Ein Laubbläser stört das Idyll und gemahnt Alex, dass auch sie lediglich Dienstleisterin ist. Der vom Sonnenlicht schillernde Pool erscheint als Verheißung, die sich nicht erfüllen will. Die hohe literarische Raffinesse dieses Buchs zeigt sich insbesondere in den spiegelbildlichen Wasseranalogien. Dass eben diese an John Cheevers Short Story „Der Schwimmer“ von 1964 erinnert, ist bereits in den angelsächsischen Rezensionen hinreichend angemerkt worden.
Der brackige Tümpel
Doch ebenso erinnert eben diese Analogie an die sehr artifizielle Verfilmung des André-Aciman-Romans „Call me by your name“, hier wie dort wird deutlich, dass die vielfachen Strömungen auf Heraklits „Panta rei“-Konzept verweisen. Alles fließt in diesem Roman, wie ein reißender Fluss ist Hauptfigur Alex in permanenter Bewegung. Sie, die so gern eine Sirene, eine Loreley oder Undine wäre, droht selbst, unrettbar hinabgezogen zu werden. Zum Ende schaut sie betrübt in einen brackigen Tümpel: “Das Wasser war dreckig. Keksfarbener Schaum trieb auf der Oberfläche, sichtbarer Schmutz hatte sich am Boden des Beckens abgelagert. Sie hockte sich hin: Das Wasser war eiskalt.”
Das Wasser ist eiskalt, trotz des Hochsommers, und die Kälte wird zum Sinnbild einer inneren Erstarrung, die keine Verführung, keine Nähe auflösen konnte. Emma Cline, die bereits in ihrem Debüt „The Girls“ von der gefährlichen Kraft hochmanipulativen Verhaltens erzählte, zeigt erneut, dass der Wunsch, Macht über seine Mitmenschen zu bekommen, aus einer Ohnmacht heraus entsteht – und dass diese Ohnmacht schlechterdings nie aufgelöst werden kann. „Die Einladung“ ist ein herausragendes poetisches Beispiel narzisstischer Spiegelsucht, ein literarischer Tiefenpsycho-Thriller, dessen Bilder die Netzhaut reizen, als hätte man viel zu lang in die gleißende Sommersonne von Long Island geschaut.
Emma Cline: „Die Einladung“, aus dem Englischen von Monika Baark, Hanser, München, 320 Seiten, 26 Euro