Der Linkradar hat unfreiwillig pausiert – deshalb gibt es einen Rückblick der vergangenen drei Wochen, in denen unter anderem stattgefunden haben: das Open Mike in Berlin, eine Debatte um Feridun Zaimoglu, die irgendwie auch mit der aktuellen Ausgabe des Merkur zusammenhängt. Armen Avanessian schreibt gerade über die prekären Verhältnisse an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten und wem das alles zu komplex ist, der greife zu „Emoji Dick“, der Version von Herman Melvilles Klassiker in japanischen Emoticons (siehe Beitragsbild oben).
Mittlere Güte der mittleren Generation: Gehen die literarischen Maßstäbe vor die Hunde, wenn jeder einen Roman schreibt? Der Merkur prognostiziert einen Verfall – was perfekt ist, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Ingo Meyer fragt, ob gerade ein Abbruch von modernen Romantraditionen stattfindet? Günter Grass (Bild): „überfrachtet“. Juli Zehs Zeug: „unendlich zäh“. Charlotte Roche: „Figurenzeichnung bleibt ein frommer Wunsch“. Uwe Tellkamp: „Wenderoman nach Rezept“. Der letzte Aufrechte: Paul Nizon. Kommentar der taz: „Die Autorennamen, die Meyer weglässt, sind in diesem Zusammenhang bezeichnend. Weder kommt bei ihm Wolfgang Herrndorf vor noch Michael Kleeberg.“
Neoliberalismus Galore: Björn Kuhligk rät den Open Mike-Finalisten. „Schaut Euch kontinuierlich die Programme der Verlage an, knüpft Kontakte zu Lektoren. Überlegt, wo Ihr welches Buchprojekt anbieten könnt.“ Am Ende bekamen die drei Gewinner (darunter Doris Anselm, Bild rechts) eine saftige Watschn. Detlef Kuhlbrodt kritisierte jene Markkonformität, die Kuhligk zuvor angeraten hatte, während Heike Kunert in der ZEIT noch deutlicher gegenüber den Finalisten wurde: „Allein, sie vermögen weder etwas zu erhellen, noch entdeckt man dahinter Erwähnenswertes, geschweige denn Unerhörtes. Man konnte nicht einmal viel Erlebtes entdecken und leider auch nichts sensationell Erfundenes.“
Anti-Interkulturbeserker: Placebo-Romane will Feridun Zaimoglu nicht mehr lesen. „Anekdotentäntchen, gerade mal Ende dreißig, sie sind viel gereist und dumm geblieben, schreiben Hasenfibeln auf, und weil sie fotogen sind, druckt man Fotos von ihnen: Sie sehen aus wie gefönte Königspudel. Natürlich verstehen sie sich als Weltbürger. Was ein Affenwort.“ Das lassen Olga Grjasnowa (Bild), Nino Haratischwili und Lena Gorelik in ihrer „Mit Brüsten heißt nicht ohne Hirn“-Erwiderung freilich nicht auf sich sitzen: „Was macht man, wenn man weniger Talent als Bushido hat und noch keinen Integrationsbambi auf der Nachttischkommode? Richtig, man geht ans Deutsche Literaturinstitut.“
Mit leuchtenden Augen: Wie schön ist dann doch das Statement von der Buchhändlerin Frau Bergmann (Bild), die in ihrem Blog schreibt: „Häufig lesen wir von ihnen, was unsere Zukunft sein soll. Das Buch nach dem Buchhandel. So eine Bücherdämmerung wird da beschworen, wo das Produkt von den Fesseln des Fossils in seinem Raum mit den Regalen befreit worden sein wird. Ich halte das für Unsinn. Wer möchte, kann seine Bücher schon heute an der Tankstelle oder bei Amazon kaufen. Wer das nicht will – aus politischen, ästhetischen oder dritten Gründen, der wird zwangsläufig zum Buchhändler gehen. Wir freuen uns auf jeden Kunden. Seien Sie herzlich willkommen!“
In eigener Sache: Heute als Vorabdruck in der F.A.S., gestern schon hier im Blog ist Armen Avanessian mit „Überschrift“. Morgen geht es hier weiter mit Teil 2 (war auch in 1LIVE mit Moderator Ingo Schmoll). Response gab es einmal kurz von taz-Redakteur René Hamann auf meine „Teneriffa“-Story und auf den „Superlevel“ zum Metrolit-Band. Motiviert, weiter am Roman zu schreiben (auch wenn das jetzt alle machen). Das Kritische Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur veröffentlichte meinen „Jo Lendle“-Essay (mehr hier im Blog) und mein erstes einstündiges Feature zum #Akzelerationismus im „BR2 Zündfunk“ bescherte drei neue Aufträge. Unter anderem geht es bald um Sport und Philosophie.
Konsumimventur
Die Zeit, die bleibt: Durchschnittlich drei Stunden täglich greifen wir zum Smartphone, meldet Gründerszene.de. Frage: Befindet sich der Begriff „Netzjunkie“ noch im aktiven Wortschatz? Auch wenn Stephan Porombka (Bild) an dieser Stelle sehr smart argumentiert, weshalb wir nicht alles, was wir liken, favorisieren, teilen gelesen haben müssen, kann doch davon ausgegangen werden: Es wird gelesen. Weshalb das Smartphone nicht der Tod des Romans bedeuten muss (siehe ganz oben, Merkur) Man stelle sich vor: Menschen machen alles, um ihrem Wasser Kohlensäure zuzufügen und die Getränkefirmen klagten, dass ihr Produkt irrelevant sei. Glauben wir lieber Frau Bergmann.