Erst erhält Nora Gomringer (hier und hier im Blog) verdientermaßen den Bachmannpreis und auf der Seite Literaturcafé wird der Literaturwissenschaftler Klaus Kastberger zum besten Juror der Veranstaltung gewählt. Dann bekommt der erstmalig beim Bachmann-Bewerb 1983 einem breiteren Publikum bekannt gemachte Rainald Goetz (hier und hier im Blog) den Büchner-Preis zugesprochen. Für Wirbel sorgte in Folge dieser Kommentar des „emphatischen“ Buchprüfers Volker Weidermann, der Goetz in der Vergangenheit verrissen, nun aber – „wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?“ – in den Himmel gehoben hatte. Aufgefallen war dieser Gegensatz Michael Angele, Feuilletonchef des Freitag, der zwei diametral sich gegenüber stehende Ausschnitte auf Facebook postete. Die WELT kommentierte daraufhin süffisant: „Hat Goetz die Poetik des Vorläufigen nicht selbst zum Maßstab erhoben, als er in ‚Abfall für alle‘ von ‚einer probierenden, tastenden, aber auch impulsiv explosiven, sich im Zweifelsfall am nächsten Tag korrigierenden, widerrufenden Äußerungsart und Schreibweise‘ sprach? Vielleicht hat Weidermann Goetz‘ Poetik einfach schon am besten verinnerlicht.“ (Das Beitragsbild zeigt Schreibmaschine großer Schriftsteller.)
800 Euro: „Hauptberuflich ist Sara Bow Fashion-und-Beauty-Bloggerin. Sie testet Kleidung und Make-up und bewertet Produkte in ihrem Blog und auf ihrem Youtube-Kanal.“ Die Süddeutsche Zeitung berichtete über die Münchner Booktuberin, die angeblich 800 Euro mit der Empfehlung von seichter Lektüre verdient. Vermutlich will Sara keine neue Daniela Strigl werden. Oder? Thomas Brasch macht im Blog unmissverständlich klar: „ich finde es grauenvoll, dass diese Darbietungen, dieses ungenierte Plappern von Sara Bow & Co. erfolgreich Bücher verkauft. Soviel Neid muss sein.“
Social-Media-Instanz: Als eben diese wird Karla Paul hier bei „w&v“ vorgestellt (ich kenne das Magazin aus meiner Zeit bei der BBDO in Düsseldorf und n.a.s.a.2.0 in Hamburg). Im Interview spricht sie über Hybridleser, Sebastian Fitzek, das digitale Literaturfestival für Liebesromane #Herzenstage und sagt: „Die Verlage richten sich nach den erfolgreichsten Multiplikatoren und das sind inzwischen Blogger, Booktuber sowie private Leser mit entsprechend beliebten Accounts. Die Clickrate hat die Auflage ersetzt und wer dies nicht für sich zu nutzen weiß, der hat das Internet leider bis heute nicht verstanden.“
Bloggerrelations: Sperrfristen sind kein reines Phänomen des Kultursektors. Auch im Wissenschaftsbereich werden Studien vorab an Fachreporter geschickt. Journalisten publizieren Nachrichten, sobald diese in der Welt ist. Sperrfristen stehen diesem Prinzip im Weg. Wie sollte damit umgegangen werden? Für Aufregung sorgte ein (sogar mit dem Verlag abgesprochenes) Vorabportrait von Daniel Kehlmann 2009 im SPIEGEL, eine Woche bevor sein neues Buch erscheinen sollte. David Hugendick berichtet damals auf zeit.de:
„Es war eine komische Unterschriftenaktion. Zum Rezensionsexemplar des neuen Daniel-Kehlmann-Romans Ruhm lag ein Papier bei. Auf ihm stand in etwa das: Wer das Buch vor seinem Erscheinen bespricht, der zahle 250.000 Euro Strafe.“ Rowohlt verklagte das Nachrichtenmagazin, tauchte ein halbes Jahr lang regelmäßig im Hohlspiegel auf. Zur Zahlung der Viertelmillion kam es dagegen nie. Jetzt berichtet Buchhändlerin Nina auf ihrem Blog Hauptsachebunt von einem kuriosen Erlebnis mit dem mare-Verlag. “Die Schatten von Race Point” von Patry Francis lag bereits vor der Sperrfrist im Buchhandel aus – dennoch verweigerte der Verlag eine Öffnung der Frist. „Auch das [sic!] bereits die ersten Rezensionen bei Amazon und Lovelybooks zu finden sind, fand bezüglich der Aufhebung keine Gnade. Ich darf dieses Buch also nur dann bewerben, wenn ich es mir bestelle“
In eigener Sache: Arco berichtet, dass aufgrund des Büchner-Preises (siehe oben) die Verkäufe meines Buchs „Rainald Goetz – Irre als System“ angezogen haben, was freilich eine schöne Sache ist. Gefreut habe ich mich über die Auszeichnung von BücherBlogger für Lesen mit Links in der Kategorie „Hohe inhaltliche Qualität“. Hier war der Blog auf Spiegel.de. Neue Texte gibt es über das Bachmann-Lesen hier und hier und hier, sowie dieses Interview mit Kathrin Röggla. Weiter diskutiert wurde über diesen „Wofür wir brennen“-Text, den ich zur „Kritikerdebatte“ beigesteuert habe: „Literatur(kritik) [ist] mehr […] als Arbeit, Broterwerb, Wettkampf um den nächsten Preis, die kommende Pressereise, die Legitimation, sich beim LCB-Sommerfest neben diesen oder jenen Großkopferten zu stellen.“
Konsuminventur
Pay per view: Der janusköpfige Amazon-Konzern hat zuerst einen mit 30.000 Euro dotierten Literaturpreis ausgeschrieben, dann bekanntgegeben, dass die Ein-Stunden-Lieferung kommen wird und hernach zum 1. Juli ein neues Vergütungsmodell eröffnet. Self-Publishing-Autoren sollen nur für jene Seiten Honorar bekommen, die gelesen worden sind. In Deutschlandradio Kultur begrüßt Stephan Porombka (Bild) diese Entwicklung: „Wir haben lange darauf gewartet, dass es Streaming-Dienste gibt auch für die Literatur (…)
“Es war klar, dass das ein neues Abrechnungssystem mit sich bringt und dass das alles nochmal durcheinander wirbeln wird.“ Auf diese Weise entstehe ein neues Spielfeld mit neuen Spielregeln, auf dem sich die Autoren nicht etwa eingeschränkt fühlten, sondern „entschränkt“. „Es gibt eine Möglichkeit für Autoren, kürzer zu schreiben“, sagte Porombka. Das könne den Leser dazu animieren, dranzubleiben und das nächste zu lesen. – Der deutsche Schriftstellerverband VS nennt diese Entwicklung jedoch „eine Katastrophe.“ Vorsitzende Eva Leipprand wird im Börsenblatt mit den Worten zitiert: Tendenziell drohe damit eine außerordentliche Gefahr für den Schreibprozess der Autoren. Dieser müsse aufgrund des neuen Bezahlmodells nun zuallererst darauf gerichtet sein, die Leser „kontinuierlich im ‚Cliffhängerstil‘ von einer Seite zur nächsten zu treiben.“