Der Mai ist einer der letzten Hochmonate vor der Sommerpause in der Literaturszene. Die Leipziger Messe liegt hinter uns, wer es schafft, liest die wichtigsten Bücher der vergangenen Wochen, man stellt seinen Lesestapel für den Strandurlaub zusammen und es ist ausreichend Zeit, um über Grundsätzliches zu sprechen. Im Novelero-Blog von Sandro Abbate gibt es hier einen einen Text mit der schönen Überschrift „Warum ich lese“. Außerdem wird gerade viel über die Protokollierung des Leseverhaltens von E-Book-Käufern diskutiert (am 25. und 26. Juni findet das erste E-Book-Festival in Berlin statt). Ebenso wird natürlich gesprochen über die Auswirkungen des VG-Wort-Urteils auf Verlage und SchriftstellerInnen. Und Stephan Porombka kündigt auf sehr ungewöhnliche Weise sein Zettelkasten-Seminar an. Das Beitragsbild, erstellt von Felix Kracke, ist von diesem STILL-Aufruf.
Abzocke: Aktuell schaltet die „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“ mal wieder Anzeigen auf Facebook und suggeriert Hobbypoeten, sie könnten Teil eines Kanons werden. Das ist natürlich Unsinn, da es hier mitnichten um ein Projekt im „Lyrik von jetzt“-Stil geht (2015 ist Band 3 bei Wagenbach erschienen). Die „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“ ist eine „Vanity Press“-Falle, die ihren Gewinn allein durch Autorenkäufe erwirtschaftet. Seit sich „Book on Demand“ durchgesetzt hat, entwickeln Eitelkeitsverlage (denen Umberto Eco in seiner Glosse „Maunuzios Verlag“ einst ein Denkmal gesetzt hat) neue Strategien, um Ahnungslosen das Geld aus den Rippen zu leiern. Hans Peter Roentgen schreibt über einen dieser Fake-Verlagsverträge: „Seltsam, dass erst ab 500 oder 1000 verkauften Exemplaren ein Honorar gezahlt werden soll. Noch seltsamer, dass es einen zweiten Vertrag gibt. In dem darf der geneigte Autor ankreuzen, ob er ein Lektorat buchen möchte, eine Veröffentlichung als E-Book wünscht (z.B. 300 Euro), eine Veröffentlichung auf dem amerikanischen Markt (100 Euro),
Pressemitteilungen (300 Euro), Anschreiben von Buchhandlungen, Eintrag ins VLB, ein Cover, ein Satz, Korrektorat und vieles mehr an Diensten, die sich schnell auf vierstellige Beiträge summieren. Der Autor zahlt für seine Veröffentlichung.“ (Hier habe ich mich bereits mit dem Thema beschäftigt.)
Verabschiedung: Leopold Federmair erklärt, warum er keine Literaturkritik mehr schreibt; u.a. weil Gegenwartsliteratur für die Wissenschaft nur noch das sei, was die Rankings ausspucken, weil man vom Rezensieren nicht leben kann, weil kritisches Urteilen (angeblich) allzu oft die Biographie des Autors ausblendet („Der Autor ist tot (noch vor seinem Tod), und der Text mit seinen Buchstaben ist noch töter.“), . „Mittlerweile, unterstützt durch die ausschließlich gewordene Emailkommunikation, die in sogenannter Echtzeit funktioniert, ist es üblich, Vor-vorschauen zu verschicken, so daß die Literaturkritiker schon im Frühjahr wissen, was sie im Herbst erwartet. Ich frage mich, wann es Vor-vor-vorschauen geben wird, und so weiter, man kann das Spiel – oder die ökonomische Hysterie – natürlich ins Unendliche treiben.“ Eine schöne Spitze steckt im letzten Drittel: „ Ein mit mir befreundeter Autor, der ebenfalls seit Jahrzehnten Kritiken schreibt, meinte einmal im Gespräch, er sei es leid, sich dauernd mit Büchern auseinandersetzen zu müssen, die schlechter seien als seine eigenen.“
Revolutionäre Autoren: Austerität tötet Menschen – das ist inzwischen bekannt. Es braucht deshalb eine kritische Öffentlichkeit – und dazu gehört selbstverständlich auch die Öffentlichkeit, die Literaturschaffende herstellen – die den Schwachen eine Stimme gibt, umso mehr, wenn ein Großteil einer Volkswirtschaft in die Armut abrutscht, wenn Schwachsein Normalbefindlichkeit wird. Der Guardian stellt hier etliche griechische AutorInnen vor, die gegen das undemokratische Spardiktat anschreiben, wie die links im Bild zu sehenden Eftychia Panayiotou, Yannis Stiggas, Thomas Tsalapatis und Danae Sioziou (von links nach rechts).
