Am heutigen Sonntagabend endete die Frühjahrs-Buchmesse, die vier Tage zuvor eröffnet wurde mit der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an den französischen Schriftsteller Mathias Énard. Énards aktueller Roman „Kompass“ fragt nach dem orientalen Anteilen im Okzident und tatsächlich ist es so, dass das, was wir „abendländisches Erbe“ nennen das Mittelalter kaum überstanden hätte ohne jene muslimischen Weisen, die beispielsweise die Schriften Aristoteles’ bewahrten, während in unseren Breiten Klosterbibliotheken brannten.
Am gleichen Eröffnungsabend wurden die Nachrichten beherrscht von Meldungen über das fürchterliche Londoner Attentat – und in den Sozialen Medien überschlugen sich mal wieder die anti-islamischen Reaktionen. Im Leipziger Gewandthaus ging es um Verständigung, doch draußen vor den Toren war eben diese Verständigung schon wieder bedroht. Damit war offensichtlich, dass der versöhnliche Gestus aller Grenzen überbrückender Literatur keine Selbstverständlichkeit ist.
In diesem unheimlichen Spannungsfeld bewegten sich denn auch die ansonsten heiteren Tage der Leipziger Messe: Da waren auf der einen Seite die ebenso fröhlich wie weltentrückt wirkenden Jugendlichen in ihren Manga-Comic-Kostümen, während auf der Bühne eine Ecke weiter erinnert wurde an die Unterdrückung des Worts in der Türkei, an die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yükzel; und auf den Treppenstufen der Eingangshalle stand in großen Buchstaben, so dass es jeder lesen konnte: „Für das Wort und die Freiheit.“ Es war Aufruf und Beschwörung zugleich.
In einer der großen Hallen stellten ausländische Verlage und Kulturinstitute ihre Programme vor. Das Gastland Litauen präsentierte sich auf angenehm dezente Weise – und dass es eben hier eine gut besuchte Bühne gab, die den Namen „Café Europa“ trug, wirkte wie ein Vertrauensbeweis in das Verbindende und Offene in einer Zeit des allgegenwärtigen Misstrauens – das schon am Eingang der Messe spürbar war, weil zum ersten Mal die Taschen kontrolliert wurden. Das hellgrün gekleidete Sicherheitspersonal war sichtbarer als die meisten SchriftstellerInnen – mit ihnen wurde man schon vorm ersten Bücherregal auf den Boden der Tatsachen gebracht.
Dennoch war diese Leipziger Messe auch eine Feier der Literatur: der allerneuesten Werke ebenso wie jener lang vergangener Jahrhunderte, spürbar zum Beispiel am Donnerstag, als der Preis der Leipziger Messe in der Kategorie Übersetzung verliehen wurde an Eva Lüdi-Kong für ihre Übertragung des chinesischen Klassikers „Die Reise in den Westen“ – in einer Fassung aus dem 16. Jahrhundert, während die Spuren dieses Romans bis in die Comickultur der Gegenwart weiterverfolgt werden können und sich dann wieder treffen bei den verkleideten Manga-Fans, die dann auf besonders anschauliche Weise an das erinnerten, was Veranstaltungen wie diese Leipziger Buchmesse eindrucksvoll zeigen: Kultur kann nur lebendig bleiben im stetig neuen Vollzug – für das Wort, vor allem aber für die Freiheit. (Bildcredit)