Linkradar: Ist Gier gut

Welche Aussagen können über den Zustand einer Branche getroffen werden, wenn ihre logistischen Probleme in den Vordergrund rücken? Man denkt nur an die schlimmen Brötchen unserer Tage, die nicht mehr aus nahe gelegenen Backstuben in den Verkaufsraum gelangen, sondern als billigst erwärmte „Teiglinge“ daherkommen. Logistik vs. Geschmack. –  Lange Zeit brillierte der deutsche Buchhandel mit einem Logistiknetz, das sich mit Apotheken messen konnte, als ein „Amazon Prime“ avant la lettre. Jetzt hängt die angebliche Branchenzukunft an einem defizitär wirtschaftenden US-Konzern (siehe dieser Beitrag). Im aktuellen Linkradar geht es deshalb um Bibliotheken, Buchhändler wie Ocelot oder Einar & Bert und um das Amazon-Buch von Heike Geißler aus Leipzig. 

Rafael-Horzon_Bibliothek-BuchregalChaos und Ordnung: Gerade räume ich meine Wohnung auf, genauer: Das Bücherregal – ausgerechnet alphabetisch, nachdem ich jahrelang eine Sortierung nach Verlagen hatte. Aber beim Buchmessenempfang der Frankfurter Verlagsanstalt schaute ich mir besonders interessiert die Regale von Verleger Joachim Unseld an und dachte auf dem Weg zur Schlafstatt darüber nach, dass Unordnung nicht gleich Chaos bedeutet (da Bücher, anders als Platten, CDs, DVDs unterschiedlich groß sind – ein Reiz, den TheBookDesignBlog schön widerspiegelt). Rafael Horzon hat vor Kurzem im Suhrkamp-Logbuch seine ideale Sortierung verraten (siehe Bild), bleibt aber ebenso am Alphabetischen hängen.

UnknownDer Vielfalt Herr werden: Es sind immer die Differenzen, die Kommunikation schaffen (da bleibe ich auf Niklas Luhmanns Seite), weshalb es besonders schön ist, wenn neben Amazon, über das gerade trotz Rekorddefizits nahezu ausschließlich im Betrieb gesprochen wird, auch andere Orte vorhanden sind, über die man Bücher bekommen kann – bald zum Beispiel in Berlin, wenn mit Einar & Bert eine Theaterbuchhandlung eröffnet (und ein 30-tägiges Marathonprogramm veranstaltet, mit Karsten Krampitz (2.11.), Milo Rau (17.11.) und Dramaturg Bernd Stegemann (24.11.), Autor des großartigen Bandes „Kritik des Theaters“ (Bild) – noch mehr zum Thema gibt es hier im LesenMitLinks-Blog.

Steiff-BärEine Seuche: das sind Nonbook-Angebote, die auf den besten Tischen etlicher Buchhandlungen liegen. Einspruch? „Einkaufskörbe, Kaffee und Korkenzieher vom Buchhändler? Warum nicht! Funktionieren kann alles, was sich stimmig inszenieren lässt. Nonbooks sollen Bücher nicht ersetzen, sondern wir­ksam in Szene setzen und ihre Markenzeichen – Anspruch, Qualität, Origina­li­tät – unterstrei­chen.“ (Bild rechts: ein Steiff-Teddybär). Den größten Dreck findet man aber bei Amazon – wie diese Ebola-E-Books, die nicht nur den amerikanischen, sondern auch den deutschen Markt überschwemmen und aus großartig klingenden Verlagen kommen wie Niwlag, Mabuse, ATQ und: riva!

220px-Paul_Krugman-press_conference_Dec_07th,_2008-8Ökonom Paul Krugman (Bild) hat gerade erst die Zerschlagung des Amazon-Konzerns gefordert. Buchreport schreibt dazu: „In die gleiche Richtung zielt der Journalist Franklin Foer im Magazin „The New Republic“, für den Amazon ‚das leuchtende Beispiel eines neuen goldenen Zeitalters der Monopole‘ ist, ebenso wie Google und Wal-Mart. Nach Foer müsse der Fokus vom alles  dominierenden Verbraucherschutz hin zum Kartellrecht und dem dem Schutz der Produzenten verlagert werden.“ – Wie es weitergehen kann hat die Wirtschaftswoche hier skizziert: „Als Vorreiter in Deutschland gilt das Traditionsunternehmen Bastei Lübbe“ die Filme, Bücher, Computerspiele, E-Books und Apps produzieren.

hartmut_lange_c_mangoldtIn eigener Sache: Zum Glück besteht die eigene Arbeit nicht nur aus Amazon. Angefangen haben sowohl mein Seminar zur „Kulturkritik“ an der Uni Düsseldorf als auch das zu „Hartmut Lange“ (Bild) in Münster – mit guten Ideen für Berlin-Exkursionen, Blogformate, neue Formen des Lesens – beispielsweise von Games: über die ich hier bei der „Next Level Conference“ sprechen werde und über die heute in der Welt am Sonntag berichtet wurde. Airen mag meinen „New Level“-Beitrag. Im Freitag gab es neue Texte, unter anderem über das Amazon-Buch „Saisonarbeit“ von Heike Geißler (am Kiosk, nicht online) und über „Die schamlose Generation“ von Sven („unser Mann in Moskau“) Kuntze.

Konsuminventur

UnknownGier: Vorgestern traf ich für den Rolling Stone René Pollesch nach seiner ersten Probe für das neue Stück „Rocco Darsow“. Dort sagte der 51-jährige Regiestar: „Nichts fordert uns auf, gierig zu sein. Das muss niemand sein. Damit will man sich nicht schmücken. Gierige Leute werden gehasst.“ Dann erinnert man sich, dass eine Frau 1728 Stunden und 15 Minuten als „Praktikantin“ im Supermarkt gearbeitet hat, und nun doch nicht die ihr erstinstanzlich zugesprochenen 17.000 Euro erhält. Passend dazu Karen Duve in diesem Deutschlandfunkbeitrag: „Gier und Schamlosigkeit siegt über Intelligenz“, sagt sie und frag sich: „Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen.“

Das Beitragsbild ist ein Fundstück vom ItsNiceThat-Blog

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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