Linkradar: Schimmelbusch und Spül-Führer

25 Jahre Tiananmen und ein schockierendes Interview, die umfangreiche Prosanova-Nachlese, aus Platzgründen vor allem im Anreißer eben hier, dazu gibt es Schland-Watch zur WM, Plastik im Bier und den vermutlich coolsten Friedenspreisträger der vergangenen Jahre – im LesenMitLinks-Linkradar der Woche.

YIWU,LIAO_010.jpg.382087Wut auf Intellektuelle: „Als 1989 im Zentrum Pekings ein Studentenprotest blutig niedergeschlagen wird, schrieb Liao Yiwu (Foto: Ali Gandtschi) ein wutentbranntes Gedicht – und musste dafür ins Gefängnis.“ In diesem tiefe Betroffenheit ganz von allein herstellenden Interview mit SPIEGEL TV erklärt er, wie er Jahre später Augenzeugen traf. Vielleicht der richtige Augenblick, um noch einmal den Blick auf die verdienstvolle PEN-Initiative „Writers in Prison“ zu verweisen und beispielsweise die Geschichte über den untergetauchten iranischen Musiker und Autor Shahin Najafi aus dem vergangenen Jahr. (Ich traf ihn damals zum Interview in Köln)

riesenmaschineWährend man bei Prosanova den Preis für das beste Pausengespräch lancierte, bereitete das Riesenmaschine-Team ihr Crowdfunding für den automatischen Literaturkritik-Preis vor: „In Klagenfurt treten (…) 14 Autorinnen und Autoren bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur zum öffentlichen Wettlesen an. Eine Jury aus Literaturfachleuten bestimmt vor laufenden Kameras mehrere Gewinner. Weil man als Zuschauer nicht immer nachvollziehen kann, ob ein Text jetzt „rhizomatisch“ oder eine „Engführung gelungen“ ist oder nicht, ergänzt seit 2008 der Automatische Literaturkritik Preis das Geschehen: Mit Hilfe der transparenten und leicht anwendbaren Liste von Plus-und Minuspunkten.“

Heidegger_1955Heidenreich/-egger zum Zweiten im NZZ-Beitrag von Rainer Stadler: “Literaturclub”-Redaktionsleiterin Esther Schneider fand, Moderator „Zweifel habe sich ‚lehrerhaft und besserwisserisch‘ verhalten. (…) Er hätte offenbar nicht nachhaken sollen. Und das, obwohl er in der Sendung nur darauf hingewiesen hatte, dass Heidenreich eine Passage zitiere, die in Heideggers “Schwarzen Heften” nicht zu finden ist, worauf Heidenreich mit einem dreimaligen “doch” widersprach. Ist jemand besserwisserisch, wenn er auf ein falsches Zitat mit heiklem Inhalt aufmerksam machen will? Nein, er nimmt in einem solchen Fall bloss seine journalistische Pflicht wahr.“

2426-1Er hat den Begriff der virtuellen Realität erfunden: Jaron Lanier, der den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2014“ erhalten wird. Mit seinem Buch “Gadget – Warum die Zukunft uns noch braucht” (im Original: “You Are Not a Gadget” – was treffender beschreibt, worum es eigentlich geht) kritisiert der 50-Jährige Internethypes wie die “Schwarmintelligenz” oder den “Open Source”-Gedanken. Bits und Bytes verarmen unserer Wahrnehmung. Ein elektronischer Tonstandart wie MIDI verkleinert wahre Ausdrucksmöglichkeiten natürlicher Musik und wer annimmt, Facebook ermögliche, unsere Person darzustellen, verengt, was Persönlichkeit eigentlich ausmacht.

Robert DurellZugleich glaubt Lanier nicht an die automatische Cleverness des Schwarms.  Einstein sei durch seine Erfahrung, nicht nur aufgrund geschickter Wissensansammlung genial. “Open Source”-Gedanke und die damit verbundene Kostenlosmentalität im Netz behinderten die Kreativität. Was man dagegen tun kann? Eigene, persönliche Homepages erstellen und sich nicht Konzernvorgaben unterwerfen. Musik nicht mehr in Kopien vertreiben, sondern nur einmal verfügbar halten und die Nutzung kostenpflichtig gestalten. Die Maschinen nicht intelligenter reden, als sie sind – auf die eigenen Gedanken und Fähigkeiten vertrauen – weil uns die Zukunft noch braucht. (Foto: Robert Durell)

10417457_10203218066324781_3027739785383461018_nIn eigener Sache: Am Freitag besucht Alexander Schimmelbusch mit seinem Thomas-Bernhard-Roman „Die Murau Identität“ 1LIVE Klubbing. Bereits heute sendet 1LIVE Shortstory „Was man mir über den Klavierspieler erzählt hat“ von Elizabeth Ellen. Der LesenMitLinks-Blog schaut nun zum Spekulativen Realismus, startend mit diesem Abyssus Intellectualis-Text um meinem Armen Avanessian-Portrait im Freitag. Dienstag kommt  um 20 Uhr der irre Linus Volkmann (Bild) ins Wuppertaler Köhlerliesel. Am Donnerstag sitze ich ab 18 Uhr in der Jury des Düsseldorfer Compete-Literaturpreises und Freitag geht es weiter mit meinem Creative Writing-Seminar an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität.

Konsuminventur

10363711_486486378151045_3526687604119636449_nDer Kapitalismus zeigte sich in dieser denkwürdigen Minuszinswoche von seiner toxischen Seite: Da wurden Konzertkarten für ein Prince-Konzert vertickt, dann wieder abgesagt und die entstandenen VVK-Gebühren nicht retourniert. Im guten deutschen Reinheitsgebotsbier fanden sich Mikroplastikteilchen, die schlimmste, hier in einem Fake-Coke-Spot aufgegriffene Vergiftungsphantasien evozierte. Besonders schön ist jedoch die Facebook-Seite Schlandwatch, eine meiner Lieblingskonsumseiten seit dem „Ariel 88“-Fail (Vollwaschmittel mit „neuer Konzentration“). Hier wird regelmäßig die absurde, gerade zu WM-Zeiten überhand nehmende Verknüpfung von Nationalstolz und Warenwirtschaft archiviert.

Das LML-Beitragsbild der Woche kommt von Graphic-Novel-Held Tom Gauld.

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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1 Kommentar

  1. Hallo! Das war ein toller Artikel. Gute Informationen hier gepostet. Ich werde diese Informationen an einige interessierte Freunde weitergeben. Vielen Dank!

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