Tiere und deutsche Musiker gehören nicht erst seit den fantastischen Electroalben „Flora und Fauna“ (2004) oder „Heimische Gefilde“ (2007) von Biologiestudent Dominik Eulberg zusammen. Die Popband „Wir sind Helden“ hat bereits 2004 in „Rüssel am Schwanz“ gesungen: „In unserem Wimpernkranz bekriegen sich die Fliegen, wen stören die Käfer die uns in den Ohren liegen (…) Und du gehst Rüssel an Schwanz hinterher. Trampelpfade Hintermann was brauchst du mehr.“ Später ging es unter anderem um aufgescheuchte Vögel, um Möwen, Hunde und Krill. Daher wundert es nicht, dass Bandleaderin Judith Holofernes nun, vier Jahre nach dem Ende der Band, bebilderte Tiergedichte veröffentlicht.
„Du bellst vor dem falschen Baum“ heißt der Reigen und kommt mit Collagen der Berlinerin Vanessa Karré, die bereits 2005 das „Wir sind Helden“-Album „Von hier an blind“ gestaltet hat. „Denk ich an Deutschland in der Nacht/hab ich kaum je ein Schaf gebraucht/Eh jenes sich zum Sprung aufmacht/bin ich schon in den Schlaf geschlaucht.“ Das mag vielleicht nicht das beste Beispiel für die lyrische Qualität von Holofernes sein, andere sind dagegen klare, auch unterhaltsamere Hommagen an Robert Gernhardt, der einst dichtete: „Kröten sitzen gern vor Mauern, wo sie auf die Falter lauern. Falter sitzen gern an Wänden, wo sie dann in Kröten enden“, Hommagen an Heinz Erhardt oder an Christian Morgensterns Verse wie „ein Vierviertelschwein und eine Auftakteule trafen sich im Schatten einer Säule“.
Bei Holofernes klingt das so: „Ein Faultier/fault hier/vor sich hin/Ein langer Finger/kratzt das Kinn.“ Diese Sammlung von Gedichten und Tier-Songtexten früherer Alben wie „So und so“ und „Bring mich nach Hause“ ist eine Mischung aus Quatsch- und Kinderbuch, mit dadaistischen Momenten („Du sagst: BLAF/BLAFBLAF/ARRFF! KOFF! BLAF!“), absurden Fragen („Haben Oktopoden Hoden?) und einem possierlichen Oppossum. Zudem ist ihre Lyrik tatsächlich lyrisch, musikalisch an vielen Stellen: „Meine Art, Gedichte zu schreiben ist sehr groovebasiert, ich funktioniere natürlich sehr über rhythmische Pattern und vielleicht habe ich auch zu viel Rap gehört“, sagt Judith Holofernes im Interview. „Meine Songwritingvorbilder, wenn deutschsprachig, sind auch alles Rapper und ich mag das mit überlappenden Reimen, mit Sachen, die sich erst in der nächsten Zeile ausstolpern.“
Judith Holofernes’ Mutter Cornelia Holfelder-von der Tann, die für den gleichen Verlag als Übersetzerin arbeitet, in dem dieser Gedichtband erscheint, hat ihr begabtes Kind früh versorgt mit Robert Gernhardt-Gedichten – damit die zehnjährige Judith aufhört, Otto Waalkes zu zitieren, für den Gernhardt bekanntlich Gags geschrieben hat – und mit Tieren, mit vielen Tieren. „Wir hatten als Kinder immer sehr viele Haustiere, zwischen fünf und sieben fluktuierend“, sagt die Tochter. „Wir hatten drei sprechende Vögel, einen sehr hysterischen, albernen Hund, wir hatten einen zugeflogenen Kanarienvogel wir hatten einen Winter lang eine geschiente Krähe und wir hatten einen Winter lang einen Igel, meine Mutter hat immer Tiere gerettet.“
Geblieben sind Gedichte, Tiergedichte, denn mit dem Auszug von Daheim kam heraus: Die Sängerin von „Wir sind Helden“ ist allergisch. So bleibt ihr, Ehemann (Pola) Roy und ihren beiden Kindern allein die Fauna auf dem Papier. Ein Bilderbuchspaß mit freundlichen Reimen und phantasievollen, teilweise ausklappbaren Tiercollagen. Wäre dieser Band ein Gesellschaftsspiel, stünde darauf: „Für Kinder und junggebliebene Erwachsene von 6-66“.
Judith Holofernes: „Du bellst vor dem falschen Baum“, Tiergedichte mit Illustrationen von Vanessa Karré, Tropen, 104 Seiten, 17,99 Euro / Das Beitragsbild ist von Judith Holofernes‘ Homepage
Mehr zum Buch gibt es
hier: https://digital.freitag.de/#/artikel/haben-oktopoden-wirklich-hoden
und hier: https://www.rollingstone.de/autoren/jan-drees/