Die Russische Seele galt jahrhundertlang als schwermütig. Dann kam der böse Kapitalismus, Champagner-Russen fielen in den Westen ein, drängelten am Urlaubsbüffet und kauften die teuren Rotweinvorräte aus Frankreich auf. Selbstverständlich sind die wenigsten Russen so gestrickt – aber es gibt viele Künstler aus dem alten Sowjetreich, die über Partys, Clubs, die neue Dekandenz schreiben. Einer davon ist Sergej Minajew, der gerade mit seinem Roman „Seelenkalt“ erscheint.
In Russland hat Sergej Minajew mit seinem Roman Mystery-Autor Dan Brown vom Bestsellerthron gestossen. „Seelenkalt“ erzählt vom jungen, russischen Topmanager Alex, der gelangweilt auf seine Welt blickt. Deshalb ist Minajew gleich am richtigen Ort gelandet – bei „Ast“, dem russischen Verleger von Christian Kracht und dem französischen Dekadenzpoeten Frédéric Beigbeder. Sergej Minajew ist ein Star in Russland, längst selbst Millionär emporgestiegen, durch Weinimporte, und seine eigene Fernsehsendung. – In „Seelenkalt“ erzählt er von Parties, die der russische Topmanager Alex und seinen Leuten in Moskau feiern, Parties, mit käuflichen Frauen, mit kubanischem Koks, großmäuligen Westlern – und seinem Kumpel Vadim, der sich dazu anstiften lässt, einen Klub in der Hauptstadt zu eröffnen.
Alex soll mitmachen – für 50.000 Dollar. – Der Lieferant hat die ersten Champagnerflaschen bereits angeliefert. Die Korken können knallen. Doch Alex ist anderes als seine rüpeligen, vom westlichen Kapitalismus ausgehöhlten Feierkumpanen und Kollegen, was er ihnen auch immer wieder klarzumachen weiss: „Wenn du Freitagnachmittag von der Arbeit zu deiner Datscha gehetzt bist, um dich zusammen mit deinem Alten in freier Natur zu besaufen, hab ich mir im Pljutsch Extasyeingeworfen und ,Born Slippy‘ von Underworld gehört. Ich mag weder billige Krimiserien noch russischen Rock, ich besitze auch keine CD von Serjoga mit Superhits vom ,Schwarzen Mercedes‘ und so weiter, die ihr euch so gerne reinzieht. Ich lese Houellebecq und Bret Easton Ellis, mag alte Filme mit Marlene Dietrich und fahre auf italienisches Design ab.“ Ein Business-Class-Hero mit Stil und Coolness-Anspruch.
Ausgerechnet dieser Typ muss im Auftrag seiner Firma von Moskau in die Provinz reisen, nach St. Petersburg, das man seiner Meinung nur auf eine Art erträgt: „Man steht morgens auf und pafft erst mal ein Pfeifchen Crack. Wenn man dann wieder runterkommt, lässt man sich mit Wodka vollaufen und verbringt den Rest des Tages mit Weinen. Man hält sein Gesicht aus dem Fenster und mischt seine Tränen mit dem Regen, der ununterbrochen von dem schmutziggrauen Petersburger Himmel rieselt. Und vögelt. Fickt wie ein zum Tode Verurteilter, der weiß, dass jede Nummer die letzte sein kann.“ Alex sieht hinter allem auch den Dreck, den Betrug, was ihn, im Gegensatz zu Vadim, am Ende retten wird. – Vadim hat sich an die falschen Ideale und die falschen Leute verkauft, weshalb er zum Ende geradezu zwangsläufig sehr tief fallen wird. „Seelenkalt“ kommt teilweise sehr kulturpessimistisch und kapitalismuskritisch daher, lässt aber Raum für coole Parties, er feiert mit, hat schnelle Dialoge, und die Melancholie, die man sonst so aus russischen Romanen kennt, fehlt hier an den meisten Stellen. „Seelenkalt“ erinnert an die Fahrt mit einem Lamborghini auf eisglatter Fahrbahn, ein Gefühl, das man in Russland vermutlich eher kennenlernt als hier.
(Sergej Minajew: „Seelenkalt“, Heyne Hardcore, 384 Seiten, 12 Euro, übersetzt von Olga Kouvchinnikova und Ingolf Hoppmann)