Ist es wirklich schon so spät? Die Woche 4 im „Büchermarkt“ des Deutschlandfunks hat für mich bereits begonnen und nach der betriebsärztlichen Untersuchung steht fest, was höchstens weit Außenstehende vermuten, aber wohl kaum die mir Nächsten in meinem ADHS-Umfeld: Ich habe mitnichten Bluthoch-, sondern sogar Blutniedrigdruck, 110:70, um genau zu sein. Ich bitte darum, während der bald stattfindenden Buchmesse hier und da daran erinnert zu werden, auch unverlangt. Unverlangt sind ja oft auch Manuskripte und der KiWi-Verlag zeigt auf seinem Blog die kuriosesten Anschreiben („Ich habe ein Manuskript erstellt. Es besteht aus 140 Seiten. Es handelt sich um ein Thema, worüber noch nicht geschrieben worden ist. Wenn sie daran interessiert sein sollten, dann melden sie sich bitte bei mir.“). Nicht gemeldet hat sich in dieser Woche Ferdinand von Schirach bei der F.A.Z., weshalb wir später auch abtauchen, und zwar ins Bücherwurmloch und von dort zum Findelkraken.
Verlegerinnen, über die man spricht: Dank dieses Interviews mit Piper-Verlegerin Felicitas von Lovenberg (Bild) wissen wir nun, dass es nie ein „Moodboard“ für den inzwischen arg zusammengesparten Berlin-Verlag gegeben hat (lag es daran?). Das Interview kommt allein auf Felicitas von Lovenbergs Seite mit vier, auf Seite des Interviewers Torsten Casimir mit, je nach Zählung, drei bis fünf zum Teil einrahmenswerten Anglizismen daher, vom „Power Tower“ über den klassischen „USP“ bist zu jenen „pain points“, für die auch ich mir keine deutsche Bezeichnung vorstellen mag.
Ferdinand von Schirach: Selten schafft es ein deutschsprachiges Theaterstück dieser Tage, einen Diskurs zu entfachen, der annähernd heranreicht an die Debatte um Ferdinand von Schirachs „Terror“. Die F.A.Z. hatte den Bestsellerautor zum Gruppengespräch geladen, doch zugesagt haben lediglich Gerhart Baum, Bundesinnenminister unter Helmut Schmidt, und Burkhard Hirsch, von 1994 bis 1998 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Sie urteilten harsch über das Stück, als sei es ein Gesetzestext und keine Literatur, die sich vor allem ästhetischen Kriterien zu beugen hat. Vorgeworfen wird dem „Terror“-Stück fehlende Moral, ein Argument, das man
seit vielen Jahren nicht mehr gehört hat, vielleicht zuletzt bei den Querelen um Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“. Gerhart Baum über die bald in der ARD zu sehende Verfilmung: „Hier wird doch in Wahrheit über das Grundgesetz abgestimmt. Und die Richter sitzen im Wohnzimmer. Und welche Konsequenz soll eine solche Abstimmung haben? Wird dann noch der regionale Vergleich gezogen, wie die Zuschauer in den einzelnen Ländern abstimmen? Was soll daraus hervorgehen? Ich rate Herrn Herres, dem Programmdirektor der ARD: Lassen Sie das!“ – Ferdinand von Schirach ist übrigens nicht mehr Autor von Piper, sondern zu Luchterhand gewechselt.
Rant wegen Grant: „Ich hatte da einen Lauf. Und zwar im negativen Sinne: In letzter Zeit hab ich sehr viele schlechte Bücher gelesen, viele davon direkt hintereinander, was noch schlimmer ist, denn da sinkt meine literarische Laune auf den Nullpunkt, und ich werde richtig grantig.“ Das erzählt die Österreicherin Mareike Fallwickl hier auf ihrem Bücherwurmloch-Blog und kotzt sich aus, unter anderem über Fiona McFarlanes „Nachts, wenn der Tiger kommt“ mit den Worten: „Dieses Buch ist wie eine unruhige Nacht: Ich bin immer wieder eingedöst, kann mich an nichts Zusammenhängendes erinnern und hatte am Ende einen schalen Geschmack im Mund.“ Ebenfalls ihr Fett weg bekam Olga Grjasnova.
