Kurz vor der Reise nach Prag (den Golem besuchen), auf der Flucht vorm Bachmannpreis in Klagenfurt geht es hier um Hunger- und Mindestlöhne, in memoriam Peter Hetzel, es geht um den Hanser-Bloggertag, den Primark-Hoax und feministische Always-Binden.
Morgen werden die Tage der deutschsprachigen Literatur und damit das ab Donnerstag stattfindende Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis im österreichischen Klagenfurt eröffnet (3sat überträgt live). Zu den großen Favoriten gehört die Schauspielerin Karen Köhler. Eine Geschichte ihres bald erscheinenden Debütbandes „Wir haben Raketen geangelt“ gefiel uns bei 1LIVE Shortstory derart gut, dass wir es bereits vorab gesigned haben. Im Herbst wird an irgendeinem Sonntag ab 21 Uhr die produzierte Lesung mit Musik on Air gehen. Alle Kandidat_Innen gibt es vorab in den Videoportraits, mit stets eigener, oft nah an der Peinlichkeit konstruierter Ästhetik, hier im Literaturcafé.
Till Tolkemitt von Haffmanns Tolkemitt hat am Montag unter #Politkverdrossenheit (sic!) seinen Unmut geäußert. „Wir sollen auf den ‚E-Book-Anteil‘ unseres Bundle-Angebots ‚HardcoverPlus‘ 19% Mehrwertsteuer erheben, auf den Anteil des gedruckten Buchs 7%.“ Das sei nicht realisierbar. Der Service wurde heute um Mitternacht eingestellt. Volontariate gibt es im Verlag ab 2105 auch nicht mehr. Grund: Mindestlohn. „Jeder unserer Volontäre hat im Anschluss an das Volontariat einen Job bekommen, 80% davon in der Verlagsbranche (…) Als Volontär bekommt man bei uns 800 Euro (…). Das ist nicht viel, aber es reicht, um in Berlin davon ein Jahr über die Runden zu kommen, knapp.“
Sendeschluss: Im Sat.1-Frühstücksfernsehen rezensierte Peter Hetzel im Laufe von 24 Jahren über 4000 Bücher − am Wochenende ist der Autor, Journalist und zweifache Familienvater im Alter von 53 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben. Toller Typ. Vor wenigen Tagen hatte er noch einen Klubbingtext von 1LIVE verlinkt, das war so erfreulich, und ich habe seine Sachen wirklich gern gesehen und gelesen, Auf der Leipziger Buchmesse schleppte er sich mit seinem Equipment ab und arbeitete auch ohne SAT 1 weiter. Sein letzter Post bei Facebook vor wenigen Tagen erzählte von dem teuer verkauften Bob Dylan-Script. „Jetzt fehlt nur noch der Nobelpreis für Literatur“, schrieb er.
Selbstreferenz: Freitag besuchte ich den Bloggertag bei Hanser in München. Mit dabei waren Krautreporterin Theresia Enzensberger, taz-Blogger Daniel Schreiber, dessen „Nüchtern“-Kolumne irritierender Weise von besoffenen dpa-Bildern begleitet wird, dann Branchennetzwerker Leander Wattig (ohne Krawatte), FAZ-Bloggerin Annika Reich (hier auf LesenMitLinks) – sind schon alle eingeschlafen, weil Namenslisten nur in der Baby Schimmerlos-Kolumne von Kir Royal interessieren? Noch ein Name: buzzaldrins-Bloggerin Mara Giese (von der auch die schöne Hanser-Collage oben stammt), die tatsächlich nach ihrem Studium einen Job sucht (wer also etwas weiß, meldet sich gern hier).
Metaebene: Bei Hanser diskutierte die sehr divers zusammengesetzte Gruppe u.a. über Kapitalisierungsmöglichkeiten, Motivationen (bei mir ja immer noch: Schreiben gegen das Faul-Sein, als Archiv, als Nachdenkinstrument), über Formate, wie Brainpickings aus den USA, betrieben von Maria Popova. Ich schaue wöchentlich rein, lese die Texte gern, obschon es sehr viele sind (bis zu fünf an einem Tag und mit großen Zitatflächen versehen). Es ist ein „kuratierter Blog“, boshaft könnte man auch Intellektuellen-Heftig.co sagen, also nicht die Schnittstelle Literaturwissenschaft/Journalismus suchend, wie in LesenMitLinks, wo Texte teilweise Wochen bis zur Veröffentlichung brauchen. Klickstark. Gewinnorientiert. Nachmachen?
Konsuminventur
Gefakte Hilferufe in Primark-Klamotten, um auf die tatsächliche Ausbeutung von Näherinnen aufmerksam zu machen – das war schon schlau. Alle haben vergangene Woche darüber berichtet. Das Unternehmen wird trotz der Finte handeln müssen. Druck nimmt zu. Nicht übel. Über Umwege das Ziel erreichen auch große Marken immer wieder: Vom alten Product Placement zum frischeren Guerilla-Marketing bis zum neuen Hype „viral“. Always lässt sich von der Dove-#RealBeauty-Kampagne inspirieren (hier in LesenMitLinks). Dafür verzichtet die Bindenmarke auf blaue Ersatzflüssigkeit und stellt stattdessen junge Mädchen und Frauen vor die Kamera, um bestimmte Bilder von Weiblichkeit als Konstrukt zu entlarven. 14 Millionen Aufrufe bei YouTube in fünf Tagen.