Nach der Veganpleite mit Attila Hildmann gab es einen Tag später Köfte aus Lamm-Rinder-Hack, das mir der türkische Metzger extra liebevoll durch den Fleischwolf gedreht hat, außerdem Tabuleh (Petersiliensalat mit Minze und Bulgur), Hummus, Fladenbrot und dazu ein Glas Ayran. Das Rezept kommt aus „Jerusalem – Das Kochbuch“.
66 Bewertungen, durchschnittlich 5 Sterne: Die Autoren Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi können sich anderhalb Jahre nach Erscheinen der deutschen Übersetzung von „Jerusalem – Das Kochbuch“ glücklich schätzen. Die beiden Israelis haben sich einst in London kennengelernt, leiten dort inzwischen vier Coffeshops und ein Restaurant. Sie gelten als Shootingstars der britischen Kochszene, dem entsprechend macht ihr Buch allein haptisch etwas her: bespannter Volleinen-Einband, schweres Papier, hervorragende Bindung (was einige Büchern der Dr. Oetker-Reihe nicht hinbekommen, die gehen nämlich schnell aus dem Leim), schön gestaltete Essens- und Stadtbilder. „Jerusalem“ will ein komplettes Kompendium sein. „Dieses Buch und unsere Reise durch die kulinarische Wekt Jerusalems sind Teil einer privaten Odyssee.“
Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi bezeichnen Geschmack und Gerüche Jerusalems als Muttersprache. „Alles, was wir essen, alles, was wir kochen, wird durch das Prisma unserer Kindheitserlebnisse gefiltert: Speisen, die unsere Mütter für uns zubereiteten, Wildkräuter, die wir auf Schulausflügen pflückten, Tage, die wir auf dem Markt verbrachten, der Geruch der ausgedörrten Erde an einem Sommertag, Ziegen und Schafe, die auf den Hügeln weideten, frische Pita mit Lamm, gehackte Petersilie, gehackte Leber, feigen, sirupgetränkte Kuchen, krümelige Kekse.“
Ich habe das Buch ausprobiert und eine Menge erlebt (vielleicht strengt mich das Kochen deshalb auch nicht an – weil es zumeist ein Erlebnis ist). Fürs jetzt-Magazin gab es die Köfte, deren Zutaten ich beim türkischen Supermarkt eine Straße weiter (ich wohne im Klein-Istanbul Wuppertals) gekauft habe: Tahini (Sesampaste), den Knoblauch (besser frisch als getrocknet, der schmeckt dann weniger scharf und man selber riecht weniger), die glatte Petersilie (das ist ist jedes Mal eine verdammte Arbeit, die zu hacken, aber mein 15 Jahre altes Einsteiger-Fleischermesser von IKEA hilft), zudem Zimt, Piment, Muskatnuss und natürlich Fleisch.
Hackfleisch wird bei dem Metzger dort grundsätzlich frisch durch den Fleischwolf gedreht und als ich ihm erklärte, ich wollte Köfte zubereiten, strahlte er, sagte, er würde kurz nach hinten gehen, etwas Besonders holen (laut Rezept braucht es Lammschulter). Da ich kein Food-Blogger bin habe ich vergessen nachzufragen, was er mit denn das „angedreht“ hat – aber seit diesem Tag grüßen wir einander, begegnen wir uns auf der Straße und „mein Metzger“ ist besonders zuvorkommend, stehe ich an seiner Fleischtheke: Wir sind Köftebrüder geworden, und ich habe jetzt eine neue Variante der Frikadelle kennengelernt. Tatsächlch schmecken diese Köfte komplett anders, bar jeder Semmelbrösel, Senf, Ei, Pfeffer, Salz. – Zimt und Knoblauch. Das ist eine interessante Mischung, die aber ebenso gewöhnungsbedürftig für mitteleuropäische Gaumen schmeckt; worauf ich gleich an anderer Stelle zurückkommen werde.
Wichtiger für die Bewertung des Kochbuchs selbst ist zunächst, dass die einzelnen Schritte leicht erklärt sind, dass die Gerichte stets kulturell eingeordnet werden und damit „Jerusalem“ eher ein Bildband mit Reiseführer und Rezepten geworden ist. Es gibt Geschichten über eine Kringelbäckerei, die 1838 ihre Pforten öffnete. Auf der Seite daneben stehen Infos der Art: „Noch bis vor wenigen Jahrzehnten, als viele palästinensische Haushalte noch nicht über einen Herd verfügten, brachten die Frauen den aufgegangenen Teig und den Fleischbelg zum Backen in die nächstgelegene Bäckerei. Der Bäcker formte und füllte ihn dann und schob das Gebäck in einen Holzofen.“ Im Gegenzug durfte er einige der köstlichen Teigstücke behalten.
Besonders gut sah schon im Kochbuch das „Brathähnchen mit Clementinen & Arak“ aus (Fenchel, ungeschälte Clementinen in Scheiben, Hähnchenteile im Bräter). In Frankreich gibt es etliche Rezepte, die Pernot mit Huhn kombinieren, und das Kochbuch bietet an, den Anisschnaps Arak gegen Ouzo oder Pernot auszutauschen. Dieser wird mit Olivenöl, Orangen- und Zitronensaft, Senf, Zucker, 2½ Teelöffel Salz und 1½ Teelöffel Pfeffer, den gespalteten Fenchelknollen, den Hähnchenteilen, den Clementinen, Thymian und Fenchelsamen in eine Schüssel gegeben. Das Ganze kommt später in den Backofen. Am Ende schmeckt es „ok“, es schmeckt genauer ungewöhnlich, weil gerade bei der Soßenzubereitung nicht klar ist, auf welche Weise nachgewürzt werden muss.
Genau hier zeigt sich dann auch, dass ein Kochbuch allein nicht ausreicht, um für fremde Gaumen am Herd zu stehen – und etwas Passables aufzutischen. Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi geben wirklich alles, persönliche Storys, kulturgeschichtliche Kurzessays, brillante Fotos, um den Leser in ihre Welt zu führen. Aber damit man wirklich mit bislang unbekannten Zutaten experimentieren kann hilft es, einen persönlichen Themenmonat einzulegen, im Netz zum Beispiel hier bei Abousamra (mit arabischer Lyrik und Musik) oder beim Judentum-Projekt (von Speisen bis Sabbat). Es mag stimmen, dass Liebe durch den Magen geht, dass Essen etwas Unmittelbares ist. Aber wie heißt es in der „Kritik der reinen Vernuft“ von Immanuel Kant: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Auch das kulturell ungewohnte Essen und Kochen muss erlernt werden. Dafür bietet dieses Buch einen respektablen Einstieg. Weitere Fragen beantwortet der türkische Metzger eine Straße weiter. (Beitragsbild: Filoteig mit Mangold, ebenfalls aus dem Kochbuch, auch selbstgemacht.)