Frohes Neues! Das hier ist der erste Linkradar meines „annus horribilis“, denn bis Ende des Jahres werden am Wuppertaler Küchentisch eine Dissertation und das Hartmut-Lange-Buch für Diogenes geschrieben, was die Nächte kostet, weniger Zeit für den Blog lässt, aber am Ende vielleicht zwei schöne Langtexte gibt. Rainer Moritz hat hier bereits seinen „Forderungskatalog“ für 2016 veröffentlicht, von dem ich Punkt 9 herausheben möchte, denn er wünscht sich, dass „niemand mehr Olympiade sagt, wenn er Olympische Spiele meint.“ Zu dem Themen Sport und Literatur werde ich 2016 häufiger schreiben, unter anderem für einen „Büchermarkt-Beitrag“. Schön ist, dass ich am 1. Februar Ilija Trojanow interviewen werde, der in einer Wahnsinnsaktion alle olympischen Einzeldisziplinen aus Wettkampniveau trainiert hat – sein Bericht „Meine Olympiade“ erscheint im Frühjahr. Los geht es hier im Linkradar mit dem „Unwort des Jahres“, das wir natürlich niemals verwenden würden, denn diese Studie hat herausgefunden, dass das Lesen literarischer Texte das Bewusstsein netter werden lässt. Als ob wir das nicht längst geahnt hätten. (Das Beitragsbild ist ein Blick ins Bücherregal von Marcel Inhoff.)
Linksversifft usw.: Es war abzusehen, dass „Gutmensch“ das Unwort des Jahres wird, obwohl natürlich auch viele andere denkbar sind: Alpha-Kevin hätte sich angeboten. „Gutmensch“ also, begründet von der Jury wie folgt: „Als ‚Gutmenschen‘ wurden 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen“, hieß es weiter. „Mit dem Vorwurf ‚Gutmensch‘, ‚Gutbürger‘ oder ‚Gutmenschentum‘ werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert.“ (Bild: zeit.de)
Würstchenparty: Das hier ist ein Genderabsatz, denn im Bücherwurmloch-Blog geht es um die Frage, wie, warum und mit welchem Selbstverständnis Männer über Literatur bloggen, denn: „Lesende Männer sind sexy. Nicht umsonst hat der Instagram-Account Hot Dudes Reading, der lesende Männer zeigt, mehr als 774.000 Follower. (…) Männer lesen andere Bücher. Auf ihren Blogs entdecke ich Lesestoff, nach dem ich selbst nicht gegriffen hätte oder den ich eher skeptisch beäugt habe. (…) Viele männliche Buchblogger sind arrogant oder – mit etwas Milde ausgedrückt – selbstbewusst. Sie nennen sich „Alternative zum Feuilleton“ und „last man reading“,
bezeichnen sich als „Dorfschönheit, Intellektueller, Kulturphilosoph“. (…) Sie sind oftmals sehr belesen und kennen sich gut aus, vor allem mit den Klassikern. (…) Sie sind eigenwillig und stur. Sie sind ausgeprägte Persönlichkeiten und wissen ganz genau, was sie (lesen) wollen. Sie bringen Vielfalt. Und Vielfalt ist immer cool.“ Im Bücherblogzusammenhang mag das irgendwie stimmen – aber auf einer Party mit allzu hohem Männeranteil will der oder die Heterosexuelle evtl. nicht tanzen. Deshalb gibt es dieses neue Tool, das Dir schon vorab zeigt, wie die Geschlechter einer beliebigen Veranstaltung verteilt sein könnten. Denn auch Frauen bringen Vielfalt. „Und Vielfalt ist immer cool.“ (Bilder von Hot Dudes Reading)
Wikipedia: Immer weniger Autoren wollen für das Onlinelexikon schreiben, berichtet hier die Süddeutsche Zeitung. „Der Grundton auf den Diskussionsseiten, die es zu jedem Artikel gibt, ist gereizt, die in den Wikipedia-Regeln vorgeschriebene Freundlichkeit eher die Ausnahme. Die amerikanischen Wissenschaftler haben dem Gesamtphänomen einen Namen gegeben: ‚Calcification‘ – Verkalkung. Wikipedia leidet an fortschreitender bürokratischer Erstarrung, die den verzweifelt gesuchten „goldenen Autoren“, die sowohl guten Willen als auch profundes Fachwissen mitbringen, das Mitmachen verleidet.“
Chaussee der Enthusiasten: Die Berliner Lesebühne hört auf – und auch dieser Blog sagt Adieu, wo die 1999 gegründete Bande von Jochen Schmidt hier und hier und hier bereits gewürdigt worden ist. Ihr Hausverlag Volandt & Quist schreibt im „Nachruf“: „Wir haben 2005 und 2009 zwei Anthologien von ihnen veröffentlicht (diese und jene) und einige ihrer Mitglieder sind solo bei uns erschienen: Jochen Schmidt, Volker Strübing (Mitglied 2000-2008) und Kirsten Fuchs (2008-2013). Das Gefühl ist: Damit geht auch ein Stück Verlagsgeschichte zuende. In 16 Jahren war diese Lesebühne stilprägend und hat das kulturelle Leben Berlins definitiv bereichert. Zeitweise war sie sogar die an Zuschauerzahlen gemessen erfolgreichste Lesebühne Berlins. Macht’s gut, liebe Enthusiasten. Wir wünschen euch alles Gute.“ Die letzte Show fand am 9. Dezember 2015 statt.
Literaturhaus München: Tanja Graf wird neue Chefin und wechselt vom Diogenes-Verlag in Zürich zu den Programmmachern an die Isar. Die SZ schreibt: „Eine Unbekannte ist die Verlegerin in München mitnichten, auch wenn sie seit einigen Monaten bei Diogenes in Zürich arbeitet. Die 53-Jährige ist in der Münchner Buch-Szene nicht nur eine sprichwörtliche bunte Hündin, auch ihr Lebensmittelpunkt ist offensichtlich in der Landeshauptstadt geblieben: Hier hat sie jahrzehntelang in den verschiedensten Positionen gewirkt; hier wohnen auch ihr Lebensgefährte, der Bestseller-Autor Patrick Süskind („Das Parfum“), und der gemeinsame Sohn.“ (Bild: Wikipedia)
Pausenvideo
David Bowie ist tot und die New York Public Library veröffentlicht hier seine Liste der „Top 100 Reads“, darunter „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin, „On The Road“ von Jack Kerouac und Lolita von Vladimir Nabokov.
Konsuminventur
Weg damit! Weihnachten ist vorbei, aber an diese Umtauschbox von Bastei Lübbe und Hugendubel erinnere ich auch noch im Januar gern. Das Börsenblatt berichtet: „Umgetauscht werden kann dabei jedes unliebsame, kleine Geschenk, vom Duschgel bis zur Pralinenschachtel − unabhängig vom Preis. Dafür erhalten die Umtauscher einen Top-Titel (meist Taschenbuch-Ausgabe) der Verlagsgruppe Bastei Lübbe. Die Auswahl der Titel erfolgt über Promoter, die entscheiden, welcher Titel der passende ist.“
Wegen einer anderen Aktion haben die Kölner dagegen ein wenig Stress. In dieser Woche verschenken Amazon und Bastei Lübbe das E-Book zu Dan Browns Bestseller „Illuminati“. Michael Riethmüller von der Buchhandlung RavensBuch hat daraufhin den Vertreterbesuch abgesagt und alle Bastei-Lübbe-Bücher ins Regal verbannt.