Preise über Preise: Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht an Carolin Emcke, der Internationale Literaturpreis an Shumona Sinha und Lena Müller. Kommende Woche werden weitere Pokale überreicht, denn dann findet das Wettlesen in Klagenfurt statt – die Lesezeit beträgt nie über 30 Minuten. Das wird Christoph Schröder freuen, der im Börsenblatt gegen die Flut seitengewaltiger Romane gewettert hat: „Nicht nur der Bauch, sondern auch das Buch des Deutschen an sich wird immer dicker. Schon im vergangenen Winter saß ich bei der Betrachtung der Frühjahrsankündigungen teilweise schreiend in meinem Sessel. Wer soll das alles lesen?“ Schröder gibt allerdings zu, dass es ausreichend Gründe gibt, dicke zu Romane zu schreiben: „Wenn ein Schriftsteller in einem Roman mal so eben die gesamten philosophischen Grundlagen seiner Epoche ausbreitet und noch dazu die Katastrophen der kommenden Jahrzehnte vorausahnt, darf er sich dafür schon ein bisschen Platz gönnen.“ – Dick waren auch die „Harry Potter“-Bücher von J.K. Rowling (die sich gerade zum „Brexit“ geäußert hat). Mit Harry Potter hat auch das heutige Beitragsbild zu tun – es zeigt einen von etlichen Gegenständen, die Muggel nur ungläubig betrachten, wie dieses Schlüsselbord, bei dessen Schriftzug die Frage auftauchen könnte: “Is that Hawaiian for key?” (etsy/Buzzfeed)
SPON: Spiegel.de verlinkt nicht mehr auf Buchhandel.de. „Ende Februar 2015 wurden die Bestsellerlisten mit Buchhandel.de verknüpft. In 14 Monaten klickten etwa 22.000 Nutzer auf den Buchhandel-Link, eine recht anständige Zahl. Wie viele Verkaufsabschlüsse wurden aus diesen 22.000 Interessierten generiert? Ganze 41! Das entspricht einer Conversion-Rate von 0,18 Prozent.“ Das berichtet Onlinehändler-News. Karla Paul hat auf Facebook darauf hingewiesen, dass damit die gerade erst gehörte Aussage „Amazon ist kein Angstgegner mehr“ verwundert.
Worte und Taten: Kollegin Antje Deistler, die seit Kurzem auch einen Blog hat, berichtet in diesem von einer skandalösen Geschichte um Recherchen des norwegischen Autors Gard Sveen. „Die wenigsten Leser, aber auch kaum Kritiker hier in Deutschland kennen die hochspannende Hintergrundgeschichte von „Der letzte Pilger“: Gard Sveen bezieht sich auf einen wahren Fall, in den – so vermutet nicht nur er – der ehemalige norwegische Verteidigungsminister Jens Christian Hauge verwickelt war. Ein Säulenheiliger der norwegischen Sozialdemokratie. (…) Es thematisiert Fehler und sogar Verbrechen des Widerstands, dessen Protagonisten nach dem Krieg die Politik Norwegens für Jahrzehnte bestimmen sollten. (…) Eine kritische historische Aufarbeitung habe nie wirklich stattgefunden, sagt Gard Sveen. Im Gegenteil, wichtige Akten seien verschwunden. Und so spürt der Autor derzeit selbst einigen Widerstand.“
Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe: Am 31. März 2007 stand ich im Bochumer „Zwischenfall“ und lernte Wolfgang Welt kennen, den Bochumer Schriftsteller und Nachtportier des dortigen Schauspielhauses (das Bild zeigt die damalige Widmung). Im Jahr davor hatte er auf Vermittlung von Peter Handke den großen Deal abgeschlossen – seine drei Romane „Peggy Sue“, „Der Tick“ und „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ erschienen damals im Frankfurter Suhrkamp-Verlag. Nun ist Wolfgang Welt tot. Er wurde 63 Jahre alt und ich schaue vom Küchentisch aus auf ein Bild der ebenfalls verstorbenen Katrin Ann Kunze, über die Wolfgang Welt in den 1980er Jahren auch geschrieben hat. Die Veranstaltung im „Zwischenfall“ hatte 1LIVE-Klubbing-Moderator Mike Litt organisiert, der vor wenigen Tagen einen bewegenden Nachruf veröffentlicht hat. Im „Büchermarkt“ des Deutschlandfunks habe ich am vergangenen Montag binnen einer Stunde die Sendung komplett umgeschmissen, um mit Frank Witzel und Martin Willems Erinnerungen auszutauschen (hier nachzuhören).
