PeterLicht ist der Hartz IV-Poet. Dafür liebt ihn sein Publikum. Der Autor und Musiker lässt sein Gesicht nicht fotografieren. Das hat ihn berühmt gemacht. Begegnung mit einem Unsichtbaren.
PeterLichts erster, musikalischer Hit heißt „Sonnendeck“ und begleitete den Sommer 2001. Damals veröffentlichte er unter dem Namen Meinrad Jungbluth, der vermutlich ebenso ein Pseudonym ist wie PeterLicht. Für sein literarisches Debüt „Wir werden siegen – Buch vom Ende des Kapitalismus“ erhielt er beim Bachmannpreis 2007 die 3sat- und die Publikumsauszeichnung. Im Frühjahr 2008 erschien „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“. Es bräuchte kein Buch, um PeterLicht einen Dichter zu nennen. Auch seine Songtexte haben literarische Qualität – zu hören auf dem neuen Album „Melancholie und Gesellschaft“. Wir treffen ihn im Kölner Café Wahlen, wir fänden es falsch, das Äußere des Mannes zu beschreiben, der sich nicht fotografieren lassen will. Aber fragen wollen wir ihn dazu.
Im Internet hat sich herumgesprochen, dass Du oft hier sitzt und Deine Tee trinkst. Würdest Du das Café wechseln, wenn Dich jemand enttarnen sollte? Ich bin ja nicht getarnt. Ich mache meine Konzerte seit zwei Jahren komplett ohne jede Tarnung. Mir geht es eher darum, zu unterscheiden: zwischen der Figur PeterLicht, die etwas veröffentlicht, und dem Privatmenschen. Wenn ich diese Lieder nicht singen würde, und wenn mich die Leute so kennen lernen würden, würden sie mich als total langweiligen Spacko betrachten, mit dem es sich nicht lohnt, ein Wort zu reden. Das ist auch ganz gerecht. Und das soll auch so bleiben.
Im Internet gibt es Fotos von Dir. Wie gehst du damit um? Ich hatte letztes Jahr die Ehre, auf dem Poetenfest in Erlangen zu lesen. Es war besprochen, dass mein Gesicht nicht von vorne gezeigt wird, Und dann ist das Feuilleton der FAZ mit einem riesigen Frontalfoto gekommen. Ich fand das lustig, wie dann gerade solche Formate Paparazzi-Methoden anwenden.
Du hast mal gesagt, es sei grausam, wenn man so viel über einen Künstler weiß. Weshalb? Ich finde es generell grausam, wenn man so viel weiß. Wenn ich so durch den Tag gehe und meine Augen aufmache, dann habe ich insgesamt das Bedürfnis, das Eindringen von Inhalten in mich zu vermeiden. Ich glaube, das ist die Kulturleistung, die man heute erbringen muss, Vielleicht musste man die Augen aufmachen musste, um etwas zu sehen. Heute muss man die Augen dazu eher schließen.
In dem Lied „Stilberatung/Restsexualität“ vom Album Melancholie und Gesellschaft“ bittet PeterLicht alle Medien-, Geld- und Werbeschaffenden: „Bitte nie mehr Sexualität zeigen, bitte nie mehr und nirgendwo – im Zusammenhang mit Euren Produkten, bitte nie mehr Haut und nie mehr Po, bitte Licht ausmachen und schweigen: bedeckte Körper sind in Ordnung, Kleidung ist in Ordnung.“ Auch wenn es arg pathetisch klingt: PeterLicht schreibt gegen eine verrohte Gegenwart an.
Die moderne Soziologie sagt, dass uns die Feinfühligkeit verlorengeht. Interessant. Es gibt ja auch das Phänomen, dass das ganze Ausziehen bei männlichen Jugendlichen zu Impotenz führt – weil es einfach zu viel ist.
Viagra ist in der Altersgruppe unter Zwanzig ein großes Thema. Auf der einen Seite gibt es eine sehr starke Sexualisierung und Zur-Verfügbar-Machung – und das in der Sexualität Impotenz zur Folge. Diesen Zusammenhang gibt es auch anderswo: Je mehr man sieht, umso weniger findet statt. Damit hat auch meine Haltung zu Fotos zu tun: Ich finde, dass mehr rüberkommt, wenn man weniger sieht.
Bei der Bachmannpreis-Übertragung musste die Kamera an PeterLicht vorbeigelenkt werden, was nach seinen Worten dazu führte, „dass von vornherein klar ist, dass da was nicht stimmt, dass das ein ganz seltsames Konstrukt ist, das Konstrukt des öffentlichen Menschen.“ Wenn der Künstler öffentlich auftritt, bei Lesungen oder Konzerten, kann ihn das Publikum sehen, und es kommt manchmal zu wahrhaft rührenden Szenen, wie im Frühjahr 2008 bei der lit.COLOGNE.
