Der große Magier Michael Stavarič ist zurück. In seinem neuen Roman berichtet er, warum „Brenntage“ etwas Mystisches haben und wofür man ein „Geräuschmerkblatt“ braucht.
„Die Bösen verbrannten, was wir benötigt hätten, und wir verachteten sie, weil dies die einzige Möglichkeit war, unseren Unmut auszudrücken.“ Der Erzähler aus Michael Stavaričs Buch wird unter mysteriösen Umständen in einem Bergdorf erwachsen: Seine Mutter ist früh gestorben, einen Vater gab es nie, sein Onkel zieht ihn alleine auf, nachdem auch die Tante das Zeitliche gesegnet hat. Dunkel raunt es in Abgeschiedenheit aus dem Wald. Soldaten huschen durchs Dickicht. Bei Überschwemmungen wird das brüllende Nutzvieh gegen die alten Mauern der Häuser gedrückt.
Wie ein Kult werden einmal jährlich „Brenntage“ abgehalten, der Unrat vor der eigenen Haustür vernichtet. Die Brenntage besitzen kultische Weihen und stehen symbolisch für eine Gesellschaft, die ohne Vergangenheit lebt. Denn die Vergangenheit ist unheimlich. Die Vergangenheit erinnert an bessere Tage, als es keinen Krieg, dafür aber in den Bergwerksstollen ausreichend Gold gegeben hat. Die Vergangenheit ist ein Märchen. Zugleich erinnern die Brenntage, aber nur den Leser, an „Bücherverbrennungen“ des Dritten Reichs, an die Scheiterhaufen des Mittelalters und an heidnische Osterfeuer. Der brutalen Gegenwart dieses Buchs traut man durchaus Bücherverbrennungen und Scheiterhaufen zu. Die allgemeine Vergänglichkeit, in unserer Realität längst totgeschwiegen, ist in „Brenntage“ allgegenwärtig. Der junge Mann muss mit seinem martialischen Onkel auf die Jagd, ihm während des Blutrauschs beiwohnen: „Er tötete Keiler um Keiler, schoss ihnen in Münder und Schnauzen. Einer rammte ihm die Zähne ins Bein (dem Onkel waren die Patronen ausgegangen, das Messer steckte längst in einem anderen Tier).“
Sound und Kulisse hat Michael Stavarič seinem vorletzten Roman „Böse Spiele“ entlehnt. Seine literarische Meisterschaft hat sich ein weiteres Mal gesteigert, ins Überirdische – dem Thema angemessen. Denn die Figuren, die seinen Brenntagen beiwohnen, sind, nach Aussagen des Autors, „eigentlich Geister, die in einer verwunschenen, verlorenen Welt leben.“ So wird aus einem Erwachsenen-Werden genau das Gegenteil jener jungen, schmalen Romane, die seit Jahren die Literaturlandschaft besetzen.
In „Brenntage“ gibt es weder Justin Timberlake noch eine „Generation Golf“. Hier geht es ans Eingemachte, wenn der Junge zum Beispiel verwunschene Briefe von seiner verstorbenen Mutter erhält. Jeden Geburtstag gibt es eine der Nachrichten, die seine Mutter, im Sterben liegend, einst an ihren Sohn verfasste – und dann beim Notar hinterlegte. Allerdings wähnt sich ihr Adressat im direkten Kontakt mit dem Totenreich. Ist so viel Phantasie, so viel literarischer Gestaltungswille aushaltbar? Ist so viel Virtuosität und Spiel überhaupt vermittelbar oder verirrt sich der Leser unweigerlich auf mystischen Terrain?
Nein. Denn Michael Stavarič ist kein Quatscher, kein Nebelkerzenabbrenner, kein Empfindsamkeitsträumer. Michael Stavarič ist ein Macher, in jeder Hinsicht. Früher angestellt an der tschechischen Botschaft in Wien, hat er die Diplomatie für die Literatur nicht gelassen, um ins Sphärische abzudriften. Im Gegenteil. Liebe darf bei ihm Liebe sein und auch wenn er in „Brenntage“ eine Verbindung zwischen Mädchen und Wolken herstellt, dürfte sich niemand angependelt fühlen. Denn wie heisst es im Buch. „Der Mensch ist ein Hohlraum, in dem sich allzu oft der Teufel spreizt.“ Bei derart schrecklichen Aussichten bleibt keine Zeit, um Wörter unnütz zu verschwenden. „Brenntage“ ist ein Meisterwerk.
Michael Stavarič: „Brenntage“, C.H.Beck, 230 Seiten, 18,95 Euro