Im Herbst erschienen zwei Bücher des Kölner Design-Philosophen und Kreativitätscoachs Frank Berzbach; spirituelle Essays unter dem Titel: „Ich glaube an Engel – manche fahren Bus“ und ein Brevier sinnhaltiger Sätze, die als „Königswege zum Unglück“ im Verlag Hermann Schmidt erschienen sind. In Berzbachs Unglücksbuch lesen wir: „Eine ganze Branche ist damit beschäftigt, Worte zu verkaufen, die sie erfolgreicher und glücklicher machen sollen. Flache Sprüche und Phrasen geistern durch die sozialen Netzwerke, auf den ersten Blick klingen sie oft gut. Häufig werden sie John Lennon oder Oscar Wilde untergeschoben, obwohl die beiden keine Plattitüden von sich gaben.“ Ein Gespräch.
Frank Berzbach, was machen Sie anders in ihren „Königswegen zum Unglück“, die ihren Ursprung ebenfalls in den sozialen Netzwerken haben? Es entstand tatsächlich in einer unglücklichen Nacht, in der ich irgendwie betrübt in der Küche saß. Schlaflos und durch meinen Kopf geisterten die Sätze, die mich wachhielten. Ich schrieb den ersten davon auf, habe ein Foto gemacht, über meinen Instagram-Kanal gepostet und bin eine Stunde später ins Bett gegangen. Am nächsten Morgen war die Resonanz so durchschlagend, dass ich dachte: Oh, das betrifft nicht nur mich. Dieser Satz, dieser unglückmachende Satz, die Nummer eins, war: ‚Seine Vergangenheit nutzen, um die Gegenwart zu zerstören’. Dann habe ich in mir diese Sätze gesucht, die mich tatsächlich ins Unglück führen, wenn sie in meinem Kopf auftauchen. Irgendwann entstand dieses Buch zusammen mit Jana Gesse, die das Ganze mit einer analogen Schreibmaschine typografisch inszeniert hat.
Tatsächlich stellen Sie viele Sätze vor, die gegenwärtige Achtsamkeitsdiskurse aufgreifen, so schreiben Sie, ein Königsweg zum Unglück sei: „Vom Verzicht erwarten, er macht frei.“ Dabei wird doch gerade der Verzicht während der derzeit grassierenden Inflation zu einem herausgehobenen Gegenwartsphänomen. Welche Art von Reichtum möchten Sie gegenüber dem Verzicht stärken? Mein meistverkauftes Buch ist tatsächlich eines über Achtsamkeit, das auch viel in dieser Branche gelesen wird. Allerdings glaube ich, dass diese leichtfüßige Verwendung der ganzen Begriffe in die Irre führt. Ich habe auch was geschrieben gegen diesen Minimalismustrend. Diese Idee des Verzichtes aus der religiösen Askese heraus ist sehr reflektiert und schult uns sicher, wenn es religiös korrekt gerahmt wird. Aber es gibt diesen Trend in bestimmten Milieus, sich von dem zu trennen, wovon man sich eh trennen will mit der Option, ich kaufe es dann neu, wenn ich es wiederhaben will. Das verkauft man dann als Minimalismus. Das halte ich für eine Lebenslüge. Es gibt dieses Phänomen auch nur in Wohlstandsgesellschaften, in Wohlstandsmilieus. Ich bin eher Sammler. Die Leute erwarten von mir immer, dass ich ganz minimalistisch lebe, nur grünen Tee trinke… Das ist alles nicht so. Ich finde, wir müssen die Sachen, die wir lieben können, sammeln, kuratieren. Dann wählen wir bewusst aus. Das können bei Büchern, bei Schallplatten, bei anderen Objekten sehr viele Dinge sein.
Ihre „Königswege zum Unglück“, das wird deutlich, reiht sich jedenfalls in eine Kritik ein, die momentan angeführt wird von Karsten Dusses Krimreihe „Achtsam morden“. Ihr zweites gerade erschienenes Buch „Ich glaub an Engel – manche fahren Bus“ versammelt „Essays in spiritueller Absicht“. Hier fällt auf, dass Sie an vielen Stellen Stilkritik üben. Sie schreiben, die Chance sei vertan, etwas Gegenwärtiges zu Manieren zu formulieren. Welche Art von Verfeinerung fänden Sie als Ästhetikspezialist gerade in unserer heutigen Zeit wünschenswert? Das Buch ist ein bisschen eine Fortsetzung meines Buches „Formbewusstsein“, wo ich versuche zu motivieren, dass man seinen eigenen Alltag gestaltet. Das beginnt bei der Ernährung, bei der Kleidung, bei Verhaltensweisen. Mein Beitrag im Essay- Band beruht auf einer Beobachtung in einem Berliner Hotel, wo ich eine Stunde morgens mit der Zeitung saß, in einem ganzen schönen Frühstückssaal. Von 1912 ist der, glaube ich. Und dieser Saal war voller Rüpel in verschiedener Ausprägung, also junge Männer, die ihre Frauen schlecht behandeln, ältere Männer, die ihr ganzes Umfeld, die ihre Kinder schlecht behandeln. Ich war richtig erstaunt und begann, als Autor ist es naheliegend, zu beobachten und zu notieren, was ich da sah. Ich hatte in Berlin an der Straße einen Benimmratgeber von 1956 gefunden. „Der gute Ton“ heißt das Buch, und das war damals schon in der elften Auflage, mit wunderbar ironischen Illustrationen. Es gibt Einblick in der Zeit, wo man auch als Mann lernt: wie geht man, wie steht man, wie ist man gesellig, wie verhält man sich in Hotels? Ich musste erst schmunzeln.
