Der aktuelle Linkradar erzählt von aktuellen Lieblingsbüchern (was laut Hanser-Verleger Jo Lendle eine sehr schöne Antwort auf die Frage nach den Five Faves sein kann: „Dabei lassen sich Lieblingsbücher ebenso schlecht bestimmen wie Lieblingskinder.“) – zu denen gehören Alexander Schimmelbuschs neuer Roman und die alten, endlich freigegebenen Aufzeichnungen aus dem Berliner Journal von Max Frisch. Weitere Bücher, die ich auch in 1LIVE vorgestellt habe, folgen in den kommenden Tagen. Es geht um Julia Engelmann, Konsumrezensionen, Kinder und Kreativität, Eltern und Elite.
„Siegfried Unselds wahre Brillanz liegt in seinen Schriften, vor allem in seiner Chronik. Wenn man an die zwanzigtausend Seiten denkt, die sie wohl umfasst, dann ist man sprachlos. Es handelt sich dabei um ein Knausgardeskes Meisterwerk, um das interessanteste und größenwahnsinnigste autobiografische Projekt der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts“, schrieb mir vergangene Woche Alexander Schimmelbusch, der in seinem Roman Die Murau Identität einen fiktiven Thomas-Bernhard-Verleger auftreten lässt. Schimmelbusch weiter über Unseld: „Ein Verleger, dessen Verständnis seiner Position beinhaltete, sich seinen Autoren unterzuordnen, zumindest zum Schein,
macht sie in seinem lebenslangen autobiografischen Projekt, das wiederum zum Schein seinen Verlag zum Gegenstand hat, dann zu Figuren, die alle um seine eigene Größe kreisen. Es ist vor ein paar Jahren der erste Band der Chronik erschienen, seither nichts mehr, der Suhrkamp Verlag scheint andere Probleme zu haben.* Aber wenn sie zur Gänze vorliegt, wird sie sich sicher als eines der prägenden literarischen Werke der klassischen Suhrkamp-Ära erweisen. Ein autofiktionales Epochenbuch, ebenso fulminant wie furios.“ Furios ist auch der neue Roman des einstigen Hotlist-Preisträgers Alexander Schimmelbusch, hier kurz vorgestellt in 1LIVE Plan B (mit Ingo Schmoll). * Teil 2 der Chronik Siegfried Unselds erscheint am 24. März 2014.
Max Frisch wird zu einer Lesung in die DDR eingeladen und notiert am 23. Mai 1973: „Wenn gewisse Leute zeigen wollen, wie keck und kritisch sie sind. Es stimmt bei vielen nicht. Charakter zu haben muss furchtbar schwierig sein; man atmet auf, wenn einer glaubwürdig erscheint in seiner Affirmation oder Kritik. Schwer herauszuspülen, wie sie zueinander stehen; diese Mischung von Kameraderie und striktere Verhohlenheit.“ Frischs Berliner Journal , nach der vom Autor vorgegebenen Sperrfrist endlich erschienen, ist ein großes Glück – hellsichtiges Denken, noch in der Krise, die Frisch damals durchlebte, klare Gedanken, nie künstlerisch gedrechselt, gedrungen. Erwachsenenpoesie. Warum Homo Faber Schullektüre ist verstand ich nie.
In meinem Rezension des Lebens-Essay bin ich auf Holiday-Check und CNC Fräsmaschinen eingegangen. Auf pop-zeitschrift.de veröffentlichen clevere Wissenschaftler wie Simon Bieling (hier seine Seite „Konsumästhetik – Formen des Umgangs mit käuflichem Design“) Daniel Hornuff von der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und Antonia Wagner (Bild rechts) Konsumrezensionen (beispielsweiser im Dezember über den Allzweck-Reiniger Mr. Muscle). Es sind zugleich Reflexionen darüber, was Kritik wertvoll macht, ein vergnügliches Abenteuer, das direkt zu Feminismus (Stichwort: Pinkstinks), der kulturwissenschaftlichen Diagnose und zur Designkritik führt.
Gerade sprachen noch alle über die Weltbild-Insolvenz und was das für Hugendubel bedeuten könnte (inzwischen überlegen Bastei Lübbe bzw. die Thalia-Eigentümer, einzusteigen) – da vermutete Florian Kessler in der Zeit einen Zusammenhang zwischen finanzieller und gesellschaftlicher Stellung von Eltern und dem Erfolg ihrer Autorenkinder ( Thomas Klupp bewohnt ein „Anwesen“). Zeit für eine Arbeiterkind-Quote im Feuilleton? Gleichzeitig stieß Die Welt (nachdem sie auf Florian Kessler reagiert hatte) eine Debatte über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an und ließ Julia Franck erzählen, weshalb schreiben und Kinder unvereinbar sind (deshalb hat Ingrid Noll auch erst angefangen, als die Kids aus dem Haus waren).
Nächster Hype: Julia Engelmann mit ihrem sympathischen, wenn auch nicht ganz und gar nachvollziehbaren Anti-Slacker-Sprechgesang. Das Schönste an dem Text ist dieser Wankelmut-Remix (Bild rechts) und der Artikel von David Hugendick mit den Fazit: „Wir sind geboren, um zu leben“, singt die Wohlfühlband Unheilig. Es erscheint müßig, darüber nachzudenken, was wohl Sartre dazu gesagt hätte. Ebenso wie die Frage, ob nicht jede Generation die Massagelyrik bekommt, die sie verdient. Wäre das überhaupt dramatisch? Wenn’s denn hilft. Man sollte ja immerhin über jeden Zwanzigjährigen froh sein, der lieber übernächtigt auf Dächern rumsteht, anstatt von einer Karriere in einer Unternehmensberatung zu träumen.