MRR, Thomas Mann, Buchhandels-Neuigkeiten, digitale Kürzesttexte: Der Linkradar ist mehr als ein Blogroll, sondern auch Rechercheinstrument, das nach Kategorien geordnet Feuilletons, Freitextarchive, Wissenschaftssammlungen, Social-Reading-Plattformen, Literaturblogs, Online-Lexika, Netzliteraturprojekte, Faksimile-Archive und dergleichen mehr vorstellt.
Nachmittags rief die 1LIVE Plan B-Redaktion an, um mir mitzuteilen, der große Marcel Reich-Ranicki sei gestorben, ob ich kurzfristig nach Köln kommen könne. Alle hatten einen Nachruf in der Schublade: ich nicht – und auf der Zugfahrt schaute ich flux bei Spiegel.de, FAZ.net und selbstverständlich auch Titanic.de (die jedoch im Wahlkampfkasperletheater steckten). Mein 2:29-Minuten-Stück war so aufgebaut, wie zirka 200 weitere Nachrufe an jenem Tag (Audiofile unten), beginnend mit den ersten Worten des Literarischen Quartetts, einem Ton aus der Fernsehpreis-Ablehnung und den bekannten letzten Sätzen eines jeden Quartetts. War MRR ein Vorbild? Selbstverständlich. Die FAZ des kommenden Tages waren überall ausverkauft, der Literaturkritiker gar auf der Titelseite der BILD-Zeitung.
Matthias Matussek und Frank Schirrmacher schrieben herausragende Nachworte, als hätten sie sich an MRRs Diktum halten müssen: „Herrgott, Sie müssen zeigen, was der Kerl taugte, nicht, wo er zur Schule ging! – „Ich will nicht, dass wir einen Tag später den Nachruf bringen müssen“, lautete die meistens recht fröhlich vorgebrachte Begründung.“ Eine Zusammenstellung seiner besten Sätze aus dem „Literarischen Quartett“ versammelte die Süddeutsche Zeitung. Was MRR für die Literaturkritik in Deutschland im Allgemeinen und die FAZ im Besonderen geleistet hat, mag dieser Satz über die Anfänge in Frankfurt illustrieren: „Als ich hierher kam haben die Redakteure die Gedichte ihrer Tanten gedruckt.“
Kein Wort über den großen Thomas-Mann-Verehrer MRR gab es beim Herbst-Kolloquium der Deutschen Thomas Mann-Gesellschaft, die am vergangenen Wochenende ausnahmsweise nicht in Lübeck, sondern in Bonn stattgefunden hat. Es gab Vorträge, Exkursionen (beispielsweise zu der hier rechts abgebildeten Pieta, die Naphta im Zauberberg in seinem Wohnzimmer stehen hat) und gute Gründe dafür, „Die Entstehung des Doktor Faustus“ als Addendum zu lesen, vergleichbar mit dem zweiten Buch des Don Quijote. Unschlagbares Vortragshighlight: „Mario (aus „Mario und der Zauberer„) ist deshalb so freundlich gezeichnet, weil er eine Mario-Nette ist“.- Seit diesem Wochenende bin ich Mitglied der AG „Junge Thomas Mann-Forscher„, wo ich mich vor allem stark machen werde für das Zauberberg-Spin-off „Waltenberg“ von Hédi Kaddour.
Schleckerfrauen im Buchhandel? In einem Börsenblatt-Kommentar schreibt Martina Bergmann: „Ich erwarte (wie übrigens auch Kunden) von Buchhändlern viel. Ich setze Allgemeinbildung und Umgangsformen voraus, und die Leute sollen wissen, welche Themen wichtig sind. Wenn ich etwas nicht mehr hören kann, dann den Lamento zum Medienwandel.“ Gleichzeitig wird gefragt, was die Wiederwahl der CDU für die Buchbranche bedeutet. Sorgen unterschiedlicher Couleur. Bleibt der Hinweis auf zwei Termine: Am Freitag besucht Zoë Jenny 1LIVE Klubbing, mit ihrem Erzählband „Spätestens morgen“. Zwei Tage später kommt in 1LIVE Shortstory „Keine Ahnung“ von Karen Duve. Es liest die wunderbare Mareike Hein (Bild).
In eigener Sache: In zwei Wochen erscheint das bislang in Vorbereitung steckende E-Book „Twitteratur – Digitale Kürzesttexte„, das ich gemeinsam mit Sandra Annika Meyer verfasse (Ausgangsmoment war diese jetzt.de-Geschichte) – daher schreibe ich aktuelle weniger Blogtexte als üblich. Außerdem muss ich recherchieren, denn am Dienstag kommender Woche spreche ich im „mediacampus Frankfurt“ über „Moderne Formen der Literaturkritik“. Neue/alte Texte sind diese Woche online gegangen: über das Debüt „Mensch ENGEL“ von Gunther Geltinger (der mit „Moor“ gerade seinen zweiten Roman veröffentlicht hat), über das noch nicht erhältliche Album „Die Unsichtbaren“ von „Messer“ aus Münster und über den grandiosen Debütroman „Der Widerschein“ von David Schönherr.
1LIVE PLan B mit Ingo Schmoll zum Tode Marcel Reich-Ranickis
[…] schön, wie Adolf Muschg von einem Spaziergang mit Reich-Ranicki an den Niagara-Wasserfällen erzählt, einer vergleichsweise unumstößlichen Naturerscheinung, die […]