Dave Eggers ist einer der engagiertesten Schriftsteller Amerikas. In seinem Verlag McSweeny’s gibt es eine Publikationsreihe über Menschen, denen Unrecht widerfahren ist. Das prominenteste Beispiel: „Zeitoun“
„Ich möchte, dass Du die Stadt verlässt“, sagte sie. „Die Nachrichten sind richtig schlimm. Es gibt Plünderungen und Tote. Dir wird irgendwas zustoßen.“ Diese Besorgnis erregenden Sätze stammen von Kathy, der Ehefrau Abdularahm Zeitouns. Der wohnt in New Orleans und hat nach dem Tsunami 2005 seine Familie weit weg geschickt, um allein mit dem Kanu durch die überfluteten Straßen zu paddeln und zu helfen. Er hilft überall dort, wo er gebraucht wird. – Der US-amerikanische Autor Dave Eggers hat nun einen Tatsachenbericht über Zeitoun hingelegt, der atemraubend ist, weil er seine Leser direkt in die hilflos machenden Wirrnisse des amerikanischen Justizsystem drängt: Denn während er helfen will, wird Zeitoun irrtümlich festgenommen und angeklagt, Al Quaida-Terrorist zu sein, der die Katastrophe für einen Anschlag ausnutzen will. Auf einmal wird aus diesem Katastrophenbuch eine Geschichte über Ausländerhass und Terror-Paranoia in den USA nach den New Yorker Terroranschlägen vom 11. September 2001.
Dave Eggers geht ruhig vor, Szene für Szene, fängt weit vor der Überschwemmung an und erzählt auch, wie Kathy, eine Christin, irgendwann an ihrer Religion zweifelt, überlegt, den Islam besser kennenzulernen, sich an den heimischen Pfarrer wendet und allein für diese Frage, für dieses Nachdenken über ein anderes Bekenntnis, im nächsten Sonntagsgottesdienst vorgeführt wird. „Der Prediger unterbrach sie. „Sie haben mit dem Gedanken gespielt“ – und an der Stelle legte er eine Pause ein – „Allah anzubeten!“ woraufhin er ein prustendes, abfälliges Gelächter von sich gab, ein Geräusch, wie es ein Achtjähriger auf dem Spielplatz machen würde.
In diesem Augenblick zerreisst etwas in Kathy, die wie fassungslos vor ihrer Gemeinde steht. Wusste dieser Priester denn nicht, dass sein Gott und der Gott des Islam ein und derselbe sind? Sie konvertiert. Aus Wut, aus Scham. Sie wird Muslima – in einer Zeit, in der Moslems in den USA immer wieder wegen der Terroranschläge schikaniert werden. Zuletzt passiert die eigentliche Katastrophe: ihr Mann wird unschuldig inhaftiert. Diese tapfere Frau wird am Ende daran zerbrechen, dass in den USA soetwas passieren kann, dass eine Überschwemmung ausreicht, um den festen juristischen Boden des gesamten Landes wegzuschwemmen. Es ist bemerkenswert, genau diese Entwicklung Kathys nachzulesen, gerade dann, wenn sie beispielsweise versucht, über das Rote Kreuz, über Freunde und das Internet herauszufinden, was mit ihrem Mann geschehen ist: lebt er noch, wurde er erschossen, ist er ertrunken? Dieses Zittern führt beim Lesen zum Mit- und Nachzittern in einem der besten und schockierendsten Bücher der jüngsten Zeit.
Dave Eggers: „Zeitoun“, übersetzt von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel, KiWi, 470 Seiten, 19,95 Euro