Am 30 Mai wurde die 44-jährige Theater- und Prosaautorin Kathrin Röggla zur Vizepräsidentin der Berliner Akademie der Künste gewählt. Neue Präsidentin ist die Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Jeanine Meerapfel – und damit stehen zum ersten Mal zwei Frauen an der Spitze der über 300 Jahre alten Institution, zu deren bekanntesten Mitgliedern Regisseur Wim Wenders, Philosoph Peter Sloterdijk und der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen gehören.
Kathrin Röggla, hat es sie überrascht, gewählt worden zu sein? Es hat mich sozusagen zu 50% überrascht, denn ich wurde vorgeschlagen und habe mich zur Wahl gestellt. Überrascht war ich, als ich dann tatsächlich gewählt wurde.
Wie funktioniert so eine Wahl? Die Akademie ist basisdemokratisch organisiert. Im Idealfall sollen Beschlüsse über die Mitglieder laufen, was eines fortgesetzten Austausches bedarf. Es gibt für die rund 400 Mitglieder halbjährliche Treffen, es gibt aber auch Senatssitzungen mit den Direktoren der Sektionen, dem Programmbeauftragten und den Sekretären, in denen viele Programmlinien entwickelt werden. Am Ende sitzen alle zusammen und man stellt sich zur Wahl oder eben nicht.
Kann jeder Künstler vorschlagen? Jedes Mitglied hat Vorschlagsrecht, muss aber von zwei weiteren Mitgliedern im Vorschlag unterstützt werden. Man kann auch zwanzig Leute vorschlagen – aber die wird man natürlich nicht durchbekommen, schließlich sind die Mitgliederzahlen aus gutem Grund begrenzt. Das ist die allgemeine Regel, wie das inhaltlich aussieht, handhaben die einzelnen Sektionen unterschiedlich.
Welche Vorstellung haben Sie als neugewählte Vizepräsidentin von der Akademie? Die Akademie besteht aus vielen Mitgliedern der unterschiedlichen Kunstsparten, die hier eben Sektionen heißen. Manche passen sozusagen mehr klassisch in ihre Sektion rein, ich stehe zwischen zwei Sektionen: der Darstellenden Kunst und der Literatursektion. Einer der Grundgedanken der Akademie ist die Interdisziplinarität, die Begegnung der Sektionen, und das möchte ich verstärken. Als Vize wirkt man ja klassischerweise ohnehin mehr nach innen. Und so werde ich etwas, was es unter Nele Hertling lange gab, den Mitgliederclub, wieder installieren.
Wie kann man sich diesen Mitgliederclub vorstellen? Sitzen da Wolfgang Tillmans, Corinna Harfouch, Christian Petzold, René Pollesch, Matthias Sauerbruch und Sie bei ein paar Bier zusammen – oder was passiert da? Im Club soll es um thematisch anstehende Fragen gehen. Es wird Gespräche geben und kleine Auftritte, die sich aus den Interessen der aktiven Mitglieder ergeben, in denen es um die Fragen der ästhetischen und kulturpolitischer Intervention gehen könnte. Das Ganze soll in kleineren Runden und nur halb- oder gar viertelöffentlich stattfinden und ja, natürlich sollen Leute wie die von Ihnen Genannten zusammenkommen…. in Berlin kennt man sich ja oft dann erstaunlicherweise doch nicht; im Vergleich zu Wien.
Die Akademie wird also als neue Plattform genutzt? Nun ja, neu – das kann man nicht sagen. Die Akademie gibt es seit über 300 Jahren. Sie ist eher ein Forum. Es geht um Gesprächsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Leuten. Es geht um interdisziplinäre Allianzen, künstlerische Wissensbildung, kulturelles Gedächtnis. Um Öffentlichkeit, die sich herstellen lässt, um politische Einmischung. Für mich heißt das: Zugucken und lernen. Ich werde sozusagen zumindest partiell die Primärkünstlerpausetaste drücken und mal zuhören, was die anderen zu sagen haben.
Wie haben Sie selbst die Akademie in den vergangenen Jahren als Mitglied kennengelernt? Ich bin erst seit drei Jahre Mitglied und kann daher noch nicht auf eine allzu lange Akademiegeschichte zurückblicken. Vor meiner Zeit habe ich die Akademie als Ausstellungs- und Programmforum erlebt, sehr heterogen. Mir war damals wie Ihnen nicht ganz klar, wie sie funktioniert und bin seit ich selbst Mitglied wurde immer noch dabei, sie kennenzulernen. Das geschah für mich ziemlich überraschend und stand vielleicht unter dem Zeichen eines generationstechnischen Umbaus der Akademie.
