Wie Menschen mit einem jüdischen Elternteil verfolgt und ausgegrenzt wurden – am 20. Juli gedenkt die Stadt der deportierten Juden.
Die Nationalsozialisten nannten sie „Mischlinge“: Menschen mit einem jüdischen und einem nichtjüdischen Elternteil. Sie wurden von 1933 bis 1945 verfolgt, ausgegrenzt, verstoßen. Die Begegnungsstätte Alte Synagoge hatte einen Abend mit dem Titel „Sag’ bloß nicht, dass du jüdisch bist“ veranstaltet – exakt zu diesem Thema. Es referierten die Wuppertalerin Sonja Grabowsky und die evangelische Theologin Brigitte Gensch aus Köln. Gensch ist Vorstandsvorsitzende des Vereins „Der halbe Stern“, der an NS-Verfolgte jüdischer und teiljüdischer Herkunft erinnert.
Gensch sprach über Antisemitismus in der protestantischen Kirche, hatte nicht vergessen, die vielen Helfer und Widerstandskämpfer zu erwähnen und sie präsentierte schockierende Erkenntnisse: „Weniger bekannt ist, wie nahezu durchgehend die protestantische Theologie, die evangelischen Theologen, antisemitisch eingestellt waren. Dieser zwar nicht auf Ausrottung fixiert, aber doch auch so hinreichend gefährliche Antisemitismus herrschte nicht nur in Kreisen der sogenannten Deutschen Christen, die eindeutig nationalsozialistisch gesinnt waren, sondern zieht sich bis weit in die Kreise der Bekennenden Kirche hinein, also des kirchlichen Widerstands gegen das NS-Regime. So nannte sich der Generalsuperintendent Berlin-Brandenburgs, Otto Dibelius, einen bekennenden Antisemiten. Ähnliches gilt für die Landesbischöfe der sogenannten intakten Landeskirchen, wie Bischof Wurm oder auch Bischof Meiser aus Bayern. Beide wirkten an der Barmer Bekenntnissynode von 1934 mit.“
Gensch zitierte Bischof Meiser aus einer Artikelserie von 1926: „Gegen diese Art der ‚Verjudung’ unseres Volkes können wir nicht energisch genug ankämpfen (…) Gott hat jedem Volk seine völkische Eigenart und seine rassischen Besonderheiten doch nicht dazu gegeben, damit es seine völkische Prägung in rassisch unterwertige Mischlingsbildungen auflösen lässt.“ Gensch dazu; „In den Jahren nach 1945 versuchte sich die Kirche dann freizusprechen. Die einstigen Täter inszenierten sich als Opfer.“
Die anwesenden Zeitzeugen hatten dergleichen in den vergangenen 62 Jahren allzu oft gehört. Darüber reden könnten sie im Nachkriegsdeutschland nicht. Es wurde verschwiegen, man wollte „versöhnen, statt spalten.“ Sonja Grabowsky interviewt eben diese Zeitzeugen, spricht mit ihnen über die Scham, „Opfer zu sein“, und berichtet: „In Gesprächen mit den Betroffenen vergleichen sie sich stets mit den Juden und wägen deren Leidensgeschichten mit der eigenen ab. So betont nahezu jeder Interviewpartner, wie verhältnismäßig gut es ihm oder ihr im Vergleich zu den deportierten Juden gegangen sein“, erklärt Grabowsky. Verdienst ihrer Arbeit ist die Erinnerung an eben diese Schicksale.
Infos: Sonja Grabowsky, 1973 in Wuppertal geboren, ist Diplom-Erziehungswissenschaftlerin und Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung. Sie promoviert im Fachbereich Bildungs- und Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal. In ihrer Dissertation geht sie der Frage nach, welche Verfolgungserfahrungen Personen mit einem nicht-jüdischen Elternteil während der Zeit des Nationalsozialismus gemacht haben. Sie untersucht, welche Rolle diese Diskriminierung heute im Leben jener Menschen spielt. Zudem führt sie auch Interviews mit Kindern und Enkeln der Betroffenen, um herauszufinden, welchen Einfluss die Verfolgung eines Eltern- beziehungsweise Großelternteils auf deren Leben hat.