Eleven-Leben: Seit Kurzem hänge ich in der Deutschlandfunk-Kulturredaktion ab, moderiere den „Büchermarkt“ und gestern fuhr ich mit dem Bus (!), hatte meinen Bücher-Rucksack (!) dabei zur Arbeit, stellte mich mittags wie früher in der Mensa (!) zum Essen an und später mussten wir alle zum Probe-Feueralarm (!) das Hochhaus in Köln verlassen. Ich kam mir wie ein Schulkind vor. In der Sendung selbst gab es dann eine grandiose Reportage aus der kubanischen Literaturszene – Holger Heimann war in Havanna und hat unter anderem mit Leonardo Padura gesprochen, außerdem wurde gestern bekannt, dass der von mir bewunderte Christoph Meckel den Hölty-Preis für Lyrik verliehen bekommt und Oliver Pfohlmann stellte den ebenso becircenden wie untergründig schreckensvollen Exi-Roman „Kind aller Länder“ von Irmgard Keun vor, wiederentdeckt vom Kölner KiWi-Verlag; und erste Rezensenten sprechen sich bereits dafür aus, dass dieses Buch als Schullektüre aufgenommen wird.
Ein Laden, ein Buch: Tanja Kunesch stellt bei Kulturaustausch.de die japanische Buchhändlerin Yoshiyuki Morioka vor, die mit ihrem Laden ein ungewöhnliches Konzept verfolgt. Jede Woche wechselnd gibt es allein ein Buch zu kaufen, zuletzt beispielsweise den Pracht-Bildband „Fish-Man“ von Masaru Tatsuki. „Das Konzept ist einer japanischen Teezeremonie nachempfunden“, erklärt Morioka. „Dem Prinzip des Minimalismus folgend, versuchen wir hier alles Überflüssige wegzulassen. Wenn Kunden in mein Geschäft kommen, bedeutet das, dass sie direkt in das Werk eintreten.
Pausenvideo
„Ich bin Stephan Porombka und das hier sind alles Bücher, die ich gelesen habe, mehrmals gelesen habe – denn sonst wäre ich ja kein Professor geworden.“ Mit diesen Worten kündigt der Wahl-Berliner Twittergott sein Seminar „Der romantische Zettelkasten“ an der UdK an; lohnt sich nicht nur für Luhmann-Fans.
Konsuminventur
Kunde als Knecht: Ist es nun Steuerungsfreiheit oder Ausbeutung, dass der Kunde immer häufiger als Dienstleister seiner selbst antreten kann/muss? Der Leser empfiehlt als Amazon-Rezensent anstelle des Eckbuchhändlers von 1994, bei IKEA oder Saturn scannen wir unsere Waren selber ein (was hierzulande wohl nicht so gut funktioniert) und jeder ist Hotelier bei Airbnb. Stern.de-Wirtschaftsredakteurin Katharina Grimm schreibt: „Sich selbst ins Flugzeug einchecken zu können, sich zum Taxifahrer via Uber zu bestimmen. Die selbst gewollte Knechtschaft der Kunden ist nur einen Wisch auf dem Smartphone entfernt.“