Am kommenden Samstag, dem 16. Mai sendet „Zündfunk Langstrecke“ bei Bayern 2 ab 19:05 Uhr mein einstündiges Feature „Fit for fun? Sport im Jahr 2015 – über Bodybuilding-Kapitalismus und das Kader-Prekariat“. Für diese Sache bin ich rumgereist, um einigen drängenden, mich persönlich interessierenden Fragen nachzugehen. Ich wollte wissen, wie sich das sportliche Feld abseits von Bundesliga, Formel 1-Grand Prix und Super Bowl verändert hat. Ich wollte erfahren: Welche Trends gibt es heute im Spitzen- und Breitensport? Warum studieren 5000 Menschen allein an der Deutschen Sporthochschule in Köln? Womit verdienen Spitzenathleten aus der Leichtathletik, dem Fechten oder dem Triathlon heutzutage in Deutschland ihr Geld? Wie wirkt sich der immer schneller drehende Kapitalismus auf das Sport- System aus? Ich wollte aber auch wissen, weshalb ich mich zwar seit Jahren in verschiedenen Fitness-Studios anmelde, um nach mehreren Einheiten doch nicht mehr dorthin zu gehen. Zudem besuchte ich Strafrechtsprofessor Martin Heger von der Humboldt-Universität in Berlin. Eines seiner Interessengebiete ist die Frage nach der Strafbarkeit von Doping im Sport. Zudem ist er Mitglied einer Forschungsgruppe von der Humbold-Universität in Berlin. Sie besteht aus Geistes- und Rechtswissenschaftlern und beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten des Sports. Wir führten ein Gespräch über Grenzwertdoping, die Kulturgeschichte des Sports, über Performances und die Bedeutung des Handspiels in kapitalistischen Zeiten.
Wie kommen Sie als Strafrechtler zum Sport? ich kam über die Frage, ob Doping auch strafbar ist, zum Sport. Aber ich bin kein Sportler. Allerdings ich bin auch kein Straftäter und beschäftige mich mit Strafrecht. Über die Frage, wie man mit Doping umgeht, sind andere Gebiete für mich interessant geworden: vom Wettbetrug, dem Glücksspielstrafrecht bis zu Vermögensdelikten rund um den Sport – und generell der rechtliche Umgang mit dem Sport als etwas zunächst einmal nicht rechtlich Geregeltem. Das hat mich fasziniert.
Aber Sie schauen auch über die Juristerei hinaus? Ich habe vor einigen Jahren begonnen, mich interdisziplinär mit Kollegen aus der Philosophie, aus den Gender-Studies und so weiter zu befassen. Das ist der Sport aus dem Blick von Geisteswissenschaften, aus der Philosophie, der Soziologie, der Gender Studies, der Juristerei. Dann haben wir Ringvorlesungen gemacht, Sportler eingeladen, Wissenschaftler, Journalisten. Und wir treffen uns unregelmäßig in diesen Kontexten wieder.
Gibt es aus diesen Disziplinen Erkenntnisse, die Sie überrascht haben? Ja und nein. Vor allem eine Wechselwirkung habe ich mitgenommen, die mich zuerst erfreut und dann auch besorgt gemacht hat – und zwar ist das die Konsequenz der Verrechtlichung des Sports. Wenn wir uns heute den Sport angucken, dann ist das nicht mehr nur ein Freizeitvergnügen für viele, die aus Spaß an der Freude Leibesertüchtigung betreiben, sondern dann ist das ein Geschäft. Dann ist das etwas, das in vielen Punkten rechtlich genauso geregelt ist wie ein Wirtschaftsunternehmen. Und damit verbunden ist eine Verrechtlichung der Betätigung im Sport.
Was bedeutet das konkret? Es geht nicht mehr nur um Fair Play, um den Gentleman, der fair am Wettkampf teilnimmt, sondern es geht letztlich um klare Grenzen, die rechtlich bestimmt sind. Ein Beispiel ist die Frage, welches Medikament ich nehmen und welches ich im Wettkampf nicht nehmen darf. Wenn ich es genommen habe und es ist verboten, dann bin ich raus. Damit verbunden ist aber einerseits eine Klärung: Was Recht ist und was Unrecht ist. Die Gefahr ist, dass dadurch auch eine Verschiebung ethischer Werte einhergeht. Also, dass ich etwas, das heute Recht ist, auch wenn es ein ethischer Grenzfall ist, als richtig ansehe, obwohl es im Sport durchaus zweifelhaft ist.
