Wie pflegt man den eigenen Vater, wenn man selbst schon ein Rentner ist und seine Kräfte schwinden sieht? Und wie funktioniert Glück? Harriet Köhler (32) erzählt in ihrem wunderbaren zweiten Roman vom neuen Leben im alten.
Harriet Köhler, warum schreiben Sie zum zweiten Mal über eine Familie? Mache ich das? Vor allem erzählt „Und dann diese Stille“ von drei Männern – Großvater, Vater und Sohn –, drei Generationen also, die sich immer fremd geblieben sind, die nie wirklich miteinander gesprochen haben. Als die Großmutter stirbt, brechen die alten Rollen dieser Männer auf, und sie kommen sich plötzlich sehr nahe – viel näher, als ihnen lieb ist. Sie merken, wie ähnlich sie sich sind.
Was war der Erzählanlaß für Ihr Buch? Eine Beobachtung, die viele meiner Generation betrifft: Unsere Großväter wurden im Krieg traumatisiert. Unsere Eltern haben als Kriegskinder Vergewaltigungen beobachtet, Flucht, Leid und Armut erlebt. Wir sind ihre Kinder – und sind so blöd, zu glauben, mit uns sei aber alles in Ordnung.
Wie fühlen Sie Sich jetzt, wenn Sie zu Familienanlässen nach Hause kommen? Mir wird immer klarer, wie wenig ich über meine Eltern weiß, und ich habe immer noch Hemmungen, sie darum zu bitten, von ihrem Glück, aber auch von ihren Wunden zu erzählen. (Ansonsten: Die ewigen Gesetze ändern sich nicht. Ich muss furchtbar viel essen und, wenn ich aus dem Haus gehe, einen Schal umziehen.)
Wie gehen Sie persönlich mit Ihrem, bzw. dem Altern Ihrer nahen Verwandten um? Ich stand dem lange gleichmütig gegenüber: Man altert, man stirbt, und es ist albern zu hoffen, dass es einen nicht erwischt. Seit ich meinen Mann kenne, hat sich das verändert. Der Gedanke, dass wir uns eines Tages wieder trennen müssen, macht mich hilflos und unglaublich traurig.
Woran erkennt man eine glückliche Familie? Tolstoi schrieb ja, dass alle glücklichen Familien einander ähnelten, jede unglückliche dagegen auf ihre Art unglücklich sei. Das stimmt nicht. Scheidungen verlaufen fast immer gleich – aber so viele Wege führen ins Glück! Drum ist es wahrscheinlich so schwer, den seinen zu finden.
Harriet Köhler: „Und dann diese Stille“, KiWi, 336 Seiten, 19,95 Euro