Du hast Dein Publikum dazu gebracht, lauthals „Wir machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ zu singen. Das waren tausend Menschen, die plötzlich ihre Nöte rausschrieen. Machst Du Dir selbst Sorgen? Ich bin voll von Sorgen, von oben bis unten und ich empfinde es tatsächlich als guten Moment, dieses Scheiße-Wort, dieses „Sorgen“, an dem so viel dranhängt, in meinem Leben und in vieler Freunde Leben, die ich so sehe, dass man das mal laut singt. Und das hat beim Konzert auch eine ganz doofe, so eine kathartische Wirkung … Mir geht das selber so, wenn ich Lust dazu habe, dann singe ich einfach nur „Sorgen, Sorgen, Sorgen“. Je mehr Worte man sagt, umso mehr verlieren sich die Worte dann auch.
Ob darin die literarische Ambition von PeterLicht liegt? Einen „Gefährten gegen die Angst“ nannte Albert Ostermaier sein „Buch vom Ende des Kapitalismus“, „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ hat seinen literarischen Ruf gefestigt.
Fühlst du dich in der Literaturszene wohl, jetzt, wo du dort angekommen bist? Ich fühle mich in jeder Szene sehr wohl und unwohl zugleich. Das gilt für die Popwelt und für die Theaterwelt und was es da alles für Welten gibt. Ich finde das sehr interessant, was da stattfindet, habe aber auch ein distanziertes Verhältnis. Ich finde wichtig, dass man relativiert. Was da jeweils so sensationell ist, das ist ja eine kleine Szene weiter entfernt schon gar nicht mehr relevant.
Bewirbst du dich für Literaturstipendien? Damit müsste ich eigentlich anfangen. Ich glaube, da sind einige Kröten abzugreifen. (lacht)
Kröten abgreifen könntest du auch, wenn du deine Bilder verkaufen würdest … Damit müsste ich mal anfangen: überall das Zeug raushauen und versuchen, ein Leben daraus zu machen.
Es gibt noch einen anderen Autor, der malt und schreibt, das ist Günter Grass. Genau, bei dem habe ich mir das auch abgeschaut und, ja, das ist so mein großes Vorbild.
Welche Leichen hast du im Keller? (lacht) Welche Leichen habe ich im Keller? (überlegt) Stimmt, ich war auch bei der Waffen-SS, letztendlich. Aber ich wurde dazu gezwungen.
Kann man die Analogie Grass/PeterLicht ziehen, oder liegt der Vergleich zum Pop-Poeten Rolf Dieter Brinkmann näher? Bist du eher von der Politik oder eher vom Pop geprägt? Ich glaube, das hält sich ganz gut die Waage. Ich interessiere mich genauso viel für Politik wie für Pop. Auch Rolf Dieter Brinkmann war ja gar nicht popsozialisiert. Es hat in der Zeit noch keinen richtigen Pop gegeben – okay, ein bisschen, aber der war auch politisch.
PeterLichts neues Album hat sich den Titel vom Soziologen Wolf Lepenies geborgt. Lepenies, 2006 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ ausgezeichnet worden ist, promovierte 1969 mit seiner einflussreichen Studie „Melancholie und Gesellschaft“. PeterLicht hat den Text erst kennen gelernt, nachdem der Albumtitel feststand: „Das ist ein Riesenwerk, von einem wunderbaren Mann. Ich fand den von ihm untersuchten Zusammenhang von Melancholie und Utopie interessant.“
Wie hältst Du es mit der Melancholie? Für mich hat Melancholie keine resignierte oder depressive Bedeutung, denn für bestimmte Phasen ist das eine sehr gute Geisteshaltung. Das hat was von Fallenlassen und die Dinge so betrachten, wie sie sind, und damit, nicht Teil der Maschine zu sein.
Früher galt Melancholie als Geisteskrankheit. Das hat sich auch gewandelt. Melancholie hat auch eine gewisse Schönheit. Ich mag melancholische Musik. Das ist auch der eine Pol meiner aktuellen Platte. Die andere ist die Gesellschaft. Was der Kapitalismus letztendlich produziert, das ist eben Melancholie: die Melancholie einer Aldi-Filiale oder eines Stellenanzeigenteils oder die Melancholie von Design. Wenn man sich fragt, was am Ende übrig bleibt, dann ist das sehr viel Melancholie.
PeterLicht: „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“, Blumenbar, 40 Seiten, 14,90 Euro / „Melancholie & Gesellschaft“, Motor Music