Linkradar: Die besten 7, Goethes Trips, Anti-Fiction

Zygmunt Bauman („Flüchtige Moderne“) ist tot, somit nach John Berger der zweite Prominente, den wir in diesem „Büchermarkt“-Jahr beerdigen. Am Dienstag sprach  Moderatorin Angela Gutzeit in ihrer Sendung mit Suhrkamp-Lektor Heinrich Geiselberger, der den polnischen Soziologen unter anderem mit diesen Worten erinnert: „Für Bauman war die Moderne kein eindeutiger Fortschrittsprozess.“ – In der Verlagsszene gibt es derweil einen Lektoratswechsel. Olaf Petersenn verlässt nach 15 Jahren die Kölner KiWi-Verlag und wird Programmleiter bei Piper in München. Seine Nachfolge übernimmt Sandra Heinrici. Aus der „Indie“-Szene vermeldet die BILD, dass zur Finanzierung eines Buchprojekts über Berlins „King Size“-Bar ein Crowdfunding gestartet ist (selbstverständlich kommt diese Meldung boulevardgerecht mit Oben-Ohne-Pic). Das Beitragsbild dieses Linkradars ist von der schönen Seite bookshelfporn.com.

Die besten 7: Für die Deutschlandfunk-Samstagssendung „Bücher für junge Leser“ ermitteln 29 Juroren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz einmal im Monat die besten sieben Bücher für junge Leser. Im Januar sind das die Erzählbilder „Als die Esel Tango tanzten…“ von Stefanie Harjes, „Vincent“ von Barbara Stok, „Kellerkind“ von Kristien Dieltiens, „Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften“ von Irmgard Keun, „Eine Träne. Ein Lächeln. – Meine Kindheit in Damaskus“ von Luna Al-Mousli, „Salz für die See“ von Ruta Sepetys und  „Easygoing“ von Jenny Jägerfeld (ein ADHS-Roman aus dem Hanser-Verlag).

Wo Goethe war: F.A.Z.-Literaturchef Andreas Platthaus stellt hier den Goethe Atlas vor (der unter www.goethe-atlas.de interaktiv aufbereitet wurde). Die Kartensammlung verzeichnet alle Orte, die der deutsche „Dichterfürst“ einst besucht hat. Platthaus schreibt: „Goethe war kein besonders reisefreudiger Mensch. Die Grenzen des Deutschen Reiches überschritt er zum ersten Mal zwar schon mit zwanzig, als er zum Jurastudium nach Straßburg ging, aber das war ja noch deutschsprachiges Gebiet und somit alles andere als ein Abenteuer. Erst mit siebenunddreißig reiste er nach Italien, wo er dann allerdings gleich für fast zwei Jahre blieb

In der Narc-Sphäre, vielleicht: „Immer öfter hörte ich nach dreißig, fünfzig Seiten wieder auf, um etwas Nicht-Fiktionales zu lesen“, schreibt „Die Welt“-Feuilletonist Peter Praschl in seinem Lob des Wahrhaftigen, das sich wie eine Ich-Ergänzung zu diesem Anti-Fiktionen-Text von Richard Kämmerlings liest. Praschl: „Ich war der erfundenen Geschichten überdrüssig geworden, sie kamen mir zu ‚billig‘ vor, wie eine Masche, die ich längst durchschaut hatte und auf die ich nicht mehr hereinfiel, und das lag eindeutig an mir, nicht an den Fiktionen.“ Aufschlussreich ist Praschls Vermutung, dass sein Überdruss ein Symptom dafür sein könnte, dass ihn das Ästhetische nicht mehr vor der Welt schützen oder panzern kann.

Pausenvideo

Konsuminventur

Fastfood: Die Stiftung Lesen und McDonald’s Deutschland setzen ihre seit fünf Jahren bestehende Kooperation auch 2017 fort und bauen sie aus. Das ganze Jahr über kann nun anstatt eines Spielzeugs ein monatlich wechselndes Buch zum Happy Meal ausgewählt werden. Bisher gab es jeweils zwei Aktionsmonate pro Jahr. Für den Januar kündigen die Partner eine große „Happy Meal Bücher Aktion“ an. Neben dem Monatstitel gibt es dann acht weitere Bücher zur Auswahl, darunter „Mein Lotta-Leben“ und „Optische Illusionen − Kannst Du Deinen Augen trauen?“ – Die letzte Frage kann knapp beantwortet werden mit den Worten: „Nein, das kannst Du nicht.“

Buch der Woche

#Akzeleration für alle: Am 7. Februar ist der erste Todestag des überall fehlenden Roger Willemsen. Aus seinem Nachlass ist vor Kurzem die Rede „Wer wir waren“ erschienen, die der Moderator, Schriftsteller, Euphorie-Intellektuelle dreimal in je veränderten Fassungen gehalten hat. Mit einer zum Beispiel von Nick Land u.a. formulierten Denkfigur beobachtet Willemsen unsere Gegenwart von einer imaginierten Zukunft aus, die wir uns bizarrerweise weiterhin als eine bessere vorstellen: „Ja, wir wussten viel und fühlten wenig. Wir durften es nicht fühlen und hörten doch T.S. Eliot fragen: ‚Where is the wisdom we lost in knowledge? Where is the knowledge we los in information?‘ Hörten es und häuften noch mehr Informationen auf.“ („Wer wir waren“, Fischer, 68 Seiten, 12 Euro).

Sound_Cloud_Klang


Ab sofort gibt es im Linkradar auch einen „Track der Woche“, der die aktuelle „Lesen mit Links“-Stimmung wiedergibt und grundsätzlich aus jenen Stücken ausgewählt werden, die eine empfehlenswert sind. Gestartet wird mit dem melodischen Electro-Stück „Purple“ von Marek Hemmann aus Gera vom 2016 erschienenen Album „Moments“ (beim Label „Freude am Tanzen“).

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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