Die Menschheit hoffte schon immer, dass der Tod überwunden werden kann. Unzählige Religionen wurden auf eben dieser Hoffnung begründet. Die Ägypter waren von dieser Idee geradezu besessen. Ihr Totenkult hinterließ mit den Pyramiden einige der eindrucksvollsten Bauwerke aller Zeiten. Aber auch Philosophen spekulieren seit jeher über ein mögliches Leben nach dem Tod. In der Deutschlandradio Kultur-Sommerreihe „Philosophisches Kopfkino“ beschäftigt sich „Sein und Streit“ diesen Monat mit philosophischen Gedankenexperimenten im Film. Eine besonders trickreiche Vision hat vom Silicon Valley aus die Popkultur infiziert – das so genannte „Mind Uploading“, also das Hochladen eines Bewusstseins ins Netz. Welche Folgen zu befürchten sind zeigt der Kinofilm „Transcendence“ mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Es bleibt danach vor allem eine Frage: Wie erstrebenswert ist das ewige Leben?
Bereits das früheste uns überlieferte Stück der Literatur erzählt von der Suche nach der Unsterblichkeit. Im Gilgamesch-Epos muss ein sumerischer König den Tod seines besten Freundes mit ansehen. Erfüllt von Trauer und Angst zieht er hinaus in die Welt. Er will dem der eigenen Sterblichkeit fliehen, dem unweigerlichen Ende, das auch auf den König wartet. Die Geschichte entstand vor ungefähr 4500 Jahren in Babylonien. Ihre alles motivierende Urangst vor dem Tod ist geblieben. Daran hat weder die „ars moriendi“ genannte „Kunst des Sterbens“ im Spätmittelalter etwas ändern können noch tröstende Gedanken wie in der berühmten Stelle aus Thomas Manns „Buddenbrooks“. Da beruhigt sich der Kaufmann nach der Lektüre von Arthur Schopenhauers „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich“ mit den Worten:
„Was war der Tod? Die Antwort darauf erschien ihm nicht in armen und wichtigtuerischen Worten: er fühlte sie, er besaß sie zuinnerst. Der Tod war ein Glück, so tief, daß es nur in begnadeten Augenblicken, wie dieser, ganz zu ermessen war. Er war die Rückkunft von einem unsäglich peinlichen Irrgang, die Korrektur eines schweren Fehlers, die Befreiung von den widrigsten Banden und Schranken – einen beklagenswerten Unglücksfall machte er wieder gut.“ Man mag noch so oft denken, dass ein alles durchwirkendes, ewig vorhandenes, nie sterbliches Prinzip in der Welt herrscht; ob das nun „der Wille zum Leben“ ist sei dahingestellt. Am Ende äußert sich unsere Existenz im Verhältnis von „Sein und Zeit“. Nach dem Tod ist Schluss. Bis zum Tod müssen wir alles erlebt haben, was wir auf Erden zu erleben wünschen.
Oder doch nicht? Gibt es eine Chance, das endgültige Ende zu verhindern? Man könnte nun mit dem Mathematiker und Philosophen Blaise Pascal kontern, der in seinen „Gedanken“ unmissverständlich schrieb: „Keine sonderlich erhabene Seele ist nötig, um zu begreifen, dass es auf Erden keine wahrhafte und beständige Zufriedenheit gibt und dass all unsere Vergnügungen nur eitel sind, dass unsere Leiden unzählbar sind und dass zum Schluss der Tod, der uns ständig bedroht, uns unaufhebbar in wenigen Jahren vor die entsetzliche Notwendigkeit stellen wird, dass wir entweder auf ewig vernichtet oder auf ewig unglücklich sind.“ Mehr hat dazu Ulrich Kirsch 1989 in seiner vortrefflichen Dissertation über die „Gedanken“ und das darin disputierte Feld von „Tod, Vergänglichkeit und Glück“ geschrieben.
