Heute wurde eine komplette Fangemeinde „schockiert“, glaubt man Spiegel, Stern, F.A.Z., Süddeutscher Zeitung (UPDATE 29.8: BILDblog hat hier bereits aufgeklärt): Hello Kitty soll nach Angaben von Hersteller Sanrio doch keine Katze sein. Andreas Neuenkirchen hat vor wenigen Monaten in seinem akribischen Sachbuch „Hello Kitty – Ein Phänomen erobert die Welt“ bereits einige andere unbekannte, verwunderliche Details zu Japans nunmehr 40 Jahre lebenden Kunstprodukts gesammelt. Warum Hello Kitty doch eine Katze ist – und einige weitere interessante Fun Facts.
EINS Ein Thema, das Andreas Neuenkirchen im Buch zuletzt behandelt, da damals noch am Interessantesten, ist die Sache mit dem angeblichen Hello-Kitty-Vibrator. Gibt es ihn? Gab es ihn je? Der Hersteller verneint. Aber im Jahr 1997 wurde ein Schultermassagerät angeboten, „ein vibrierender rosa Stab, obendrauf saß Kitty mit einem pelzigen Bärchen auf dem Schoß.“ (231) Der Lizenznehmer hatte freilich nicht beabsichtigt, dass – ach, man kann es sich denken. Das Ding wurde ein veritabler Verkaufsschlager. „Ganz so abwegig ist die Existenz eines Hello-Kitty-Vibrators ohnehin nicht. Schließlich richten sich etliche weitere offizielle Hello-Kitty-Produkte ebenfalls an erwachsene Kundinnen, etwa Tampons, Binden und String-Tangas.“ (232)
ZWEI Hello Kitty kann nicht lächeln – doch dann kommt am 31. Januar 2013 der spanische Designer Javier Mariscal (der auch das Olympia-Maskottchen Gobi – einen katalanischen Schäferhund – zu den Sommerspielen in Barcelona 1992 entworfen hat) und lässt sich etwas einfallen, was ihn zum Aufmacher im Wirtschaftsteil von „Asahi Shimbun“, Japans zweitgrößer Tageszeitung, macht. Mariscal bastelt zur Feier der 400-jährigen Beziehung zwischen Japan und Spanien eine grinsende Hello-Kitty-Katze (Bild rechts). „In der Tat hat Kitty-chan, wie Hello Kitty von ihren Fans nach der japanischen Freundschaftsverniedlichungsform genannt wird, nie zuvor gelächelt. Sie hatte nämlich keinen Mund. (…) Dabei hätte Kitty einigen Grund zum Lächeln (…) setzt beinahe 4 Milliarden Euro pro Jahr um (…) ist offizielle Cartoon-, Tourismus- und UNICEF-Botschafterin ihres Heimatlandes“ (11), 1984 zu eben Letzterem berufen (224).
DREI Hello Kitty ist eng verbunden mit der Kawai- also der Niedlichkeitskultur in Japan, die laut Autor Tomoyuki Sugiyama eng mit der Harmoniesucht der Japaner zusammenhängt. „Die Mitmenschen sollen nicht verletzt werden und durch Niedlichkeit wurde noch nie jemand verletzt. Das Denken wird in honne und tatemae unterschieden. Honne entspricht der echten, ungefilterten eigenen Meinung. Tatemae ist das, was man stattdessen sagt.“ (25)
VIER Im Gegensatz dazu passiert 1999 in Hongkong der bestialische „Hello-Kitty-Mord“. „Im Touristenviertel Tsim Shau Tsiu entführen drei Männer mit Verbindungen zu Triaden, chinesischen Verbrecherorganisationen, die 23-jährige Nachtclub-Hostess Faye Man-yee nach einer Auseinandersetzung um Geld und foltern sie einen Monat lang in einem Apartment in der Grandville Road, bevor sie sie ermorden. Sie trennen der jungen Frau den Kopf ab und nähen Teile davon in eine Hello-Kitty-Puppe ein.“ (127)
FÜNF „Zum 35. Geburtstag von Hello Kitty ließ sich Lady Gaga nicht von einer Fotosession mit Kitty-chan abhalten, geknipst von den Starfotografen beziehungsweise Fotografenstars Markus Klinko und Indrani. Auf dem berühmtesten Bild sitzt Gaga-chan auf einem goldenen Thron, in einem blond-rosa Haarteil und einem Kleid aus Hello-Kotty-Plküschfiguren (…) Die Parallelen zwischen Lady Gaga und Hello Kitty liegen auf der Hand. Bei beiden vermittelt sich der Inhalt über den Look.“ (192) Mehr Lady Gaga-/Hello Kitty-Bilder gibt es hier im Day by Day_Blog.
