„Frédéric Schwilden sieht nicht nur aus wie Hitler, sondern erfüllt auch eigenhändig mit nur einem Artikel das Jahresbeklopptheitspensum der ‚Welt‘.“ Diese harte Einschätzung brachte Stefan Niggemeier am Sonntag auf seiner Facebook-Seite anlässlich dieses Textes über den neuen Roman „Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren“ von Antonia Baum, genauer: über einen Tag mit der Autorin. In den Kommentaren legt Niggemeier nochmal nach: „Ich wäre gern dabei, wenn all diese Schwildens und Rönnes Artikel vorschlagen. ‚Worüber schreibst Du diese Woche?‘ – ‚Über mich.‘ – ‚Ach so, nee, klar, aber ich meine: Wen triffst Du dafür?‘“ Etwas versöhnlicher wird es an diesem Sonntagmorgen im Deutschlandfunk, wenn mein Feature zum #Akzelerationismus läuft (aber nicht zu versöhnlich).
Nix Biedermeier: Viel beachtet wurde in der vergangenen Woche das Symposium „Schriftsteller – Kapitalismus – Kritik“ im Berliner Brecht-Haus, das mich deshalb interessiert, weil es den „Social Turn“ (hier im Blog) weiterdreht und, wie Enno Stahl (Bild) es sagt, dem gesamtgesellschaftlichen Bedürfnis Rechnung trägt, „wieder kollektiv j’accuse zu sagen“. Mit dabei u.a.: Thomas Meinecke, Norbert Niemann, Kathrin Röggla, Monika Rinck, Raul Zelik und Ann Cotten. Im neuen Freitag berichtet Kollegin Katja Kullmann. Ebenfalls bereits online ist der „Jungle World“-Text von Jakob Hayner und dieser von der Veranstaltung eher enttäuschte Artikel von Hans-Peter Kunisch in der Zeit.
Radikal jung: Bis übermorgen läuft eines der aufregendsten Theaterfestivals – im Münchner Volkstheater. Ich war von Freitag bis Montag dort, habe mir zahlreiche Stücke angesehen und kann nur trommeln für die Inszenierung von Jessica Glause (Bild), die Sibylle Bergs „Und jetzt: Die Welt“. Drei Schauspielerinnen geben eine (strenggenommen zwei) Figuren, erzählen von Schlägereien in der Mädchengang, von Studienfinanzierungen, die Breaking Bad entlehnt zu sein scheinen, vom SMS-, Chat- und vom Mutti-Terror. Mehr dazu gibt es bald im einstündigen Zündfunk-Feature und im Rolling Stone. Das Beitragsbild oben ist aus der Kölner „Invasion!“-Inszenierung von Pinar Karabulut.
Wohltemperiert alt: ist der 92-jährige Schriftsteller Karl Otto Mühl (Bild), der – so viel Lokalstolz muss sein – zwar in Nürnberg geboren wurde, aber seit Jahrzehnten in Wuppertal lebt. Ich kenne ihn noch vom Joggen, wenn er, die BILD-Zeitung unterm Arm, den Westfalenweg entlangging. Für mich war Mühl, den ich im vergangenen Jahr eben hier persönlich kennenlernen durfte, immer ein Vorbild. Sein 1975, also vier Jahre vor meiner Geburt erschienener Angestelltenroman „Siebenschläfer“ wurde in Kindlers Literatur Lexion der Weltliteratur aufgenommen. Heute bekam Mühl den renommierten Rheinlandtaler verliehen.
Mitleser: In ihrer Buchkolumne weist Karla Paul (die heute Geburtstag hat) auf ein Projekt des amerikanischen Anbieters Jellybooks hin, das eine Art „Google Analytics für Bücher“ vorgestellt hat. Deutschland ist bekanntlich noch nicht im Post-Privacy-Zeitalter angekommen, beäugt misstrauisch die Leseauswertung von Amazon-Kindle. Leser können bei Jellybooks kostenlos E-Books lesen. Dafür verfolgt das Unternehmen das Leseverhalten und wertet es für die Verlage aus. Dazu Karla Paul: „Entstehen so tatsächlich ‚bessere‘ Bücher? Werden bald nur noch bestsellerverdächtige Romane nach einem idealen Schema geschrieben? Können diese Daten den Autoren vielleicht eine wirklich hilfreiche Rückmeldung geben?“
Konsuminventur
50 Maschinen: Der Begriff „Open Source“ ist durch die 1992 in Finnland gestartete Computersoftware Linux bekanntgeworden. Inzwischen gibt es auch in Deutschland eine ganze „Open Source Ecology“ (OSE) über die Kollegin Nora Marie Zaremba im aktuellen Freitag berichtet. „Anstatt an Softwareprogrammen zu basteln und diese zu veröffentlichen, stellen die Mitglieder der OSE-Netzwerke Konstruktionspläne von Maschinen und Geräten online“, schreibt Zaremba. „Auf der Plattform des deutschen OSE-Netzwerks stehen neben dem Bauplan für das Lastenfahrrad auch Anleitungen für eine Zink-Luft-Brennstoffzelle oder eine Windturbine.“ Interessant: Es braucht lediglich 50 Geräte, um ein komplettes Dorf zu bewirtschaften.
Nice blog