Aber das, was ich vor mir hatte, an flegelhaftem und seltsamen Benehmen, was wirklich sozial Hässliches, führte zu dem Gedanken: Na ja, wir mögen uns von den Manieren der 50er Jahre verabschiedet haben, weil wir bestimmte Werte oder Frauenrollen gerade nicht mehr teilen. Allerdings haben wir an die Stelle nichts gesetzt. Da entsteht eine paradoxe Situation. Wir müssen auch kulturelle, also Alltags- und Verhaltensweisen in gewisser Weise mühsam erlernen; wie esse ich mit Messer und Gabel, wie binde ich mir die Schuhe zu, wie setze ich mich an einen Tisch, wie gehe ich durch einen Saal von einem Hotel oder: wie benehme ich mich überhaupt? Das Homeoffice hat das nochmal verstärkt. Ich finde, wir brauchen wieder so eine Art Knigge und Umgang mit Menschen, der nicht das Business meint, der nicht nur diese albernen Verhaltensweisen aufzählt: Wie bin ich beruflich erfolgreich, bürgerlich, angepasst? Darum geht es ja gar nicht.
Aber in diesem 50er-Jahre-Ratgeber sind noch Beispiele, wie man an der Körperhaltung eines Menschen so die Stimmung und das Befinden abliest. Wenn man dann an heutige Empfänge und Events denkt – mit einem Bisschen sozialem Gespür können wir dort sehr viel sehen. Knigges Idee war, den Umgang mit Menschen zu vereinfachen. Es ist ja ein großer philosophischer Beitrag gewesen in der Zeit, der parallel zu Kant den Alltag meint und nicht die hohen abstrakten Fragen. Ich dachte mir, ja, diese Leute in diesem Berliner Frühstückssaal benehmen sich alle so, weil niemand sie jemals darauf hingewiesen hat, dass bestimmte Sachen für das Gegenüber überaus unerfreulich sind. Und wenn man auf dem Buchmarkt guckt, gibt es einen passenden Ratgeber auch nicht. Die, die ich gefunden habe, sind wirklich eher unerfreuliche. Die haben nicht die Kultur im Blick, sondern andere Dinge. Oder sind furchtbar eng oder bürgerlich oder so.
Nun beobachtet der Streaminganbieter Netflix mit seiner Dokureihe „Mind your manners“ aktuell eben diese Verfeinerung. Treten wir möglicherweise – nach Jahren des Hyperindividualismus – ein in eine neue Epoche der gesellschaftlichen Verabredungen? Das wäre natürlich in Hinblick auf den Alltag erfreulich. Wir haben überall Retrotrends. Wir hören Musik von Lana Del Rey. Das ist natürlich eine imaginierte Sehnsucht. Wir wollen bestimmte Werte nicht zurück. Aber wir wollen vielleicht Verhaltensweisen zurück. Wir folgen Serien, wo die Geschlechter anders unterschieden werden. Wie blicken in eine Zeit vor Jeans und Sneakers. Und schon sehen alle auf einen Schlag gut aus. Also zumindest interpretieren das sehr viele Leute so, nicht weil sie bieder wären, sondern wenn wir einen Empfang, ein Essen, eine Feier haben – und alle bemühen sich um ihre Kleidung, entsteht in der Summe etwas, was ein bisschen schillert, was schön sein kann. Es wäre gut, wenn diese sehr altmodischen Dinge wie Manieren, wie Eleganz, wie auch die Eleganz der Sprache oder die Aufmerksamkeit auf eine gute Sprache und Ausdrucksweise zurückkommen; ohne die ehemals eng bürgerlichen, quasi konservativen Werte, die wir vielleicht nicht mehr wollen. Aber, sich gut auszudrücken oder in einer bestimmten sozialen Art elegant verhalten zu können, das betört tatsächlich bis heute viele Menschen, egal welcher politischen Richtung. Es ist hilfreich, wenn wir, der Definition von Manieren folgend, es dem anderen einfacher machen. Das wäre das Zauberwort.
Frank Berzbach: „Ich glaube an Engel – manche fahren Bus“, Vier-Türme Verlag und „Königswege zum Unglück“ im Verlag Hermann Schmidt, gestaltet und auf einer TIPPA S-Schreibmaschine gesetzt von Jenna Gesse.