Die Frankfurter Buchmesse ist eröffnet, die ersten beiden Abende geschafft – und ich lege einen Off-Day ein, um am Samstag Gewehr bei Fuße zu stehen, wenn wir bei Orbanism über „Literaturkritik“ sprechen. Heute geht es um ein Abendessen mit Wildschwein, den Suhrkamp-Kritikerempfang mit Horsd’œuvre, um das „Buchmessen A-Z“ und um eine Gesprächsrunde mit Clemens Setz.
Klett-Cotta-Verleger Tom Kraushaar begrüßte beim Abendessen des Verlags im Literaturhaus am Dienstag auch Judith Holofernes („Wir sind Helden“), die gerade ihren ersten Gedichtband veröffentlicht („Du bellst vor dem falschen Baum“) mit den Worten: „Ein Popstar bei uns – das gab es zuletzt mit Ernst Jünger“. Alle waren da, wenn man mit „Kir Royal“ kommen will, also Sandra Kegel und Katharina Teutsch, Denis Scheck, Uwe Wittstock, Michael Angele, Richard Kämmerlings, Fréderic Schwilden usw. Bei Wildschwein (Bild links) hatte ich beste Unterhaltung mit Lektor Hans Peter Buohler, der gerade unter anderem über Paul Zech promoviert. Mein Wuppertaler Herz schlug höher. Klar.
Vorab mit Judith Holofernes (rechts) im Nebenraum gesessen, wo der Männerüberschuss umso deutlicher war, die Anzüge teurer – es empfing einer der großen Zwischenbuchhändler (KNV, GVA? keine Ahnung) und wir sprachen über Tiere in den Lyrics von „Wir sind Helden“, über Ringelnatz und Morgenstern, kurz über die Arbeit ihrer Mutter Cornelia Holfelder von der Tann, die für Klett-Cotta übersetzt. Mehr dazu alsbald in der Freitag, wo in der heute erscheinenden Ausgabe mein „A-Z Buchmesse“ erscheint mit Texten wie diesem hier (gleichzeitig ein Ausblick auf den Linkradar am Samstag):
Verpflegung ist deshalb ein großes Thema, weil man sich zwischen dem teuren Angebot kommerzieller Anbieter vor den Hallen und den ungesunden aber kostenlosen Keksen, Nüssen und Brezeln an den Ständen entscheiden muss und weil ohnehin das letzte Glas vom Frankfurter Hof in den Knochen steckt. Der Foodblogger und Kurzgeschichtenautor Stevan Paul („Schlaraffenland“) stellt nicht nur am Freitag sein „Craftbeer“-Kochbuch mit einem Drei-Gänge-Menü und „korrespondierenden Bieren“ im „Margarete“ an der Braubachstrasse vor, sondern empfiehlt auch das Feinkost-Restaurant „Maxie Eisen“ im Bahnhofsviertel „wegen der sehr leckeren Pastrami“. Als Autor des Buchs „Auf die Hand –
Fingerfood & Abendbrote“ ist er selbstverständlich Snackspezialist für alle, die sich was Anständiges auf die Messe mitnehmen wollen. Dazu gehören der italienische Tramezzini-Toast mit Basilikumpesto, Büffelmozzarella und reifen Tomaten, die „Katsu Sando“-Sandwiches mit Tonkatsu-Sauce, Schnitzel und japanischem Krautsalat oder gleich der zu Hessen passende Klassiker „Handkäs mit Musik“, eingelegt in Apfelsaft und Apfelessig, mit Zwiebeln, Kerbel und ausreichend Kümmel.
Gestern war ich übrigens im Maxie Eisen und „frühstückte“ eine jüdische Hühnerbrühe mit Dill und Matzeknödel, was mir zum ersten Mal besser schmeckte als bei mir daheim, wenn ich selber koche.
Bevor es gestern in die Klettenbergstraße ging, um im alten Hause Unseld zuzuhören, wie Peter Sloterdijk Stellen über Frauenhintern aus seinem 2016 erscheinenden Roman „Das Schelling-Projekt“ vorliest, kam die Zukunft zu Wort: Am Orbanism-Stand geriet ich in eine reine Männerrunde mit Autor Clemens Setz, Christoph Kappes von sobooks, Social-Reading-Organisator Guido Graf und Daniel Acksteiner von Suhrkamp (Beitragsbild oben), was alles hier nachgehört werden kann.
Voice Republic kannte ich vorher nicht. Gute, sehr neue Seite, die Kultur- und Wissenschaftsvorträge archiviert, damit so etwas ist wie eine Live-Version von Supposé (die ich am Stand besuchte, um Ernst von Glasersfelds „Zwischen den Sprachen“ mitzunehmen).
Pausenvideo
Verdient hat Frank Witzel den Deutschen Buchpreis für seinen gewaltigen Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ (Matthes & Seitz, 800 S., 19,90 Euro) bekommen, was mich deshalb freut, weil wir uns zu Kaffee und Kuchen auf der Leipziger Messe getroffen hatten und er geknickt wirkte, weil es kaum Resonanz auf dieses gewaltige Schelmenstück gab. Ich war Fan (wenn schon nicht Besitzer des neuesten iPhones, dann dich wenigstens Early Adopter im Literaturzirkel) und schrieb damals in der Freitag: „Was ist eigentlich von einer literarischen Nominierungsliste zu halten, die das Beste der vergangenen Monate versammeln will, auf der aber zwei der stärksten Veröffentlichungen dieses Frühlings nicht vertreten sind? Sowohl Planet Magnon von Leif Randt als auch der gewaltige 800-Seiter Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 von Frank Witzel sind ausgeschieden, bevor es richtig losgehen konnte.“ Der Roman ist inzwischen sogar nach China verkauft worden, wenn auch in einer noch zu kürzenden Fassung.
Konsuminventur
Zwischenmiete: Klingt nach einer guten Lösung, wenn man sich die Preise im Frankfurter Hof (Bild: Wikipedia) ebenso wenig leisten mag wie das preiswerte Bett im Acht-Mann-Schlafsaal. Scharenweise ziehen Studentinnen jedes Jahr für die Messezeit zu ihren Eltern und bessern sich ihr BAföG mit dem Übernachtungserlös auf. Da die Stadt von Dienstag bis Sonntag ausgebucht ist, weichen etliche Besucher auf Mainz und Wiesbaden aus. Selbst Verleger müssen abends die Hallen verlassen und dürfen keinesfalls in ihrer Koje
übernachten. Wer länger bleiben will, kann sich noch schnell als Standnachtwache bewerben. „Da gibt’s eine schicke Uniform inklusive. Und von acht bis neun Uhr vergünstigten Kaffee an ausgewählten Salespoints auf dem Messegelände“, sagt Katrin Hage vom Presseteam der Messe.