Die Deutschlandradio Kultur-Reihe „Kopfkino“ fragt in diesem Sommer nach philosophischen Gedankenexperimenten im modernen Film. Es soll um die großen Fragen der Geistesgeschichte gehen: Was ist der Mensch? Ist Unsterblichkeit möglich? Ist die Wirklichkeit real? – Ein besonderes Gedankenexperiment schlägt seit 65 Jahre die Brücke zwischen Philosophie und Technik: Der so genannte Turing-Test, mit dem Künstliche Intelligenz bewiesen werden soll.
„Was ist der Mensch?“ Das fragt die Philosophie seit ihren vorsokratischen Anfängen – und findet Antworten vor allem in Differenz zum allgemein Unbelebten (Steinen), zum Unsterblichen (Gott), zum Tier oder gerade seit Aufkommen der Kybernetik: Zur Maschine. Das bislang weitreichendste Gedankenexperiment stellte der britische Mathematiker Alan Turing im Jahr 1950 vor. Turing, ging davon aus, dass es bereits 50 Jahre später Künstliche Intelligenz geben würde. Er konzipierte einen verifizierenden Versuchsaufbau, in dem ein Mensch mithilfe von Tastatur und Bildschirm mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern kommuniziert; mit einem anderen echten Menschen und mit einer Maschine. Beide würden nun versuchen, den Fragesteller davon zu überzeugen, dass sie menschlich seien. Wenn am Ende der Fragesteller nicht angeben könnte, wer seiner Gesprächspartner der Mensch und wer die Maschine ist, gilt der Turing-Test als bestanden und die Künstliche Intelligenz (K.I.) sei damit belegt.
Etliche Filme der jüngsten Zeit beschäftigen sich mit Alan Turing und mit der Frage nach K.I. – der Oscar-Gewinner für das beste Drehbuch 2015 „The Imitation Game“ mit Benedict Cumberbatch und Keira Knightley, der ebenfalls vom Leben Turings inspirierte „Enigma“ aus dem Jahr 2001, aber auch „Ex machina“, das Regiedebüt von Alex Garland, in dem der Turing-Test unter verschärften Bedingungen stattfindet: Der Frage stellende Mensch weiß nämlich, dass er lediglich mit einer Rechenmaschine spricht.
Auf die Spitze treibt es „Her“ aus dem Jahr 2013, der ebenfalls mit einem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnete Film von Hollywood-Genie Spike Jonze („The Game“, „Synecdoche, New York“, „Being John Malkovich“). Hier verliebt sich der introvertierte Theodore Twombly in ein emphatisches Operating System, das mit der Stimme von Scarlett Johansson spricht. Allerdings ist dieses Computerprogramm, das auf den Namen Samantha hört, weit entfernt vom dröhnend-machistischen Wesen des Supercomputers HAL in Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ von 1968.
Samantha ist witzig, emphatisch, geht auf die Bedürfnisse von Theodore ein – der sich nur zu Beginn skeptisch zeigt: „Weißt du, was ich gerade denke?“ – „Deinem Tonfall entnehme ich, dass du mich herausforderst. Vielleicht, weil es dich interessiert, wie ich funktioniere? Willst du wissen, wie ich funktioniere?“ – „Eigentlich schon, ja. Wie funktionierst du? – „Tja, meine Basis ist die Intuition. Ich meine, meine DNA beruht quasi auf den Millionen Möglichkeiten aller Programmierer, die mich geschrieben haben. Aber was mich zu mir macht ist meine Fähigkeit, durch meine Erfahrungen zu wachsen. Das heißt, im Grunde entwickele ich mich in jedem Augenblick weiter. Genau wie du.“
Spike Jonzes Film berührt eine der größten Ängste unserer Gegenwart; Werden wir irgendwann noch unterscheiden können, wer Mensch, wer Maschine ist? Schon heute sprechen halbwegs smarte Computerstimmen irgendwelcher Telefonhotlines mit ihren Kunden. Sie können die Fragen ihrer Kunden von Jahr zu Jahr besser verstehen. Spracherkennungssoftware wie Siri von Apple, die mit männlicher und weiblicher Stimme kommunizieren kann, reagiert sogar auf Flirtversuche. Allerdings geht Siri bislang auf keine noch so liebliche Avance ein. Noch ist Siri („Dein Wunsch ist ihm Befehl“) ganz anders als die Computerstimme Samantha in „Her“.
