Linkradar: Buchpreis-Longlist, Tao Lin und der Missbrauch, MyBook

Nun ist sie raus, die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2015 (hier nachzulesen). Mit dabei sind unter anderem: Frank Witzel, Valerie Fritsch, Ilija Trojanow, Clemens Setz, Wer sich damit nicht anfreunden mag, der kann hier bei Deutschlandradio Kultur eine Alternativliste finden, oder gleich diesen Empfehlungen von REM-Sänger Michael Stipe folgen. Wer sich sogar ganz besonders aufregt, dem sei dieses SZ-Interview mit CDU-Urgestein Heiner Geißler empfohlen, wo er mal wieder, so wie hier, hier und hier gegen die Berliner Siegessäule ätzt, respektive in Anlehnung an Uwe Timm (hier im Blog) eine Sprengung vorschlägt, frei nach dem Motto: Wenn die Realität die Literatur imitiert. – Was außerdem in dieser Woche vorgefallen ist gibt es hier im Linkradar, mit der Book-Shopping-Queen, den schönsten Buchhandlungen, narzisstischer Blabla-Scheiße und ganz persönlichen Literaturempfehlungen.

Letztere bietet MyBook an: Die Seite Gruenderszene berichtete hier im Mai über das Startup. „Bei MyBook erhalten Kunden nach dem Ausfüllen eines Fragebogens mehrere Buchvorschläge. Die individuelle Auswahl aus 4,5 Millionen Titeln wird durch ein Team von Buchhändlern, Literaturwissenschaftlern und Buchliebhabern getroffen.

10927176_752185628191802_1127298920665682659_oAufgebaut wurde das Unternehmen gemeinsam von dem Ullstein-Verlag und dem Startup-Spezialisten Etventure Ende 2013. Später stieß Bonnier als Finanzier hinzu.“ Auf Facebook wirbt das Unternehmen und ich habe es vor wenigen Tagen ausprobiert. Die Empfehlungen kamen dann von der sehr sympathisch wirkenden Johanna (Bild) und wirkten wie ein verunglücktes Wahl-o-mat-Ergebnis, darunter „Brixton Hill von Zoë Beck, „Teufelsgrinsen von Annelie Wendeberg und „Bretonische Verhältnisse“ von Jean-Luc Bannalec.

11229409_1604304273162651_3206903307878350355_nBesser zum Laden: Da mache ich es lieber wie Torsten Woywod von „Was liest Du?“ der Mayerschen. Der ist gerade zurückgekehrt von seiner Tour durch die 100 schönsten Buchhandlungen (hier geht es zur Facebookseite, von der sowohl das Bild links als auch das obige Beitragsbild ist). Innerhalb von 28 Tagen hat Torsten Woywod 11.000 Kilometer zurückgelegt, ist durch 12 Länder gereist, hat 62 Buchhandlungen besucht, 9000 Fotos und 175 Videos mitgebracht – die Niederlande und Wales hatte er vorher bereits besucht.

M41Alt Lit: Gerade veröffentlichte ich in Der Freitag und hier im Blog meinen Text über die gehypte Lyrikerin Mira Gonzalez (Bild). Bei mir ging es ums Gesamtkunstwerk. Ich habe die Frau mit Miley Cyrus verglichen. Fixpoetry haben hier ein anderes Fass aufgemacht. „Die Alt Lit-Bewegung hat ihre besten Tage gesehen. Mira Gonzalez, vom Hanser Verlag als »Star der jungen amerikanischen Literaturszene« stilisiert, kollaboriert mit dem Posterboy der Bewegung, Tao Lin. Dem wurde vor einem Jahr sexueller Missbrauch vorgeworfen

41dvG7zeaxL._SX324_BO1,204,203,200_(er war damals Anfang 20, der Klagende 16 Jahre alt).“ Fixpoetry schreibt: „Es schmeckt bitter, wenn Gonzalez so freimütig mit einem kollaboriert, der sich höchstwahrscheinlich massiver Ausnutzung in vielerlei Hinsicht schuldig gemacht hat und sich davon weder ausreichend distanziert noch jemals entschuldigt hat.“ Nun geben auch Fiypoetry zu, dass das auf den ersten Blick wenig mit Gonzales’ Lyrik zu tun habe, merken aber an, dass ihre Lyrik voll sei „von impliziten und expliziten Hinweise auf körperliche Transgressionsakte. (…) Es sind Momente, die entweder wie achtlos beiseite gewischt oder sogar stilisiert werden. (…) Natürlich ist das nicht zwangsläufig affirmativ zu verstehen und selbstverständlich lässt sich darüber keine Aussage über Gonzalez‘ Person treffen.“

Autorin-Mercedes-LauensteinIchIchIch: 2011 hat Maxim Biller (bald zu sehen im „Literarischen Quartett“) in der F.A.S. die „Ichzeit“ der Literatur erfunden. In dieser Tradition steht dieser welt.de.-Text von Mercedes Lauenstein (Bild Juri Gottschall), anlässlich ihres bald erscheinenden Romans „nachts“ erschienen. „Ich will nichts mehr zu tun haben mit dieser narzisstisch verklemmten Blabla-Scheiße der Branche, in der ich mich bewege und zu der ich auf gar keinen Fall gehören möchte. Ich will nicht schreiben. Und will es doch. Beziehungsweise: Will geschrieben haben.“ Alles klar?

Pausenvideo

„Das Buch haben wir schonmal, erfolgreich ershopped.“ Booktuber kaufen ein – hier MelodyOfBooks mit einer Parodie (?) auf Shoppingqueen. Es muss eingekauft werden für Leib, Seele und Körper (Smoothie, Buch, Kosmetik). Bezeichnet sich selbst als „Hühnchen“ – und dann passiert auch noch ein Unglück.

Konsuminventur

51EMkKuXUAL._SX393_BO1,204,203,200_Vinyl-Hype usw: Eigentlich ist dieser Linkradar eine einzige Konsuminventur, nicht nur aufgrund der Book-Shopping-Queen, des zarten Vorwurfs allzu marktkonformer Programmplanung bei Hanser, der Buchkonsumtempel bei Torsten Woywod, dem Marletingpreis der Buchbranche, der Verkaufsförderung durch MyBook. Wer Bücher sammelt, der hat bestimmt auch ein Herz für Platten – warum die aber angeblich ein „Statussymbol grosstädtischer Neobidermeierspiesser“ ist erklärt die Spex hier.

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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