Selbstähnlichkeit: Seit ich „Tausend Plateaus“ von Deleuze und Guttari gelesen habe begeistern mich fraktale Strukturen. In der NZZ berichtet nun Martina Läubli von einer kuriosen Entdeckung. Physiker haben große Romane mit dem Romanesco verglichen. „Das Team um Stanislaw Drożdż hat 113 grösstenteils erzählerische Werke aus verschiedenen Jahrhunderten analysiert, von Herman Melvilles ‚Moby-Dick’ über Alfred Döblins ‚Berlin Alexanderplatz’ bis zu Virginia Woolfs ‚Wellen’. Und tatsächlich macht der quantitative Zugang auf der Basis des sogenannten Zipfschen Gesetzes ein fraktales Muster sichtbar, das man beim Lesen von langen Texten, anders als die pyramidenartigen Röschen des Romanesco, unmöglich im Blick behalten kann. Es ergibt sich aus der Variabilität der Satzlänge, also der Anordnung unterschiedlich langer Sätze im Text. Im Wechsel zwischen langen und kurzen Sätzen weist die Literatur laut den Forschern eine ‚selbstähnliche, kaskadenartige’ Struktur auf und ‚stellt ein Gleichgewicht her zwischen Zufälligkeit und Ordnung’.“
Open Petition: Das „Forum Konkrete Kunst Erfurt“ wurde vor 23 Jahren von Künstlern aus ganz Europa ins Leben gerufen – und soll nun geschlossen werden. Es hat mit seiner ständigen Sammlung und seinen Ausstellungen internationale Ausstrahlung erlangt. Künstler wie Richard Paul Lohse, Josef Albers, Günter Uecker, Hans-Jörg Glattfelder, Jean-Francois Dubreuil, Roland Goeschl, Eugen Gomringer u.a. sind bereits vertreten, aber auch junge Künstlern, wie Esther Stocker, Siegfried Kreitner und Serena Amrein. Hier kann gegen die Schließung unterschrieben werden.
Pausenbilder
Plakate für den Ehrengast: Seit 2006 gibt es den jährlichen Wettbewerb für junge Gestalter – mit guten Plakaten soll der jeweilige Ehrengast begrüßt werden. Dieses Jahr sind dies Flandern und die Niederlande. Den ersten Preis holten Marius Nied und Kevin Neutz von der „hochschule mannheim“ für ihre Interpretation des Hesse-Zitats „Denn das Meer ist meine Seele.“ Platz 2 ging an Anja Rausch von der Hochschule Darmstadt und Platz 3 an Britta Derflinger von der Hochschule der Bildenden Künste Saar.
Konsuminventur
Bashing: Ein Münchner Buchhändler schreibt gegen Amazon: „Wie lieben und kennen unsere Kunden, Amazon Ihre Daten. Buchhändler arbeiten mit 30 % Spanne, Amazon will 60 % von den Verlagen. Wir bezahlen unsere Steuern und Sozialabgaben, Amazon nicht. Wir haben faire Arbeitsbedingungen. Amazon nicht. (…) Wir haben Preisbindung in Deutschland. In 80 % aller Fälle sind wir schneller als Jeff Bezos und wir können lächeln.“ (Bild von „Das Buch als Magazin“) Literaturbloggerin Sophie Weigand antwortet auf Facebook: „Ich bin kein Fan von amazon. Ich kann mich aber beileibe nicht dazu durchringen, solche ‚Kundenbelehrungen‘ für die richtige Art zu halten, mit amazons Existenz umzugehen. Gute Buchhandlungen müssen ihren Kunden nicht sagen, wo und wie sie einzukaufen haben und unermüdlich an ihre moralischen Empfindungen appellieren.“