Wie beim Grenzwertdoping? Wenn ich einen Stoff nehme bis unterhalb der definierten Grenze, dann kann ich nicht bestraft werden, weil ich die Grenze nicht überschritten habe. Sportethisch fragwürdig bleibt es dennoch, weil ich einen Stoff nehme, den man eigentlich nicht nehmen sollte. So verschieben sich die Werte von durchaus ethisch akzeptablen Regelungen zu rechtlich verbindlichen Grenzen. Mit der Situation, dass man sich fragt: Das, was nicht verboten ist, ist nicht nur erlaubt, sondern wird dann auch gemacht – oder gut geheißen. Das finde ich zwiespältig.
Der Sport: Wie hat der sich verändert? Wenn man lange zurückgeht, muss man sagen – und das beginnt primär im 19. Jahrhundert – dass der Sport selbstreferentiell, dass er ein Selbstzweck geworden ist. Der Kollege Elk Franke, mit dem ich die Veranstaltungen immer wieder mache, ein Sportphilosoph, hat hierfür das Beispiel vom 400-Meter-Lauf. Ich laufe meine Runde und bin danach wieder am gleichen Ort. Nur, was ist der Wert davon? Das macht bis heute den Reiz des Sports aus. Nicht, dass man wie beim Jagen eine große Ausbeute an Tieren, vielleicht am Ende keinen knurrenden Magen mehr hat, oder dass man seine Kräfte trainiert hat für militärische Aufgaben, sondern dass man es im Prinzip für Nichts tut. Dann aber ist es erforderlich, dass man es nach gleichen Regeln tut. Bei der Jagd kann ich sagen; „Ok, der eine nimmt einen längeren Speer – das ist halt gut Glück.“ Wenn ich Speerwurf mache, dann kann ich nicht mit solchen Regeln anfangen, wenn es nur darum geht, wer weiter wirft. Ansonsten mag der andere näher ranrennen und reinpieksen und der andere wirft ihn: und je nachdem hat jeder seine eigenen Regeln und guckt dann vielleicht am Ende, wer die meisten Tiere erwischt hat.
Im Sport ist diese eine Handlung Selbstzweck? Ich glaube, dass diese Lösung von einem übergeordneten Zweck wesentlich dafür war, dass man eigene Sportregeln ausbilden musste. Im 19. Jahrhundert hatte das vielleicht schon den Charakter von ersten Rechtsregeln – aber es war eher klar, dass der Sport ein rechtsfreier Raum ist, der mit selbstgesetzten Regeln operiert. Dass es zunehmend zu echten Rechtsregeln wird, die auch justiziabel sind, die vor Gericht, vielleicht auch vor staatlichen Gerichten durchgesetzt und im Extremfall sogar strafbewehrt sind – diese Situation hat sich erst im 20. Jahrhundert entwickelt, zunehmend nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gab davor schon Einzelbereiche der Kommerzialisierung, vor allem in Amerika. Inzwischen kann man sagen, dass die Kommerzialisierung in enger Verbindung zur Regulierung steht.
Das könnte man ja mal kulturwissenschaftlich untersuchen, ob es immer wieder die Suche nach Nischen gab, die dann mit der Zeit wieder verächtlich wurden, wodurch dann wieder neue Nischen gesucht wurden. Das ist richtig. Aber man sieht durchaus den Trend, dass neue Sportarten stets nach Olympia drängen. Das fängt an beim Snowboarden als Skialternative bis zu allen möglichen anderen. Gerade wurde Klettern anstatt von Ringen erwogen als olympische Disziplin. In diesem Moment müssen Sportarten so gemacht werden, dass sie sich genau einem ganz bestimmten Profil anpassen. Dann gibt es Wettkämpfe für die Sportarten, die nicht olympisch sind. Die dann wieder nach bestimmten Regeln stattfinden.
