Die fettesten Partys, die straightesten Möbel, die tightesten Fans – Wahnsinnsdebütant und Simultanraucher Rafael Horzon feiert in seinem Debütroman Berlin-Mitte ab.
„Es gibt ja nun keine objektiven Kriterien dafür, was Kunst ist und was nicht. Und deshalb ist natürlich alles, was ein Mensch zu Kunst erklärt, auch tatsächlich Kunst. Aber genauso gut ist auch alles, was ein Mensch nicht zu Kunst erklärt, keine Kunst. Und wenn ich diesen Möbelladen nun nicht zu Kunst erkläre, sondern zu einem Möbelladen, dann ist er natürlich auch keine Kunst, sondern ein Möbelladen“, erklärt Jungunternehmer Rafael Horzon einem intellektuellen Studenten, der sich über die Megaparty anlässlich einer Regalvorstellung im Berlin-Mitte-Geschäft „Moebel Horzon“ wundert und fragt, ob vielleicht eine Performance geboten wäre.
Rafael Horzon, nach eigenen Angaben 40 Jahre alt, hat mit seinem Debüt „Das weisse Buch“ den vermutlich bizarrsten Roman des Jahres hingelegt. In einer ironisch gebrochenen, mit Falltüren und Spiegeln bestückten Geschichte erzählt er den Lebensweg eines Paketfahrers zum erfolgreichen Unternehmer. Diese Figur will Rafael Horzon selber sein will, ebenso wie er angeblich japanische Kunst verkauft, ein großes Re-Designprojekt für Deutschland erdacht, als Akademiegründer, Nazi-Schatzsucher, Sprachenvereinfacher, Modeschöpfer und Gastronom („Huhn-Land – Hendl with Care“) gearbeitet haben will. – Was zum Teil, aber eben nur „Zum Teil“ nachweisbar ist.
Latein hat er angeblich studiert, Italienisch, Philosophie und Atomphysik, dabei kommt ausgerechnet das Letztere (und Interessanteste) gar nicht im Roman vor. Im Interview gefragt, ob er mit diesem exklusiven Abschluss nicht mehr vorgehabt hätte, antwortete Rafael Horzon: „Ach nee, bis auf meinen Besuch in Libyen, aber das hat sich dann wieder zerschlagen. Ich habe da das Buch von Muammar al Gaddafi bekommen, ‚Das grüne Buch“ und ‚Das weisse Buch“ ist deshalb auch in Anlehnung an das Buch von Gaddafi geschrieben, das ja durchaus, ebenso wie meines, als Schelmenroman zu verstehen ist.“ Hybris könnte sein zweiter Vorname sein.“
„Ich war immer an interessanten Orten, wahrscheinlich, da sind immer interessante Dinge passiert und ich war komischerweise immer in diesen Momenten dabei“, verteidigt er seine Biographie, die stellenweise stimmt, an anderen Punkten maßlos übertrieben, umgedichtet, neu erfunden wurde. Rafael Horzon ist tatsächlich einer der großen Hauptstadt-Kreativen, sein Geschäft „Moebel Horzon“, das er aus Symmetriegründen mit „oe“ schreibt, mit sechs Buchstaben je Wort, steht in Berlin, kann besucht werden. Aber dass er mit Bestsellerautor Christian Kracht („Faserland“) Regale ausgefahren hat, wie im Buch geschrieben, darf als Legende gelten.
Allerdings kennen sich die beiden schon lange. Rafael Horzon hat von 2004 bis 2006 für Christian Krachts Magazin „Der Freund“ eine Kolumne über „allerhand technischer Geräte“ geschrieben.“ Bereits in der ersten Ausgabe ging es um den Schwingschleifer Metabo SR 356: „Beim Arbeiten sollte der SR 356 nur leicht auf die zu schleifende Stelle gedrückt werden. Zu kräftiges Aufdrücken kann zu Überlastung des Gerätes und vorzeitigem Verschleiß des Schleifblattes und der Schleifplatte führen.“ Kurz gesagt: Rafael Horzon war schon immer ein bisschen anders, schon immer ironisch, doppeldeutig und Avantgarde – wen erinnert dieser kurze Textauszug nicht an Reportagen des Männer-TV-Sender DMAX?
„Das weisse Buch ich eine Unternehmerautobiographie und es ist ein Sachbuch, das ich getarnt habe als Unterhaltungsliteratur. Sachbücher werden ja nicht so gern gelesen und ich habe den Wolf Sachbuch also in das Schafsfell Unterhaltungsliteratur gesteckt“, erklärt Rafael Horzon. Er fühlt sich von Geistesgrößen inspiriert: „Fichte, Goethe – wer den kennt, wird jede zweite Seite laut auflachen, weil’s steckt voller Zitate, dieses Buch, Novalis natürlich, Rimbaud. Das sind die Kaliber, mit denen ich mich auf eine Ebene stellen möchte.“ Ebenso ist er, als waschechter Schelmenromancier, auch Fan des Barockautors Grimmelshausen, der 1668 sein Opus Magnus über den 30-jährigen Krieg vorgelegt hat. „Ich habe bei Suhrkamp auch diesen Spitznamen, immer wenn ich den Verlag verlasse, sagen die Leute dort: ‚Das war unser Simplicissimus‘.“
Es ist ein Simpicissmus, der außerdem fotografiert: „Um mich über mein eigenes Leben zu vergewissern, weil das alles verfliegt, ich habe gestern noch mit Conny Opper gesprochen, der die sehr populäre Bar in der Friedrichsstraße macht, das ‚King Size‘, und ich habe ihm gesagt: ‚Schreib‘ doch auch mal ein Buch und da hat er gesagt: ‚Ich habe auch schon einen Titel: ‚Mein Tag ist eure Nacht“ und da musste ich ihm zustimmen, das ist ein echt guter Titel, da musst du mehr draus machen, aber Conny meinte, ‚Das Problem ist, ich erlebe so viele interessante Dinge und abends wenn ich aufwache‘ – die wachen ja immer abends auf, diese Vögel – ‚dann habe ich alles schon wieder vergessen‘. Tragisch. Deshalb läuft Rainald Goetz ja auch ständig mit einem Notizbuch rum.“
Dieser ganz höchst unterhaltsame Unfug, strotzend vor Querverweisen, Nonsense-Dialogen, wilden Bildern (aus der Südsee, mit David Woodward beim Bau einer Wishing Machine, ein Portrait als „verkommener, verlogener, hochnäsiger, geldgieriger Gigolo“) endet mit einem Zitat des römischen Dichters Horaz: „Exegi monumentum aere perennius. – Ich habe ein Denkmal geschaffen, dauerhafter als Bronze.“ An Selbstbewusstsein mangelt es diesem Autor nicht, ebenso wenig an: Klugheit, Coolness, Wahnsinn, Inspiration… Ein uneingeschränkter Lesebefehl! Mehr geht nicht.
Rafael Horzon: „Das weisse Buch“, Suhrkamp, 216 S., 15,00 Euro
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