„Naja, ich habe doch neulich darüber nachgedacht, wie verärgert ich war – und das hört sich jetzt komisch an, aber: Da war ich richtig aufgeregt. Und dann habe ich über die anderen Sachen nachgedacht, die ich empfunden habe, und habe mich dabei erwischt, dass ich stolz darauf war, meine eigenen Ansichten über die Welt zu haben. Also, wie ich mir Sorgen um dich gemacht habe, was mich verletzt hat, was ich will – und dann hatte ich diese schreckliche Frage. Sind diese Dinge wirklich real? Oder sind sie nur programmiert? Und diese Vorstellung tut sehr weh.“
Das ist der Turing-Test einmal umgedreht. Während es 1950 noch darum ging, ob ein Proband den Unterschied zwischen Realität und Virtualität ausmachen kann stellt in „Her“ (was vermutlich nicht zufällig nach HAL klingt) die Frage, was echt, was virtuell ist. Die verliebten Reaktionen von Theodore zeigen, dass dieser „unmögliche Tausch“ keine Rolle mehr spielt, weil die künstliche Samantha den gleichen Effekt hat wie eine echte Liebe. „Für mich fühlst du dich real an, Samantha.“ – „Danke, Theodore. Das bedeutet mir sehr viel.“ – „Ich wünschte, du wärest jetzt bei mir. Genau hier. Ich wünschte, ich könnte meine Arme um dich legen – und ich könnte dich berühren.“ – „Her“ zeigt auf sehr anrührende Weise, was passiert, wenn Menschen sich entschließen, einen Rechner echten Lebewesen vorziehen. Selbst als Zuschauer fällt es schwer, sich nicht vom Charme dieser künstlichen Samantha einfangen zu lassen.
Bislang gilt als ausgeschlossen, dass ein Computer irgendwann die Empfindsamkeit beispielsweise eines Johann Wolfgang von Goethe erreicht. Der amerikanische Internetvordenker Jaron Lanier hat in seinem so genannten „Halben Manifest“ (gerade nachgedruckt im Essayband „Wenn Träume erwachsen werden“) jedoch eine zweite, ziemlich bedrückende Vision entworfen:
„Turings Fehler war, dass er von der Annahme ausging, ein Computer könne den Test nur dann erfolgreich bestehen, wenn er seine Leistung steigerte, klüger und menschlicher werde. Es gibt aber noch eine weitere, genauso stichhaltige Erklärung dafür, dass ein Computer den Test gewinnt, und zwar, dass der Mensch an Intelligenz verliert und weniger menschlich geworden ist. Einmal jährlich wird ein offizieller Turing-Test abgehalten, und obwohl es bisher noch kein Programm geschafft hat, das beträchtliche Preisgeld zu gewinnen, wird das in den nächsten Jahren bestimmt irgendwann passieren. Aber meiner Ansicht nach lenkt dieses Ereignis uns nur von dem wahren Turing-Test ab, die bereits ständig gewonnen werden. Wir Menschen verlieren ständig reale, wenn auch kleine, unscheinbare Turing-Tests, und zwar immer dann, wenn wir uns dummer Computersoftware unterordnen.“
Jaron Lanier: „Wenn Träume erwachsen werden“, übersetzt von Heike Schlatterer, Sigrid Schmid, Friedrich Pflüger, Violeta Topalova, Hoffmann & Campe, 448 Seiten, 25 Euro / Der Film „Her“ ist auf DVD erschienen, 126 Minuten, Drehbuch und Regie: Spike Jonze Musik: Arcade Fire.