Gibt es keine Ausnahmen? Es gibt sicher Sportarten, die das ausreizen, wie die bewusst weitgehend regellose Sportart Ultimate Fighting, wo man mit allen Mitteln kämpfen darf, bis zur Aufgabe. Da kommen manche und meinen: „Nein, das geht nicht, das verletzt die Menschenwürde“, oder es ist zu gefährlich. Aber selbst da ist der Trend beobachtbar, dass man ein Minimum an Regeln erlässt. Für den Sport wäre es immer problematisch wenn man beispielsweise einen Zieleinlauf absprechen würde, obwohl alle beim 100-Meter-Rennen die gleiche Strecke gelaufen sind. Wenn sie sich vorher geeinigt haben, wir laufen in der und der Reihenfolge mit den und den Abständen ins Ziel, dann hat das eher etwas von einer Performance oder einem Theaterstück. Deswegen ist Wrestling in den USA kein Sport, obwohl es den Anschein hat.
Wenn der Fußballspieler zugibt, dass er Hand gespielt hat und dadurch einen Elfmeter ermöglicht, wird er bislang nicht rechtlich belangt. Wäre er aber Teil einer Aktiengesellschaft, würden ihm dann die Aktionäre aufs Dach steigen? Die Frage des Vergleichs sportlichen Wettkampfes mit unternehmerischem Handeln beschäftigt mich ehrlich gesagt selbst sehr. In der Tat bestehen diese Gefahren zunehmend auf beiden Seiten. Wir hatten früher in der Wirtschaft Diskurse, die sagten: „Als guter Kaufmann beruft man sich nicht auf die Verjährung.“ So hat es mein Wirtschaftsrechtslehrer gelehrt. Der hat gesagt: „Wenn einer in dem Unternehmen ehrlich ist und der Anspruch ist verjährt, dann sagt er das nicht, denn er hat die Sache bekommen.“ Heute wäre das in der Tat fragwürdig, wenn ein Unternehmen rein profitorientiert ist. Dann könnte es sein, dass die Aktionäre sagen: „Das geht nicht. Ihr müsst das nicht bezahlen. Ihr treibt eure Kosten hoch. Wir müssen die optimieren. Man muss gucken, dass unser Geschäft besonders gut läuft.“
Kann dieses Denken den Sport erreichen? Unternehmen wie Borussia Dortmund sind inzwischen Kapitalgesellschaften. Manchmal kommen Franchiserechte zum Tragen oder auch Mitgliedschaftsrechte in Strukturen wie den Ligaverbänden. Da könnte man unter Druck geraten. Zum Beispiel, wenn es um den Abstieg oder Aufstieg geht und damit der Ruin des Vereins verbunden ist, oder zumindest große Einschnitte. Vielleicht verlieren Menschen den Arbeitsplatz oder das Gehalt wird reduziert. Da entsteht dann vielleicht im Einzelfall eine sportethisch gebotene Entscheidung des Fairplays unter einem Vorbehalt der wirtschaftlichen Situation, die eventuell sogar vermittelt durch solche rechtlichen Gebote bis hin zur Profitmaximierung zum gewissen Grade rechtlich abgesichert ist.
Und dann kommen die Gerichte? Das glaube ich nicht. Denn zum Sport gehört dazu, dass die Athleten sichtbar primär nach ethischen Regeln handeln. Ein Sport, der auf Fairplay verzichtet und nur noch auf rechtliche Regelung der Schiedsrichter setzt, der am besten ein Rechtsanwalt sein soll oder vielleicht gar ein staatlicher Richter, der quasi mit „Einspruch stattgegeben“ entscheidet, so ein Sport wäre tot. Das wäre, glaube ich, das Ende des Sports in seinen Wirkungen als Sport. Weil er nicht praktikabel und auch optisch nicht mehr vermittelbar wäre. Aber es bleibt ein gewisses Spannungsfeld. Denn sobald man sich in einem kommerziellen Umfeld bewegt, entstehen wiederstreitende Interessen. Und die können schon dazu führen, dass man sagt: „Wir müssen etwas ausreizen, aber so, dass uns am Schluss unter keinen Umständen etwas auf die Füße fällt. Übrigens: auch nicht imagemäßig, weil das möglicherweise den Geldgeber genauso abschrecken könnte.
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