Es könnte das erste Bachmann-Wettlesen sein, bei dem kein Mann mit einem Preis nach Hause fährt. Das Scheinwerferlicht war vor allem auf die Frauen gerichtet (Nora Gomringer, Teresa Präauer), doch ob Tim Krohn noch etwas abbekommt wird man morgen um 12 Uhr erfahren haben. Den gestrigen Rückblick liefert Sophie Weigand eben hier auf Literatourismus. Clemens Setz twitterte vorgestern übrigens: „Sinke hin von Aalgesang. #saskiahennigvonlangeanagramm #tddl“. Das muss nachgereicht werden. Heute kommt der LesenMitLinks-Rückblick – Sophie und ich haben uns abgesprochen. Ich ging gestern eine Limonade trinken. Heute muss Sophie in der Buchhandlung arbeiten. Tag drei:
Einen Affenmonolog: präsentierte Teresa Präauer (Beitragsbild aus ihrem Autorenvideo im Goldie-Look) mit ihrem grandios gelesenen Text, in dem sich die Hauptfigur, schillernd zwischen den Dichotomien Mensch/Tier, Opfer/Täter, männlich/weiblich „zum Affen macht“, als Affe im Faschingskostüm vor seine Freundin, respektive seine Hartz IV-Venus stellt, sie überfällt. Viel Sprachspiel und ein wenig Rap. Peter Fox’ „Stadtaffe“ trifft auf King Kong (Kicks). Nur dass hier der Typ blonde Haare hat und die Frau mit ihren unrasierten Beinen den Affen symbolisiert. Ironisch („das Ende dieser Textstelle habe ich frei improvisiert“), aus dem Su-Su-Supermarkt ins Herz der Jury. Preisverdächtig.
Deutschland sucht den Superdichter: Es gab Wechsel in der Jury (Daniela Strigl fehlt sehr). Neu dabei sind F.A.Z.-Feuilletonistin Sandra Kegel (links ihr Facebook-Bild seit vielen Jahren), dann als mein persönlicher Favorit Klaus Kastberger im bedruckten Shirt. Stefan Gmünder, der als leitender Literaturredakteur beim Standard satte sechs Bücher im Monat liest (Reeeespekt!) fällt in seiner grau melierten Schüchternheit kaum auf. Ijoma Mangold, der einst ebenfalls dort saß, bemerkte, dass sich die Jury nicht traue, mittelmäßige Texte schlecht zu nennen. Vorsitzender Hubert Winkels auf dem Punkt. Solange meine Lieblingsmediävistin Hildegard Keller am Start ist bin ich zufrieden.
Ich bin Kraftklub: „Schlagerstars for li-i-i-i-i-ife.“ An die Chemnitzer (hier im neuen Deichkind-Video zu „Selber machen lassen“) musste ich denken, als Jürg Halter mit seinen roten Hosenträgern auftrat. Tolles Video, in dem er seine „Gedichtfalle“ im Garten zeigt und seine Muse (ein mit Kreppband geklebtes Gesicht auf der Kopfstütze im Kleinbus) vorstellt, ein starker Text, den der Autor leider zum Schluss verteidigt, „womit man nie eine gute Figur macht“ (Ijoma Mangold später im Gespräch mit Zita Bereuter). Eingehakt hat sich die Beobachtung, dass der Mensch sowohl Geschöpf, als auch Schöpf ist. Metaphysik Galore, Der Mensch im 21. Jahrhundert, Entschleunigung statt #Akzelerationismus.
#tddl: Als Peter Glaser (Bild) auf Twitter Ronja von Rönne „Früchtchen des Zorns“ nannte war das Medium ganz bei sich. Schnell, kalauernd, schimpfend, mit großer Emphase lief die Diskussion unterm #tddl-Hashtag auf Twitter, auf Facebook; unter anderen Vorzeichen als in der Bachmann-Jury, die alle Texte seit ein paar Jahren vorab bekommt. Das Wettlesen selbst hat keine eigene Social-Media-Präsenz. Diskussionen, Klatsch und Vorab-Tratsch werden in der öffentlichen FB-Gruppe „Bachmannwettschwimmen“ ausgetauscht. Schöner Tweet von Claudius Seidl: „Ist es nicht banal, das Banale banal zu nennen? Muß man nicht fragen: Warum ist das Banale krumm? #tddl“ (über RvR, nicht Präauer).
Tampons und Titten: Klo und Kotzen – tauchten alle auf im Vortrag „von hinten wie von vorn“ A-N-N-A Baar. Rückwärts und vom Textniveau dann doch eher (Stefan) Raab. Andere können nach so einem Bachmann-Vortag wenigstens abreisen – aber diese Autorin, von Josef Winkler hoch gelobt, wohnt nun mal in Klagenfurt. Totale Literaturvortäuschung mit „dürren Asseln“ und in ihrem Adolszenztext werden Brüste assoziiert mit „Milch in schlecht verschweißten Plastiksäcken“. Dichter Ron Winkler bemerkte treffend auf Facebook: „Ich finde manchmal Literatur ganz gut, wo man nebenbei noch was anderes machen kann.“ So viel handlungsgetriebene Provokation, die dennoch für Langeweile sorgt.
Eine Überraschung zum Schluss: aber nur für jene, die Dana Grigorcea aus dem rumänischen Bukarest bislang nicht auf dem Schirm hatten. Zuerst dachte ich, nach gespreiztem Video, auf das der Film von Jürg Halter wie Parodie wirkt: „Alain Delon, Jean-Paul Belmondo, Jeanne Moreau in diesem Text ist wie Roger Willemsen, wenn er über Lady Gaga spricht.“ Faszinierender Text, in dem Pop etwas Fremdes ist (auch für den in Bukarest auftretenden Michael Jackson, der sich einst in Budapest wähnte). Securitate trifft Moonwalk. Der „King of Pop“ starb übrigens während der TDDL 2009. Kommentar von Hanser-Verleger Jo Lendle auf Facebook: „Sie spielten die ganze Nacht „Beat it“. Wir tanzten schweigend.“