Es war keine gute Woche für die Literatur: Erst stirbt Harry Rowohlt im Alter von 70 Jahren (er wurde gestern im engsten Familienkreis beigesetzt) – und das anschließende Medienecho bestätigte noch einmal, welche Bedeutung Übersetzer auch hierzulande haben, dass es also tatsächlich „Lieblingsübersetzer“ geben kann. Dem großen Harry Rowohlt folgte der 20 Jahre ältere, nicht weniger große James Salter. – Eine schöne Nachricht: Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani („Zwischen Koran und Kafka“, C.H. Beck) wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015 geehrt. Hier geht es zu seiner wegweisenden Rede, die Kermani 2014 im Deutschen Bundestag hielt.
Hundert Zeilen Hass: Mit David Schalko (Bild) und Clemens Setz wurden in den vergangenen Tagen gleich zwei österreichische Autoren im Netz angegriffen. Schalko hatte nach der Amokfahrt in Graz das ausländerfeindliche Posting von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache öffentlich kritisiert und wurde danach aus der rechten Ecke derart bedroht, dass er seine Facebook-Seite nun auf „privat“ gestellt hat. Clemens Setz (Beitragsbild: BLAU-Screenshot inkl. Weltraumbär, mit dem er sich bei Tinder angemeldet hatte) wagte, eine kritische Begegnung mit Silke Scheuermann auf FB zu erzählen – und wurde danach blockiert, beschimpft, bedroht – und hat sich erst mal aus dem Netz zurückgezogen.
Fails im Netz: Was war denn da los? Jugendgefährdende E-Books (!) dürfen, da sie unter das Telemediengesetz fallen, nur noch zwischen 22 und 6 Uhr verkauft werden. Dann berichtet Heise.de eben hier: „Amazon möchte die Autoren von Büchern, die über die Ebook-Flatrate Kindle Unlimited ausgeliehen werden, auf der Basis von gelesenen Seiten bezahlen. Bislang dienten die ausgeliehenen Bücher als Verteilungsschlüssel.“ Dann hat der US-Amerikaner Michael Mandiberg (Bild) angekündigt, die englischsprachige Wikipedia druckbar zu machen, als Nachschlagewerk in 7.600 Bänden und DeutschlandradioKultur berichtet über 99-Cent-E-Books: „dieses Experiment ist wohl gescheitert.“
Liebe als Passion: Was macht Bachmann-Preis-Gewinner Jens Petersen? Wann ist mit dem 2009 angekündigten Roman zu rechnen? Die Klagenfurter Lesestelle sollte das Ende eines fast abgeschlossenen Projektes sein. Ich schrieb Jens in Zürich an. Er antwortete prompt. Tatsächlich arbeitet er inzwischen an seiner Medizin-Habilitation, schreibt auch literarisch („wobei das Problem nicht fehlende Zeit ist, sondern eine ständige, nicht enden wollende Suche nach einer Tonart, mit der ich zufrieden sein kann“) und er sagt: „zum Glück hilft mir die Medizin jeden Tag, mich vom Schreiben zu erholen.“ Auch zum Cabrio gibt es Neues – in der kommenden Ausgabe vom Freitag.
Tschick: Vor Kurzem noch in Herrndorfs Berliner Stammkneipe Prassnik gewesen, wo ein Schild über „seinem“ Pissoir an ihn erinnert. Als der 2013 verstorbene Autor im Krankenhaus lag brachte ihm die Crew eine Mini-Ausgabe der Kneipe ans Bett. Ebenfalls in Berlin wurde im Juni eine Ausstellung mit seinen Bildern eröffnet – und dann kam ein Paket des Rowohlt-Verlages mit der Gesamtausgabe. Auch wenn damit der Wert meiner Sukulturausgabe von „Die Rosenbaum-Doktrin“ ins Bodenlose fällt – die drei Bände sind grandios und kommen mit Kathrin Passigs „Porträt des Künstlers als erfolgloser Autor“ und dem „Tschick“-Essay von Merkur-Autor Marcus Gärtner.
In eigener Sache: Ich ziehe ins Kloster. Vorübergehend. Die kommenden Veröffentlichungen bei Sukultur und den Literatur Quickies bekommen Unterstützung durchs „Atelier NRW“, organisiert von Mairisch-Autor Dorian Steinhoff. Gemeinsam mit T.S. Dorsen, Joachim Geil, Bettina Hesse, Anselm Neft und Susanne Schedel (Bild: Alexander Vejnovic) arbeiten wir an unseren Texten im Kloster Knechtsteden (hier geht es zur Pressemitteilung). Gerade erschienen: Die Literaturzeitschrift „Am Erker“ mit meinem Essay zu Hartmut Lange, ein Interview mit Kathrin Röggla in „Der Freitag“. Mein einstündiges Zündfunk-Generator-Feature „Utopia Stage“ kann hier geladen werden.
Pausenbild
Das hier ist eine Doppelseite aus der aktuellen Mairisch-Vorschau, wo am 1. Oktober „Die Philosophie des Laufens“ erscheinen wird. Ich freue mich sehr, dass mein Beitrag „Programm ist Programm“, in dem ich aus meiner Zeit als 800-Meter-Läufer beim TSV Bayer 04 Leverkusen erzähle mit dabei ist. – Vergangene Woche wurde bekannt: Die Mairisch-Verleger Daniel Beskos und Peter Reichenbach werden mit dem K.-H. Zillmer-Verlegerpreis ausgezeichnet. Der ‚Karl-Heinz Zillmer-Preis‘ ehrt alle zwei Jahre Personen des literarischen Lebens, die sich durch besonders mutige und weitreichende Entscheidungen und großen persönlichen Einsatz um die Literatur verdient gemacht haben. Stifter des mit 10.000 Euro dotierten Preises ist der Hamburger Diplom-Ingenieur Karl-Heinz Zillmer. Frühere Preisträger waren unter anderem: Andreas Rötzer (2012), Michael Zöllner (2006), Stefan Weidle (2000) und als bislang einzige Frau Katharina Wagenbach-Wolff (1994).
Konsuminventur
ROPO: Die Seite t3n berichtet eben hier von der Crome-Erweiterung „Bookindy“, mit der auf der Amazon-Seite zugleich der Buchpreis eines Ladens in der Nähe angezeigt werden kann. Ob das hierzulande, wo es anders als in GB oder den USA eine Buchpreisbindung gibt, auch funktioniert? Möglicherweise. Bachmann-Preisträger Peter Glaser schreibt in einem aktuellen Beitrag: “Manche Konsumenten machen es auch absichtlich genau umgekehrt und informieren sich online, um dann im Fachgeschäft – „am besten inhabergeführt“ – zu kaufen. Der Effekt hat sich zu einem Trend entwickelt, der unter dem Kürzel ROPO firmiert („Research Online, Purchase Offline“ – Online recherchieren, offline kaufen).“