Nach der Lektüre, sowohl von Pascal als auch von Kirsch wünscht man sich unweigerlich die Erfüllung jener Idee, die Regisseur Wally Pfister im Kinofilm „Transcendence“ zeigt. Der Wissenschaftler Will Caster, dargestellt von Johnny Depp, hat ein „physisch individuelles, neuronales Netzwerk“ (kurz. PINN) erfunden, eine künstliche Intelligenz – die ungeahnte Möglichkeiten bereithält. Caster wird bei einem Mordanschlag schwer verletzt. Sein baldiger Tod steht ihm vor Augen. In dieser höchsten Not hat seine Partnerin eine Idee. Sie will das Gehirn ihres Mannes ins PINN-System hochladen, aus dem künstlichen Netzwerk ein kybernetisches Duplikat Casters machen, das nicht nur mit dessen Stimme spricht, sondern auch dessen Gedanken hat, die gleichen Erinnerungen und durch die gleichen Erinnerungen auch ein identisches Wesen. Bei einem Primaten hat dieser Versuch (im Film) bereits funktioniert. Doch Casters bester Freund und Kollege warnt vor dem Experiment: „Er ist kein Affe! angenommen, das Implementieren einer Elektrode in seinem Gehirn würde ihn nicht umbringen – und es funktioniert, dann hast du bestenfalls eine annähernde digitale Kopie von ihm. Wenn wir irgendetwas vergessen, egal was, irgendeinen Gedanken, von mir aus eine Kindheitserinnerung; woher wissen wir, mit wem wir es zu tun haben?“
Die Idee des Mind-Uploads ist im Silicon Valley populär. Firmen wie Google investieren in diese Technik, beschäftigen sich auch mit anderen Verfahren der Lebensverlängerung: dem Einfrieren von Körpern oder Gehirnen. Doch scheint die Idee eines Mind-Uploads am Schnellsten möglich. Das Konzept dahinter klingt simpel. Gedanken und Gefühle werden seit einigen Jahrzehnten unter anderem als Information betrachtet – analog zu der lange herrschenden Idee „elektrischer“ Nervenbahnen zur Hochphase der Industrialisierung. Informationen kann man speichern, auf Festplatten seit Kurzem, auf Höhlenwänden oder auf Papyrus seit Längerem. Schriftsteller träumten immer wieder davon, sich mit ihrem Werk „unsterblich“ zu machen, also Informationen von sich über den eigene Tod hinaus zu bewahren.
Wenn jedoch alles gespeichert werden kann, dann sollte es bei ausreichend großer Rechnerkapazität auch möglich sein, ein ganzes Gehirn abzusichern. Gäbe es dann Eins zu Eins-Kopien von unserem Innenleben? Es ist eine Frage, die sich auch im Film „Transcendence“ stellt, als Will Casters Gehirn mithilfe des PINN-Systems gescannt und gesichert wird, bevor er stirbt. Aber für derartige Versuche muss man zunächst generell verstehen, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Davon ist die heutige Wissenschaft weit entfernt. Es gibt in Europa das sogenannte „Human Brain Project“, das innerhalb von zehn Jahren 1,2 Milliarden Euro ausgibt, um das menschliche Gehirn besser zu verstehen. Immer wieder wird es mit der Hoffnung verknüpft, bald ein Gehirn nachbilden zu können. Doch selbst im Film steckt die Forschung in den Kinderschuhen: „Mein ganzes Leben habe ich versucht, das Gehirn auf eine Reihe elektrischer Impulse zu reduzieren. Ich habe versagt. Menschliche Emotionen sind zu Widersprüchen fähig. Wir lieben jemanden und können hassen, was er getan hat. Maschinen kriegen das nicht in Einklang.“
Es gibt seit jeher große philosophische Debatten darüber, was das menschliche Wesen ausmacht. Nur der Geist? Oder doch eher sein Zusammenspiel mit dem Körper? Sind die beiden gar nicht so klar zu trennen? Dann würde ein Mindupload natürlich wenig helfen, weil Netzwerke keinen Körper besitzen. Doch es gehört zu unserer Zeit, dass wir uns den Menschen als Computer vorstellen wollen. Der Film „Transcendence“ zeigt auf unheimliche Weise, was geschehen kann, wenn ein Hirn mit dem Internet zusammengeschlossen wird. Er ist ein cineastisches Gedankenspiel, das ein philosophisch-technisches Gedankenspiel als Grundlage nutzt. Inhaltlich ist das vielleicht nicht immer geglückt – aber die Folgen sind auf beeindruckende Weise manifest: Es wird zu einer Katastrophe kommen.
Georg W. Bertram: „Philosophische Gedankenexperimente“, Reclam, 312 Seiten, 12,95 Euro / Blaise Pascal: „Gedanken“, Reclam, 587 Seiten, 13,80 Euro / „Ulrich Kirsch: Blaise Pascals ‚Pensées‘ – Systematische ‚Gedanken‘ über Tod, Vergänglichkeit und Glück, Karl Alber, 392 Seiten, 49 Euro