Was werden Sie verändern wollen? Das wird sich erst in der Arbeit zeigen. Mit einem fixen Plan anzukommen wäre nicht nur vermessen, sondern auch sinnlos. Das aktuelle Programm ist bereits bis zum Jahresende geplant. Zudem: Die Akademie ist ein riesiges Schiff, auf dem man allenfalls mitlenkt. Das ist nicht so ein Intendantending, wo man mit seinen Leuten und seinem Programm ankommt und seine Sache macht, sondern es geht erstmal um die Mitglieder. Es geht darum, Stimmen so zu vernetzen, dass irgendwie so etwas wie eine eigene Handschrift dabei rauskommt. Das wird in der Öffentlichkeit oft nicht verstanden, weil große Häuser zumeist von einem Intendanten oder einem Chefkurator geleitet werden und sich auch so eine Erwartungshaltung durchgesetzt hat.
Braucht es nicht immer eine starke Figur, die ein Haus repräsentiert – wie Staeck es auch getan hat? Chefkuratoren und Intendanten bergen alle Gefahren, die eine Selbstvermarktung, ein Branding in sich tragen. Es ist oft genug ein Agieren von oben herab, losgelöst von den Städten, in denen die Arbeit stattfindet. Die Präsidentin wird sicher der Vielstimmigkeit eine bedeutende Positionierung hinzufügen, aber meine Aufgabe als Vize ist eben mehr das Vernetzen, die unterschiedlichen Stimmen und Gedanken, Gesten und ästhetischen Umsetzungen. Es ist eine Mitgliederakademie und keine Präsidialakademie. Wir brauchen uns nicht im ewigen Starsystem und Mainstreaming aufzuhalten. Das ist eine unglaubliche Chance. Das hat viel mit demokratischen Idealen und jenem Pluralismus zu tun, der immer beschworen wird. Auch ich finde das unglaublich wichtig. Mir geht das auf den Keks, wie oftmals Universitäten mit Starprofessoren und Theaterhäuser mit Starintendanten agieren müssen. Das hier ist ein Gegenkonzept.
Werden Sie persönlich weiterhin künstlerisch arbeiten? Ich schreibe momentan sehr viel Prosa. 2016 wird ein neues Buch von mir erscheinen. Es gibt auch Theaterpläne – Aber im Theater bin ich zuletzt an einen Punkt gekommen, der eher frustrierend war. Die Zusammenarbeit dort müsste ich mir anders organisieren. Strukturelle Zwänge, die Vorstellung von Literatur als Dienstleistung oder Contentlieferant, machen es schwer.
Eigentlich gibt es also keine Pausentaste? Es ist noch mehr zu tun? Ich mache auf jeden Fall mein Buch fertig und beteilige mich an Projekten wie z.B. Milo Raus Kongotribunal in den Berliner Sophiensälen. Aber ich nehme die Akademiearbeit sehr ernst. Auch die Vorgänger Klaus Staeck und Nele Hertling haben sich sehr engagiert gezeigt. Dieses Bild von einer Akademie als Ort älterer Herren, die vor sich hindampfen, ist absurd. Man muss nur schauen, was in den vergangenen neun Jahren alles auf die Beine gestellt wurde, von Großprojekten wie „Schwindel der Wirklichkeit“, bis zur Jungen Akademie und der im nächsten Jahr stattfindenden Ausstellung DEMO:POLIS, die sich mit Demokratie und der Politik im öffentlichen Raum auseinandersetzen wird. Auch ist das Haus groß mit schließlich um die 150 Planstellen. Es gibt sehr viele Veranstaltungen, ein riesiges Archiv. Wir übernehmen die Akademie auch in einem sehr guten Zustand.
Worin liegen die besonderen Herausforderungen der nächsten Zeit? Die Akademie ist in allen kulturpolitischen Fragen, in Fragen der ästhetischen Wissensbildung, der Medienstrategien und in den meisten politischen Fragen gefordert. Das ist also ein ziemlich weitreichendes Spektrum. Insofern: „Nichts ist erledigt.“ Das Statement von Klaus Staeck stimmt schon. Da man nicht überall gleichzeitig sein kann, wird sich ihre Antwort an den Interessen und Kapazitäten der Mitglieder und Mitarbeiter entlangbewegen. Ob es TTIP, Edward Snowden, Kuba oder Griechenland oder der sogenannte „Eigenwert“ oder die „Kraft der Kunst“ ist.
Wie wird ihre Zusammenarbeit mit der Präsidentin Jeanine Meerapfel aussehen? Wir besprechen uns, diskutieren Dinge durch. Es ist unfassbar viel Arbeit, viel Gremienarbeit auch. Jeanine Meerapfel gibt der Akademie ein Gesicht nach außen. Ich werde die sein, die nach innen geht, die diese Fäden, die da gewoben werden verbinden möchte. Aber auch ich werde natürlich hin und wieder ein Akademiegespräch machen, also dieses Format, das Klaus Staeck eingeführt hat.
