#92 in einer Woche, die mit einem Abschied begann und von weiteren Abschieden begleitet war. Ronja von Rönne, jene Autorin, die 2015 von Hubert Winkels zu den #TDDL 15 eingeladen worden war und deren Text für große Diskussionen gesorgt hatte, verlässt die WELT. In ihrem letzten Brief schreibt sie: „Die WELT gab mir damals Schlüssel in die Hand, ohne groß danach zu fragen, ob ich den Führerschein eigentlich schon bestanden hatte oder ob ich wirklich qualifiziert sei, ein so großes Fahrzeug zu steuern. Manchmal war das vielleicht ein Fehler, aber das Schöne war, dass man mir nie dieses Gefühl gab.“
Resterampe: Tobi von Lesestunden, der bereits die Buchblog-Toplist initiiert hat, die regelmäßig alle Buchblogs in eine Aufmerksamkeitsordnung zwingt, bietet auf seiner Seite eine Karte öffentlicher Bücherschränke (hier). Allein in meiner Heimatstadt Wuppertal gibt es 18 Stück – und ich kannte bislang nur jenen am Laurentiusplatz. Wie schön ist es, dass, hierzu passend, die Klagenfurter „Bibliothek ungelesener Bücher“ von Julius Deutschbauer (Bild) ihr 20-Jähriges feiert mit einer Ausstellung vom 12.10. bis zum 22.12. dieses Jahres. Das Beitragsbild oben zeigt deshalb auch Heimo Strempfl, Direktor des Musilmuseums und einer der Patronen dieses Projekts.
Alle weg: Der niederländische Verlag Querido, 1933 von Emanuel Querido mit dem aus Deutschland geflüchteten Verlagsleiter Fritz Landshoff gegründet, verliert wegen Umstrukturierungsplänen über 30 Autoren. Das Börsenblatt berichtet hier: „Alle sechs Lektoren von Querido-Kind weigerten sich, den „historischen wie inhaltlichen Bruch“ (wie ihn Bestsellerautor Edward van de Vendel am Dienstag im „NRC Handelsblad“ bezeichnete) zu vollziehen und reichten ihre Kündigung ein. (…) Schriftsteller wie Guus Kuijer, Toon Tellegen, Joke van Leeuwen, Francine Oomen, Edward van de Vendel, Bart Moeyaert und Anna Woltz, auch hierzulande Bestsellerautoren, solidarisierten sich und wollen mit den Lektoren neu anfangen, auch die Erben von Annie MG Schmidt und Fiep Westendorp (gewichtige Backlist-Autoren) schlossen sich an.“
Leseempfehlung: Ich folge seit einiger Zeit dem „Kaffeehaussitzer“ Uwe Kalkowski, der fasziniert und begeistert ist von Geschriebenem und im Boersenblatt-Interview mit Katharina Gröger Buchblogs als Marathonlauf bezeichnet und damit vom schnellen Sprint abgrenzt (siehe unten: Gunnar Cynybulk, der im „Büchermarkt“-Portrait Ähnliches über die Tätigkeit als Verleger sagt). Schönster Satz vom Kaffeehaussitzer, den ich sofort unterschreiben kann: „Das Wort ‚Arbeit‘ verwende ich im Zusammenhang mit dem Bloggen eigentlich nicht. Das Foto (links) stammt von Vera Prinz.
Pausenbild
Hygge sein: Das Bild habe ich vom RavenClawReign-Tumblr, dessen Motto „let’s dive into an old book and drink hot chocolate while we listen to the rain and the smell of fresh cookies tickles our noses“eine Sehnsucht beschreibt, die man etwas prosaischer mit jenen Worten beschreiben kann, die Hubert Winkels einmal zu mir während der Mittagspause im Deutschlandfunk gesagt hat: „Lesen ist die schönste Form, das Vergehen von Zeit zu spüren.“
Konsuminventur
Vom Tisch: Freitag lag dieses wirklich gelungene Designheft in der Süddeutschen Zeitung. Selbstverständlich widmet es sich auch den Schreibtischen von Schriftstellern. Michael Krügers Schreibtisch ist übrigens acht Meter lang (was niemand verwundert), während Friedrich Ani zugibt: „Ich hatte einen Tisch, der war so klein, dass kaum meine Schreibmaschine draufpasste.“ Ronja von Rönne (siehe oben) bekennt: „Der Tisch kommt von Amazon und hat so wenig gekostet, dass man sich über die Herstellung keine Gedanken machen kann“, während Martin Suter auf Art-déco setzt (Haarpflegeprodukte waren überraschenderweise nicht auf dem SZ-Bild zu erkennen). Schöner Satz von Sibylle Berg: „Mein Schreibtisch ist irgendein Schreibtisch. Wäre der Tisch nicht der Tisch, könnte es auch ein anderer sein.“
Buch der Woche
In der kommenden Woche fängt Gunnar Cynybulk bei Ullstein an – (hier im „Büchermarkt“-Portrait). Der frühere Leichtathlet Cynybulk begeistert mich, denn ihm sind die vielen Läuferromane bei Aufbau zu verdanken, darunter auch „Finish“ von Tom McNab, der einst den schottischen Dreisprung-Rekord inne hatte. In seinem zweiten Läuferroman erzählt er von Billy Joe Speed (der Name ist Programm) und Buck Miller. In den 1870er Jahren tingeln die beiden Cowboys als Schausportler, Zirkusangestellte und Bühnenmimen durch die Varietés, Spelunken und Festzelte Amerikas. Zwischen Shakespeare-Aufführungen und zeitgenössischen Bühnenmelodramen stellen sie sich absurden Wettkämpfen wie einem Hochsprungduell mit einem Pferd, oder einem schlachtenähnlichen Todeslauf gegen rachsüchtige Indianer. Was irritiert: die angegebenen Zeiten über 100 und 400 Meter können nicht stimmen, und dass es in den 1870er Jahren Läuferspikes gegeben haben soll glauben nicht einmal Sofa-Olympioniken. McNab hat seinen Roman mit erzählerischem Biss anständig ins Ziel gebracht, bevor sein Text hinter der Linie dehydriert zusammenbricht.
Lieber Jan Drees, ich freue mich sehr, dass Sie wieder regelmäßig lesenmitlinks unter die Leute bringen. Habe eben noch mal das Interview mit Hartmut Lange gelesen „Ich bin Gefangenschaft“ Das ist so allumfassend um diesen Denker zu charakterisieren. Großen Dank an Sie.
Danke auch für den Satz „Lesen ist die schönste Form das Vergehen von Zeit zu spüren“
Schöne Grüße aus Leipzig
Margit Mißbach