Büchermarkt – Das Magazin: Randvoll waren unsere Sendungen in dieser Woche (hier kann man alles nachhören). Es ging unter anderem um „fleurs“ von Friederike Mayröcker, um „Museen in Not“, um „Sport und Schriftsteller“, um den Erzählband „Fallensteller“ von Saša Stanišić, um „Cybersex, Cyberkultur, Cyberspace“, wir erinnerten an Angelika Schrobsdorff, die im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben ist und am Samstag gab es wieder „Die besten 7 Bücher für junge Leser“, mit „Fisch!“ von Linda Wolfsgruber (Bild). Die „Lesezeit“ brachte Mittwochabend Teil 1 von Joachim Geils Roman „Ruhe auf der Flucht“ – Teil 2 folgt am kommenden Mittwoch ab 20:30 Uhr.
Und weg: „Vor ziemlich genau einem Monat, am 27. Juni, löschte die Google-Tochter Blogspot ohne Vorwarnung ‚DC’s‘, den Blog des großen amerikanischen Autors Dennis Cooper. Bis heute gab es, trotz zahlreicher Anfragen, keine offizielle Erklärung der Firma zu dem Grund der Entfernung. Coopers Gmail-Adresse wurde ebenfalls deaktiviert.“ Das berichtet Schriftsteller Clemens Setz in diesen taz-Text. Thierry Chervel vom Perlentaucher kommentiert in der Welt: „Die eher netzaffinen Akteure fragen sich nun (…) ob Cooper vielleicht gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Google verstoßen habe (…) es verblüfft mich, dass die kommentarlose autoritäre Löschung des Blogs insgesamt doch wie ein Schicksalsschlag aufgenommen wird, als wäre Google eine nicht infrage zu stellende Instanz (…) Dumm ist dabei, dass auch die traditionellen Medien nichts lieber tun und täten, als die Öffentlichkeit zu privatisieren.“
Mit Sinn und Verstand: Wer sich über das Beitragsbild oben wundert, erhält nun die Aufklärung. Zu sehen ist Wibke Ladwigs Findelkraken, den die Literaturbloggerin (oder umfassender in eigenen Worten: die Social Web Ranger, Ideenkatalysatorin und Wortschatzjägerin) vor drei Jahren auf der Straße gefunden hat und seitdem als persönlicher Büroleiter durchs Leben schleppt. Auf Nachfragen erklärt Wibke Ladwig: „Er bekam übrigens bereits Bücher, Postkarten und sogar eine rotgestreifte Mätresse zugesendet … Menschen machen in Workshops und auf der Buchmesse Fotos mit ihm – nicht mit mir. Ich bin etwas eifersüchtig.“
Pausenvideo
Auch DIE FILMANALYSE kann nicht umhin und muß selbstverständlich über die Männerrolle diskutieren. GHOSTBUSTERS von Paul Feig, ein Remake des beliebten Films aus den 80ern, bietet einen neuen Zugang, der allerdings nicht unproblematisch ist. Wolfgang M. Schmitt jun. jedenfalls ist betroffen und auch traurig über diesen Film und er erklärt warum – mehr dazu im Video!
Konsuminventur
Bekifft zum Ruhm: Dirk von Gehlen hat es getan, Tilman Rammstedt und der Buchhandlungsreisende Torsten Woywod: Sie haben das Budget für ihre Bücher im Internet eingeworben, via Crowdfunding. Mit der erfolgreichen Poetry-Slammerin Lara Stoll (Bild) wird der Kreis aktuell auf sehr unterhaltsame Weise vergrößert. Für ihr Filmprojekt „128h“ sammelt die Schweizer Künstlerin Geld; und bietet als Gegenleistung Kuriositäten an wie eine persönliche E-Mail inklusive erotischem Anhang für neuen Schweizer Franken. Für 7.500 Schweizer Franken gibt es folgendes Angebot: „Man darf einmal in Lara Stolls Badewanne baden die im Film vorkommt, falls das nicht dein Ding sein sollte bekommst du stattdessen eine Tageskarte für das Alpamare. Producer-Credit, Filmgeschichte schreiben, Kinotickets und Minipic sind selbstverständlich ebenfalls enthalten.“ Dass auch ein Joint erworben werden kann, hat zu Querelen geführt.