Jeanine Meerapfel ist die erste Frau an der Spitze der Akademie der Künste – das wird in jeder Meldung über den Wechsel herausgehoben. Ist es tatsächlich so besonders? Ja, nur wenn es als einzige Headline stehenbleibt, ist das merkwürdig. Jeanine Meerapfel, die aus Argentinien stammt mit deutsch-französisch-jüdischem Hintergrund, lebt schon seit langem in Deutschland – sie wird und will für eine stärkere Internationalisierung stehen. Übrigens: Das wissen viele nicht: Wir haben auch etliche internationale Mitglieder, wie Ai Weiwei und Jonathan Franzen.
Nicht einmal ein Viertel der Mitglieder sind Frauen. Ist die Akademie ein Männerverein, dem sie jetzt vorstehen? Haben sie eine Strategie, um das zu ändern? Es werden zur Zeit vermehrt Frauen in die Akademie gewählt. Den einzelnen Sektionen ist das Thema durchaus bewusst, aber da man für eine Lebenszeit hineingewählt ist, kann man das nicht von heute auf morgen radikal ändern. Dass an der Spitze drei Frauen stehen – auch Frau Jooss, unsere Archivdirektorin sollte man nicht vergessen – kann man durchaus als Signal werten, aber ich ergehe mich nicht gerne längere Zeit in Biologismen.
Sie selbst sind Tochter eine Expats, ihr Vater war für internationale Unternehmen tätig. Sie sind viel gereist. Wird das Globale eine stärkere Bedeutung in der Kunst bekommen? In meiner persönlichen Arbeit, beispielsweise bei meinem Film über Risikomanagement, den ich auch im Kosovo und Bulgarien gedreht habe, ist das Internationale längst eingeschrieben. Kunst ist aber per se notwendigerweise die Verbindung von dem Globalen und Lokalen, das geht gar nicht anders – am deutlichsten vermutlich in der Architektur zu sehen.
In der deutschen Gegenwartsliteratur wird immer wieder bemängelt, dass zu sehr aufs eigene Land schaue, dass man hier in ein neues Biedermeier verfalle. Das kann ich so nicht bestätigen. Ich beschränke mich allerdings auch nicht auf deutsche Literatur. Vielleicht hat diese These damit zu tun, dass seit über fünfzehn Jahren alle stark auf junge Autoren und ihre Debüts schauen, die sich noch mehr an eigenen Geschichten abarbeiten. Dazu kam die ewige Forderung nach deutschen Themen, nach dem großen Einheitsroman, nach dem Berlinroman, dann dieses Klischee des politischen Romans, der dann in etwa heißt „Mein Opa war ein Nazi“. Da ist vieles auch vom Feuilleton hausgemacht. Aber es gibt auch anderes.
Das deutsche Gegenwartstheater erzählt von Piraten vor Somalia wie bei Wolfram Lotz oder entwirft die große Utopie, wie in den Stücken von Ferdinand Schmalz. Wird auf der Bühne eingelöst, was die Literatur die ganze Zeit ersehnt? Ich würde ihnen gerne sofort recht gebe. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das nicht an gewissen Sichtbarkeitsverhältnissen liegt, also dass dieser Eindruck, dadurch entsteht, dass in der Beobachtung des Theaters andere Themen angeschaut werden als bei der Beobachtung von Literatur. Außerdem ist mein Eindruck, dass avanciertes Gegenwartstheater losgelöster vom Text arbeitet, wie bei Rimini Protokoll, bei René Pollesch, auf eine Weise auch bei Milo Rau. Rimini Protokoll arbeitet ja eigentlich gar nicht mit Texten. Es geht darin oftmals mehr um mündliche Erzählungen, Bilder, um die Konstellationen und um die medialen Verhältnisse. Jenseits davon Regietheater, das sich für meine Ästhetik auch nur selten positiv auswirkt – Ich würde da gerne neue Allianzen suchen.
Info: Kathrin Röggla (*1971 in Salzburg) ist Schriftstellerin und Theaterautorin, gebürtig aus Salzburg. Seit ihrem Umzug nach Berlin 1992 entstanden erste Bücher und Kurzprosa. Seit 1998 verfasst und produziert sie Hörspiele, akustische Installationen, Netzradio, seit 2002 Theatertexte. 2015 wurde Röggla zur Vizepräsidentin der Akademie der Künste gewählt. Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen zählen der Italo-Svevo-Preis 2001, der Preis der SWR-Bestenliste 2003 und der Arthur-Schnitzler-Preis 2012. Bekannte Bücher sind: „Irres Wetter“ (2000), “really ground zero“ (2001), „wir schlafen nicht“ (2004) und „Besser wäre: keine“ (2013). Im Frühjahr diesen Jahres erschien im Verlag „Theater der Zeit“ ihr Band „Die falsche Frage. Theater, Politik und die Kunst, das Fürchten nicht zu verlernen“ (2015).