SECHS In den USA werden bald 60 Prozent der Auslandsverkäufe Sanrios realisiert, auch wenn manches floppt – wie das Produkt Hello Color. „Es handelt sich um eine weiße Kitty-Figur, die Farbe annimmt, wenn sie mit heißem Badewasser in Berührung kommt. Ein Heidenspaß für Kinder, die gerne heiß baden. Japanische Kinder tun das gerne. Jeder Japaner tut das gerne. Amerikanische Kinder hingegen baden lieber lauwarm. Hello Color blieb in amerikanischen Badewannen farblos.“ (97)
SIEBEN Polizei und Regierungsbehörden verwenden sogar auf Fornularen Hello-Kitty-Abbildungen. „Sie sollen wohl die Angst vor dem allmächtigen Staatsapparat nehmen und Bürgernähe, wenn nicht gar Bürgerfreundlichkeit suggerieren.“ (34) Aber auch die Polizeiobersten von Bangkok nutzten 2007 Hello Kitty. Polizisten, die falsch parkten oder auf andere Weisen den Kodex verletzten mussten zur Erniedrigung im Büro eine Hello-Kitty-Armbinde mit zwei Herzchen tragen.
ACHT Die verrücktesten Hello-Kitty-Fans wohnen laut Andreas Neumeister übrigens in Solingen, also im Sektor vom magentafarbenen Pop-Radiosender 1LIVE (für den ich bekanntlich arbeite). Das Ehepaar Andrea Stolzenberger und Achim Fettig (hier im Solinger Tageblatt vorgestellt) lebt in einem rosafarbenen Hello-Kitty-Museum und haben etliche der rund 50.000 weltweit erhältlichen Hello-Kitty-Artikel gesammelt. „So wird mit Hello-Kitty-Töpfen gekocht, mit Hello-Kitty-Handy telefoniert, und im Schuhschrank stehen die Hello-Kitty-Doc-Martens.“ (9) Vor einem Jahr veröffentlichten sie bei Edel das rosafarbene Kochbuch „Backen mit Love – Rezepte aus dem rosa Haus“.
NEUN Ein paar Kuriositäten im Schnelldurchlauf: „1999 war Hello Kitty in Taiwan die ‚Person’ mit der drittgrößten Medienpräsenz.“ (150) Während die Simpsons oder Barbie im arabischen Raum geächtet werden (stattdessen gibt es dort Fulla, „the number one Arab Fashion doll in the Middle East and North Africa“, der man sogar eine Burka anziehen kann) hat es die Katze geschafft: In Dubai existiert ein exklusives Hello-Kitty-Wellness-Center.“ (103) „Kitty teilt die Blutgruppe A unter anderem mit Kung-Fu Star Jet Li, Popsängerin Britney Spears und Diktator Adolf Hitler.“ (das steht da tatsächlich auf Seite 58)
ZEHN Bleibt die Frage: Katze – ja oder nein? Laut „Hello Kitty“-Erfinderin Yuku Shimizu, erklärter Fan von Lewis Carolls “Alice im Wunderland“, ist Hello Kitty von der Grinsekatze ebenso inspiriert wie vom holländischen Cartoon-Hasen Miffy (im Original Nijntje). In der asiatischen Shinto-Religion tauchen etliche sprechende Tiere auf, am häufigsten „der waschbärenartige Tanuki, der Fuchs und eben die Katze.“ (18) Zudem ist sie angelehnt an die asiatischen Winkekatzen (22).
Andreas Neuenkirchen: „Hello Kitty – Ein Phänomen erobert die Welt“, Metrolit, 242 Seiten, 20 Euro